„Er ist Metöke in Athen, ein freier Fremder, aber sehr reich, und er hat so viel erlebt. Beinahe wäre er ermordet worden. Aber nun ist er ein bekannter Mann, ein Redner vor den Gerichten.“
„Du solltest dich selber hören, Metaneira! Er bezahlt für dich, so einfach ist das.“ Neaira fühlte sich betrogen von der Freundin, aber Metaneira legte ihr die Hand auf die Schulter. „Mir hätte nichts Besseres widerfahren können. Er ist zwar alt aber gütig. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du auch einen solchen Mann findest, Neaira.“
Neaira runzelte die Stirn. Einen Mann sollte sie finden? Hier gab es doch genügend Männer, die sie fanden - jeden Abend, immer wieder aufs Neue.
Neaira sah Lysias einige Tage später auf einem Fest in Nikaretes Haus, wo er neben Metaneira auf der Speisekline lag. Er hätte Metaneiras Vater sein können, und beinahe so behandelte er sie, mit Rücksicht und liebevoller Fürsorge. Wie sollte die sanftmütige Metaneira jemals damit zurechtkommen, wenn Lysias sie fallen ließ? Und das, da war sich Neaira ganz sicher, würde er tun. Düstere Vorahnungen beschäftigten sie den gesamten Abend, während sie neben Xenokleides auf der Speisekline lag. Es war ein ausgelassenes Fest, auf dem die Männer sich mit zotigen Bemerkungen übertrafen. Die Sklaven huschten von einer Kline zur anderen und hatten alle Hände voll zu tun Wein nachzuschenken. Die Mädchen lachten schrill und übertrafen sich darin, den Männern zu gefallen. Neaira bemühte sich nicht darum zu gefallen, und vielleicht war gerade dies der Grund, weshalb die Männer sie begehrten. Sie war ein Wild, das sich zu jagen lohnte – eine Beute, die erobert werden musste. Heimlich wurden den Mädchen Haarspangen oder Ringe zugesteckt, die sie vor Nikarete zu verbergen versuchten. Neaira wollte keine Geschenke, da sie wusste, dass die Augen der Harpyie überall waren. Keines der Mädchen würde die Geschenke nach dem Fest behalten dürfen. Neaira versuchte erst gar nicht, Xenokleides schöne Augen zu machen. Er war zufrieden, Neaira ab und an auf seiner Kline zu haben, und sie war zufrieden damit, dass er nicht mehr von ihr begehrte als in der ersten Nacht. Für die ausgefallenen Wünsche der Männer bestellte Nikarete Flötenmädchen ins Haus, die nicht nur die Doppelflöte hervorragend beherrschten, sondern auch das Spiel mit mehreren Männern gleichzeitig. So war die Ordnung gesichert – für die groben Bedürfnisse die Straßenhuren, für die ausgefallenen Gelüste die Flötenmädchen, für erlesene Genüsse die Töchter Nikaretes, und um Kinder zu zeugen gab es Gemahlinnen, die nach Erfüllung ihrer Pflichten kaum noch angerührt wurden und im Haus eingesperrt blieben. Dazwischen gab es nichts für Frauen. Neaira erschien keines von diesen Leben erstrebenswert. Weshalb also hätte sie sich anstrengen sollen?
Als die Stunde später wurde, der Wein reichlich geflossen war und einige der Herren einen hitzigen Disput darüber ausgetragen hatten, ob ein gewisser Athanos aus Athen die Anklage als Moichos , als Ehebrecher, verdient hätte, da er mit der Frau eines anderen ins Bett gestiegen sei, von der man jedoch wusste, dass sie sich gleich einer gewöhnlichen Porne jedem anböte, der ihren Weg kreuzte, hob Lysias schließlich seine Weinschale und prostete den anderen zu: „Bei Zeus, sollen sie ihm einen Rettich tief in den After schieben und einen Klaffarsch aus ihm machen! So halten wir es in Athen mit Ehebrechern. Ich werde euch berichten, wie der Fall ausgegangen ist, wenn ich aus Athen zurückkehre.“
Metaneiras traurige Antwort bestätigte Neaira in ihren Befürchtungen. „Verlässt du mich schon wieder? Noch keinen Mondumlauf bist du in Korinth.“
Neaira erwartete, dass er sie rügte wie ein Kind und ihr klarmachte, wo ihr Platz in diesem Leben war. Doch Lysias hielt Metaneira seinen Becher an die Lippen und ließ sie trinken, wobei er ihr ein Auge kniff. „Du wirst mich dieses Mal begleiten. Ich habe ein besonderes Geschenk für dich - die Einweihung in die eleusinischen Mysterien, die im nächsten Mondumlauf zu Ehren Demeters gefeiert werden.“
Metaneira fiel ihm um den Hals, als ob er ihr gerade die Freiheit geschenkt hätte.
