In der Nähe dieses Naturwunders trafen wir auf die von Majid bestellten Beduinen, die uns ihre Kamele für eine weitere Tour zur Verfügung stellten. Die Männer waren um die dreißig, traditionell in weiße Galabijas gekleidet. Sie begrüßten uns freundlich und luden uns ein, die Tiere zu begutachten. Dabei priesen sie die Vorzüge der Kamele an und übertrieben maßlos, wie mir Majid mit einem Augenzwinkern auf Deutsch ins Ohr flüsterte. Wir lachten und gingen langsam auf die ruhenden Tiere zu. Sie sahen gut genährt und gesund aus. Ihr Fell war an manchen Stellen abgegangen, hing in lappenähnlichen Hautfetzen ab, was sie lustig aussehen ließ. Majid begutachtete ihre Sättel, zog mich zu sich und half mir beim Aufsteigen. Etwas mulmig war mir schon zumute, als ich auf meiner Kamelstute sitzend nach unten schaute. Als das Tier zu laufen begann, verstand ich endlich, warum man sie als Wüstenschiffe bezeichnete. Es schaukelte wirklich beinahe wie auf einem Schiff. Ich musste lachen.
Mein Mann machte auf seinem Tier eine richtig gute Figur, man sah deutlich, dass er nicht das erste Mal auf einem Kamel ritt. Dann ging es los, unsere kleine Karawane bewegte sich langsam in die Tiefen der scheinbar endlosen Wüste. Vorweg der kleinere der beiden Kamelführer. Gleich hinter ihm lief mein Tier mit mir im Sattel. Neben mir Majid auf seinem Kamel. Wir warfen uns verliebte Blicke zu, schwiegen, ließen uns führen. Die Wüste nahm uns ganz in Beschlag, es war unglaublich still um uns herum, nur das Zischen und Keuchen der Tiere durchbrach die Stille. In meine Träume versunken, nahm ich die Umgebung nicht ganz wahr, ich fühlte mich wie in Watte eingehüllt, bis plötzlich ein schriller Ton meines Mobiltelefons meinen Tagtraum gewaltsam beendete. Meine Mutter! »Mama! Das ist ja eine Überraschung. Alles okay bei euch? Ja? Schön. Wir machen gerade einen Ausflug in der Wüste. Ich sitze auf einem Kamel und es schaukelt ziemlich. Ich rufe morgen zurück, wenn wir wieder zu Hause sind, in Ordnung? Danke für deinen Anruf, Grüße an Jan. Auch von Majid, bis dann, tschüss!« Erleichtert stopfte ich mein Smartphone zurück in den Rucksack. Meine Mutter! Immer dann, wenn man gerade beschäftigt war, ja – so war sie!
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir eine kleine Oase, ein paar Zelte reihten sich aneinander, davor zwei verlassene Jeeps. Dattelpalmen, spärliche Vegetation, eine kleine Wasserstelle, einige Beduinen. Mehr war hier nicht zu sehen. Langsam wurde es deutlich kühler, ich zog die Strickjacke aus meiner Satteltasche und warf sie schnell über. Jetzt fühlte ich mich deutlich wohler, aber die Anstrengungen des Tages machten sich bei mir bemerkbar. Ich war sehr müde und ich verspürte großen Hunger. Es war Zeit, etwas zu essen.
Majid begrüßte die Beduinen, ich hatte den Eindruck, dass sie ihn schon kannten. Mich begrüßten die Männer nur mit einem dezenten Kopfnicken. Ich tat es ihnen gleich und wartete ab, was passieren würde. Nach einem kurzen Gespräch wurden wir gebeten, uns zu ihnen zu setzen. Ein Lagerfeuer wurde entzündet. Wir nahmen Platz. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Pick-up auf. Zwei junge Beduinen stiegen aus und brachten riesige Schüsseln mit Essen, auf das sich alle stürzten. In unmittelbarer Nähe war scheinbar noch ein Einheimischenlager oder eine Oase. Das Essen dampfte und roch sehr appetitlich. Es war Couscous und gebratenes Lamm mit Reis und Gemüse. Eine Mahlzeit ganz nach meinem Geschmack. Wir aßen gemeinsam aus den Schüsseln. Es machte mir nichts aus, mit Fremden aus einem Gefäß zu essen. Schweigend nahmen wir die ersten Happen zu uns. Später unterhielten sich die Männer aufgeregt und würdigten mich keines Blickes. Nach der einfachen, aber köstlichen Mahlzeit tranken wir noch etwas Kamelmilch. Es schmeckte mir, auch wenn die ersten Schlucke mich noch Überwindungen gekostet hatten. Der Durst siegte. Müde saß ich im Schneidersitz vor dem Feuer, meine Augen wurden immer schwerer, ich versuchte, mein Gähnen zu verbergen.
Aber Majids Augen blieb nichts verborgen. Er stand auf, winkte mir, ihm zu folgen und ging auf ein Zelt zu. Ich war dankbar, dass ich nach den Anstrengungen des langen Tages gleich ruhen konnte. Majid erhellte den Weg mit der LED seines Smartphones. Im Zelt lagen ein paar Decken und kleine Kissen für uns bereit. Majid wünschte mir eine gute Nacht und kehrte zum Lagerfeuer zurück. Er war noch nicht müde.
