- an den Titel erinnerte er sich nicht mehr -
war beschrieben worden, wie man auf diese Art und Weise zum Beispiel auch Schriftzeichen auf einem Blatt Papier sichtbar machen konnte, auch wenn sie so im ersten Moment garnicht sichtbar waren, weil die Schrift nicht direkt auf das Blatt geschrieben worden war, sondern auf ein anderes, das man darüber gelegt hatte. Im Grunde hatte man also nur einen Abdruck. Jedenfalls musste man einen Bleistift nehmen und mit der Spitze, wenn man den Bleistift etwas schräg hielt, quer über die Schrift oder die Zeichen schraffieren, so, dass die Zeichen oder die Schriftabdrücke dadurch sichtbar wurden.
Ganz vorsichtig musste man das tun, hatte die Mama damals vorgelesen und sie hatte es anschließend auch gleich mit Jan-Moritz ausprobiert, weil er es damals noch nicht so richtig verstanden hatte. Mama hatte ein Blatt Papier geholt und hatte es auf ein zweites Blatt gelegt; dann hatte sie ein paar Buchstaben auf das obere Blatt geschrieben und dabei etwas fester aufgedrückt, als normalerweise.
Seine Mutter hatte dann das obere Blatt weggenommen und, logischerweise, waren auf dem nun sichtbaren zweiten Blatt keine Buchstaben zu sehen. Denkste! Nur erst nicht! Mama nahm nämlich dann einen Bleistift und schraffierte so vorsichtig über das Blatt, wobei sie den Bleistift eben schräg hielt, dass langsam Buchstabe für Buchstabe zum Vorschein kamen, wie sie sie auf das obere Blatt geschrieben hatte. Die reinste Zauberei.
Und genau daran erinnerte sich Jan-Moritz, nur, dass er das ganze jetzt mit dem Holzkästchen machen wollte und zwar mit den Zeichen auf dem Deckel, aber genau andersherum: er wollte nämlich diese Zeichen auf ein Blatt Papier übertragen, damit er sie immer mit sich herumtragen könnte und jedesmal, wenn er Zeit und Lust dazu hatte oder wenn ihm etwas dazu einfiel, wollte er versuchen, die fremden Zeichen zu enträtseln. Vielleicht stand ja auch die Lösung dazu in der Schatzkarte!?
Aber als Jan-Moritz dann seinen Plan in die Tat umsetzen wollte, klappte es überhaupt nicht, entweder hielt er den Bleistift falsch, oder die Spitze war zu spitz oder das Papier zu dünn, jedenfalls brach die Spitze des Bleistifts nach den ersten Versuchen ab, vorher hatte er auch noch ein Loch in das Papier gepiekst und lesen konnte er schon garnichts: so konnte es also nicht gehen. Blöder Plan.
Aber Jan-Moritz traute sich auch nicht, die Zeichen abzuzeichnen, vielleicht machte er dabei einen Fehler und würde womöglich nie hinter deren Geheimnis kommen.
Es blieb also nichts anderes übrig, als das Kästchen hier oben zu lassen, und es gut zu verstecken und nur die Karte mit in sein Zimmer zu nehmen; also machte er sich an die Arbeit und ritzte Stück für Stück den Stoff auf, vorsichtig darum bemüht, nur nichts von dessen Inhalt zu beschädigen. Und endlich war es soweit: er konnte das Stück Papier nun ganz unter dem Stoff hervorziehen und staunte nicht schlecht:
wie er erkennen konnte, nachdem er das Papier, das zweimal gefaltet war, auseinandergefaltet hatte, war es tatsächlich eine Landkarte mit vielen Markierungen, Namen darauf, kleinen Skizzen und mehreren Kreuzen und auf der Rückseite der Karte Erklärungen vielleicht oder Wegbeschreibungen. Oder was waren das für seltsam verschlüsselte Angaben und Zahlen, die auch noch in säuberlich aufgeteilte Kästchen geschrieben waren?
Aber leider: die Karte war in SÜTTERLIN geschrieben, was Jan-Moritz natürlich nicht wissen konnte aber nichtsdestotrotz auch nicht lesen konnte. Aber immerhin erinnerte er sich, dass sein Großvater schon mal so geschrieben hatte, oder zumindest sehr ähnlich. Damit könnte sich vielleicht was anfangen lassen.