„Du verwöhnst sie als wäre sie deine Hetäre.“ Xenokleides rief es Lysias zu, meinte es jedoch nicht böse. Augenscheinlich rührte ihn die Zuneigung, die Metaneira Lysias entgegenbrachte. Neaira trank ungerührt ihren Wein. Sollte Xenokleides davon träumen, dass auch sie ihm Zuneigung schenkte. Was hatte er ihr geschenkt außer der Gewissheit, dass sie nichts vom Leben und der Liebe zu erwarten hatte.
„Deine Großzügigkeit ehrt dich, Lysias. Aber Metaneira gehört noch immer zu meinem Haus und kann nicht nach Athen reisen. Es ist bereits sehr großzügig von mir, dass ich sie außerhalb meines Hauses wohnen lasse, wenn du in Athen bist.“ Es war die Harpyie gewesen, die allein auf einer Kline lag und deren Vogelaugen ebenso wenig entging wie ihren Ohren. Mit spitzen Lippen nippte sie an ihrer Weinschale und winkte dann dem Sklaven, ihr nachzuschenken.
War es Metaneiras enttäuschter Blick, der Lysias dazu veranlasste gegen Nikarete anzugehen? Lysias war nicht unfreundlich, jedoch entschlossen. „Welche Kosten hast du für Metaneira, die ich nicht großzügig zahle? Ich werde Metaneira etwas schenken, was du ihr nicht fortnehmen kannst. Und ich bezahle die Reise gerne für eine Schwester, die Metaneira auswählt sie zu begleiten. Dies wird wohl auch in deinem Sinne sein, wo du doch so um das Wohl deiner Töchter besorgt bist.“ Er sagte es nicht ohne Spott und forderte Nikarete heraus, was die anderen Gäste zum Lachen brachte. Metaneira nutzte die Verblüffung Nikaretes und beeilte sich ihre Wahl zu treffen. „Ich möchte, dass Neaira mich begleitet. Wir stehen uns nah, seit wir Kinder waren.“
Nur kurz meinte Neaira, dass Nikaretes Gesicht zu einer hässlichen Fratze wurde. Zu schnell gewann sie ihre Fassung zurück. Kurz schien sie zu überlegen, wagte aber nicht einem gut zahlenden Kunden wie Lysias seinen Wunsch abzuschlagen. Sie lächelte betont großmütig, als wäre ihr klar geworden, wie wunderbar Lysias Einfall im Grunde genommen war. Neaira hätte ihr zu gerne den Rest ihres Weines ist Gesicht geschleudert. „Wenn es denn dein Wunsch ist, edler Lysias, kann ich ihn dir nicht abschlagen. Ganz bestimmt wird den Mädchen die Schönheit Athens eine willkommene Abwechslung bieten.“
Neaira versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war, und sah ungläubig zu Metaneira, die ihr ein Auge kniff. Sie würde dieses Haus verlassen – und nicht nur für einen Tag! Sie würde für einen ganzen Mondumlauf nach Athen reisen! Den Rest des Abends hätte ihr selbst ein brutaler Mann wie Timanoridas nicht mehr verderben können.
Neaira und Metaneira fielen sich in die Arme, tanzten durch Neairas kleines Zimmer und stießen dabei Tiegel und Salbgefäße um. Neaira hatte es nicht erwarten können, mit der Freundin zu sprechen und die Nacht kaum ein Auge zugetan.
„Ich war noch nie fort aus Korinth! Athen zu sehen und in die eleusinischen Mysterien eingeweiht zu werden ist mehr, als ich mir je vorzustellen gewagt habe. Und du kommst mit uns! Die Götter lächeln uns zu.“ Metaneira, sonst ruhig und gelassen, konnte sich kaum beruhigen. Auch Neaira konnte ihr Glück kaum fassen und fragte sich erstmals, ob Lysias tatsächlich in Metaneira verliebt war ... oder liebte er sie sogar? Warum sonst sollte ein Mann das alles für ein Mädchen tun, dessen Dienste er kaufen konnte? „Weshalb hat Lysias dich nicht längst von Nikarete freigekauft?“
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