Ich lauschte dem Rauschen der Palmenkronen, hörte die Stimmen der Männer am Feuer. Kurze Zeit später schlief ich tief und fest. Ein kurzes Rascheln verriet mir im Halbschlaf, dass mein Mann das Zelt betrat und sich leise neben mich legte. Wir ruhten bereits eine ganze Weile, als ich plötzlich erwachte. Etwas, ein dumpfes Geräusch, drang an meine Ohren. Ich horchte. Erschrocken öffnete ich die Augen und erstarrte - eine dunkle Gestalt, ganz in Schwarz eingehüllt tauchte wie aus dem Nichts vor mir auf. Ein fremder Mann! Ich hörte mein Herz laut pochen, wilde Panik erfasste mich. Wie erstarrt lag ich auf meinem Platz, wagte mich nicht zu bewegen, zu tief saß die Angst in meinem Nacken, ich wollte Majid wachrufen, aber meine Angst schnürte mir die Kehle zu. Majid! Warum wacht er nicht auf?! Ich muss ihn unauffällig wecken, aber wie? Wer ist dieser Mann und was will er hier? Die Sekunden kamen mir wie Minuten vor, aber es war nur ein Augenblick, den der Fremde und ich uns anstarrten. Die Stille im Zelt kam mir fast schmerzhaft vor. Die Luft war stickig, ich fühlte wie sich meine Zunge versteifte, ich schluckte, trat mit meinem linken Fuß vorsichtig hinter mich. Meine Zehen ertasteten Majids Wade, ich legte nach.
Der Fremde erwachte scheinbar in diesem Moment aus seiner Starre und tat einen Schritt in unsere Richtung. Der Mond erhellte die Nacht und schien in unsere provisorische Behausung. Majid reagierte nicht auf meine verzweifelten Versuche. Als ich etwas in der rechten Hand des Fremden blitzen sah, schrie ich aus tiefster Kehle: »Majid! Majiiiiiiiid! Wach auf. Hier ist ein fremder Mann!«
Die Ereignisse überschlugen sich. Mein Mann erwachte und sprang sofort auf, aber der Fremde war schneller. Mit einem hinterlistigen Schlag seines Dolches an Majids Schläfe streckte er ihn nieder. Entgeistert sah ich zu, wie mein Majid zu Boden fiel, kroch in die hinterste Ecke. Der Fremde packte mich und zog mich an den Haaren aus dem Zelt. Ich sah aus den Augenwinkeln, dass er nicht allein war. Eine beachtliche Männergruppe, alle vermummt und in schwarze Roben gehüllt, nahm unser kleines Lager ein. Alle bis an die Zähne bewaffnet, jung und scheinbar zu allem entschlossen. Es war deutlich zu erkennen, dass das kein Pfadfinderspiel war. Höllischer Schmerz durchströmte meinen Körper, als mich der Fremde über den Erdboden schleifte. Ich schrie in Panik aus voller Kehle, aber er erstickte mit seiner Hand meine Schreie, ließ erst von mir ab, als wir am jetzt erloschenen Lagerfeuer angekommen waren. Unsere Beduinen vom Vortag lagen im Kreis versammelt, mit verbundenen Augen und gefesselt auf dem Boden. Inmitten dieser nächtlichen Stille waren wir den Angreifern praktisch ausgeliefert. Ich durfte mich neben die Beduinen setzen. Meine Gedanken kreisten um Majid, ich fürchtete, dass der Angreifer ihn schwer verletzt haben könnte. Hoffnungsvoll sah ich zum Zelt, horchte nach einem Lebenszeichen von Majid, vergebens. Die Vermummten musterten mich neugierig. Ich fühlte ihre penetranten Blicke auf meinen blonden Haaren und auf den entblößten Beinen kleben. Zum Schlafen hatte ich mich bis auf das T-Shirt und den Slip ausgezogen. Unter ihren Blicken fühlte ich mich nackt und ausgeliefert. Ich zog mein T-Shirt weit nach unten über meine Knie, versuchte mich zu verhüllen, was sie mit schallendem Lachen quittierten. Aufgeregt unterhielten sie sich auf Arabisch, lachend sprachen sie über die Vorzüge meiner Figur. Ich verstand nicht alles, weil mein Arabisch noch spärlich war, aber das, was ich verstand, ließ mich erschaudern. Ein brennendes Feuer stieg in mir hoch. Sie werden doch nicht …? Ich warf einen Hilfe suchenden Blick Richtung Zelt, aber von dort war scheinbar keine Hilfe zu erwarten. Noch immer kam kein Lebenszeichen von Majid und meine Angst wurde unerträglich. Wer waren diese Männer? Was wollten sie von uns? Warum? Die bedrohliche Ungewissheit fraß sich wie alles zerstörende Krebszellen langsam durch meine Glieder. Die Männer verteilten sich jetzt in kleine Gruppen. Ich versuchte, sie zu zählen, aber es gelang mir nicht, sie waren irgendwie ständig in Bewegung. Es waren schätzungsweise dreißig. Einige von ihnen bewachten die Beduinen, andere versorgten die Tiere und wieder andere verschwanden in den Zelten, sodass ich sie immer nur kurz zu sehen bekam. Da sie für mich alle gleich aussahen, konnte ich sie nicht auseinanderhalten. Ihre Gesichter waren stets bedeckt.
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