Also was nun? Allein konnte er damit auf keinen Fall zurechtkommen. Blieb die Frage, wen er in sein Geheimnis einweihen konnte, der ihm dann auch noch wirklich helfen würde ohne ihn zu verraten und ohne ihm den vermuteten Schatz wegzuschnappen. Da kam bei näherer Betrachtung nur der Großvater in Frage. Opa Herrmann würde ihm sicher helfen, er musste es nur so geschickt anfangen, dass der nicht Lunte roch und womöglich sein Geheimnis selber enträtselte…
Das musste gut, ja sehr gut überlegt werden und Jan-Moritz lehnte sich erst einmal in das Knautschsofa zurück,
um in Ruhe nachzudenken, als er auch schon dahindöste und ganz allmählich einschlief.
Der auflandige Windblähte das Focksegel wie einen vollen Mehlsack. Im nächsten Moment rasselten Steuerbord- und Backbordanker durch die Klüsen des Stahlrumpfes und klatschten auf die spritzenden Wogen.
Die Dreimastbark warf ihre Anker knapp außerhalb des markierten Fahrwassers etwa eine Seemeile östlich von Otterndorf querab des ’Hohen Sandes’ in der Niederelbe. Beinahe zeitgleich mit dem Werfen der Anker wurde ein Davit ausgeschwenkt und eines der Steuerbordrettungsboote sachte zu Wasser gelassen.
Die Matrosen waren angewiesen, möglichst leise zu Werke zu gehen, um zu dieser nachtschlafenden Zeit gegen
2:30 Uhr in aller Herrgottsfrühe möglichst wenige Geräusche zu verursachen, die das `Husarenstück’ verraten oder gar vereiteln könnten.
An Bord des Rettungsbootes, das inzwischen unter dem Kommando eines Kapitäns zur See der Deutschen Kriegsmarine mit zwölf kräftigen Matrosenarmen dem Ufer zugepullt wurde, befand sich wohl versteckt unter einer Persenning und einem Haufen darüber geworfenem Tauwerk eine schwere Kiste mit Eisenbeschlägen. In der Kiste, die zusätzlich mit Ketten und Schlössern gesichert war, kleine Säckchen mit Goldmünzen; einige goldene Pokale, wie sie in den Kirchen bei feierlichen Weihen Verwendung finden und schwere goldene Kerzenleuchter; wertvolle Prunkdegen mit Edelsteinen besetzt; weniges vergoldetes Tafelgeschirr und einige in Leder gebundene Bücher, Sonderdrucke und seltene Erstausgaben, teilweise Handschriften die kaum mit Gold aufzuwiegen waren. Das alles war die letzte wertvolle Habe, waren die letzten wertvollen Familienerbstücke, die der Offizier vor feindlichem Zugriff und nicht zuletzt vor dem Zugriff der Behörden retten wollte. Denn er hatte so eine Ahnung, als wenn dieser Krieg nicht gewonnen werden kann und noch in diesem Jahr ein Ende nehmen würde, ein Ende, das Deutschland sich nicht wünschen konnte. Ein Ende, das das ganze Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins drängen würde: wir befinden uns in der letzten Septemberwoche des Jahres 1918.
* * *
Die Ruderer im Boot waren ausgesuchte Kameraden, auf deren Verschwiegenheit der Kapitän zur See rechnen konnte. Allein deshalb konnte er es wagen, seine ‚Schätze’ der Reichsregierung zu entziehen und im Schutz dieser als geheimes Kommandounternehmen getarnten Aktion in Sicherheit zu bringen. Denn die Regierung hatte dem Volk auferlegt, jedes wertvolle Gut, Edelmetalle und ähnliches dem Vaterland zur Finanzierung der Kriegsführung zur Verfügung zu stellen. Daher mussten alle entsprechenden Güter und Wertgegenstände abgeliefert werden, nach dem Motto ‚Gold gebe ich für Eisen’, um damit Kanonen zu gießen und Munition zu finanzieren. Mit schwerer Bestrafung musste dagegen rechnen, wer diese Anordnungen versuchte zu umgehen.
Am nahen Ufer angekommen, sprangen vier der Matrosen
in den Schlick des Elbstrandes und übernahmen die ihnen von den anderen über den Dollbord zugereichte Kiste. Der Kapitän ging durch das Schilf voraus. Er kannte den Weg sehr genau, den er einschlagen musste, auch in dieser mondlosen Nacht. Schließlich war er nicht weit von diesem Strandabschnitt schon als kleiner Junge oft entlanggesträunt, hatte hier in der Elbe seine ersten Schwimmversuche unternommen und hatte an diesem Küstenstrich viele seiner Jugendabenteuer erlebt. Nicht weit von diesem Ort lag das Hofgut seines Großvaters, den er nicht nur in den Ferien oft besucht hatte.
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