Aber für das Leben mit etwas mehr Sinn ausgestattet würden sie selbst besser darauf achten, dass alles andere dabei nicht so in Mitleidenschaft gezogen wird.
Wenn man durch die Straßen einer Stadt schlendert, dann bemerkt man, dass es nur wenige Männer sind, die mit einem Smartphone in der Hand umherwandern und den Blick darauf vertieft haben. Sehr viel häufiger sind es Frauen.
Der eine oder andere Zeitgenosse hat darüber schon eine witzelnde Bemerkung fallen lassen. Aber es hat einen einfachen Grund.
Denn Männer sind bedeutend weniger kommunikativ als Frauen.
In seinem Buch „Muttersöhne“ weist Volker Elis Pilgrim darauf hin, dass in der heutigen Zeit die Gefühllosigkeit von Männern häufig dadurch entsteht, dass Jungen fast ausschließlich von den Müttern aufgezogen werden, weil die Väter durch das Arbeitsleben nur wenig Zeit und Kraft dafür aufwenden können. Dadurch fehlen weitgehend die Identifikationsvorbilder für den stimmigen Aufbau einer männlichen Persönlichkeit.
Als direkte Folge davon besitzen sie als junge Männer oft weiblich geprägte Charaktermerkmale und merken schnell, dass sie im Berufsleben damit nicht klarkommen, weil etwas ganz anderes von ihnen erwartet wird. Deshalb bauen sie diese Charaktermerkmale wieder ab, jedoch ohne etwas dafür einzusetzen, weil der Aufbau der Persönlichkeit bereits abgeschlossen ist. So entsteht ein Loch in ihrer Persönlichkeit, das sich genau im Bereich der Gefühle befindet. 1
Ich habe einmal einen Vortrag des ehemaligen Marines und späteren Zen-Mönchs Gregory Campbell besucht. 2Während seiner Jahre in einem Zen-Kloster versuchte er zu ergründen, warum die männlichen Charakterzüge so häufig in eine Ausformung von Gewalt und eine Vernichtung des Lebendigen münden.
Es ist ihm dabei aufgefallen, dass in bestimmten Bevölkerungsgruppen, bei denen Männer solche charakterlichen Verformungen nicht aufweisen, im Alter von fünfzehn Jahren ein Ritual für den Übergang in das Mannsein abgehalten wird, in dem ein Willkommensgruß enthalten ist. Er schloss daraus, dass gesunde, männliche Ausdrucksformen in großen Teilen der männlichen Bevölkerung deshalb nicht vorhanden sind, weil der Übergang vom Jugendlichen zum Mann keine besondere Würdigung erfährt, durch die ein männliches Identitätsempfinden weitervermittelt wird. Er begann daraufhin für Männer Schwitzhüttenrituale zu organisieren, bei denen sie diesen Übergang und den damit verbundenen Willkommensgruß in das männliche Leben für sich nachholen konnten.
Dass unsere Zivilisation, die überwiegend von Männern errichtet wurde, so massive Probleme mit angemessener Wertigkeit von Lebendigkeit hat liegt daran, dass in der männlichen Welt kein klares Bild über die Wesensarten und Eigenschaften einer gesunden, männlichen Identität vorhanden ist.
Auf meiner Expedition in das hinein, was „Mann sein“ bedeuten kann, ist es immer wieder eine Herausforderung für mich, jene männlichen Qualitäten auf gereifte Weise zu entdecken, die ich als überwiegend verantwortlich für den zumeist schlechten Zustand unserer Gesellschaft erachte.
Wie schafft man es Eroberer und dennoch fürsorglich zu sein? Wie kann ich Autorität ausstrahlen, ohne dabei überheblich zu werden? Wie repräsentiere ich Aktivität, Innovation und Erfolg, ohne mich selbst darin zu verstricken oder nur das übliche Durcheinander anzurichten?
Als Mann will ich in diese Dinge lernen, weil ich sonst das Wichtigste verpasst habe. Ich weiß, dass es sich um große Kräfte handelt, die konstruktiv verwendet werden können.
Aber darin zur Reife zu kommen hat etwas mit dem völlig neu Entdecken dieser Begriffe zu tun.
Ich wurde wiederholt von Frauen darauf hingewiesen, dass ich etwas empfinden und nicht nur erdenken können muss, um es zu begreifen. Dieser Hinweis hat eine wirkliche Berechtigung. Es geht dabei um das empathische Erfassen innerer Zusammenhänge und den daraus entstehenden Moment plötzlicher Erkenntnis, über die Einbettung einer Sache in die Gesamtstruktur.
So wie es eine weibliche Ausprägung von tiefer Bewusstwerdung gibt, gibt es aber auch eine männliche. Sie erwächst daraus, inneren Zusammenhängen über ihre strukturellen Auswirkungen zu folgen und den sich daraus ergebenden Moment plötzlicher Erkenntnis in Sprache zu kondensieren.
Wenn es die zielgerichtete Lust an voranschreitender Aktivität in den Männern nicht geben würde, dann gäbe es auch nicht jene essentielle, technologische Entwicklung, die uns langsam über die Stätte unserer Geburt hinauswachsen lässt.
Wegen dieser Eigenart stehen wir nach historischem Maßstab kurz davor, uns der Familie interplanetarer Lebensformen anzuschließen, wie es der evolutionäre Wille der Schöpfung von jedem Neugeborenen erwartet.
Nur allzu oft verlieren sich Männer ab der Mitte des Lebens in ihren Positionen, Karrieren und Unternehmungen.
Doch wenn das Berufsleben wichtiger wird, als das Leben selbst, dann verliert man seinen Blick für den Sinn des Lebens und dann schleicht sich langsam auch ein dumpfer Zweifel am Sinn des eigenen Lebens ein.
Es sind nicht unsere Positionen, die das Wichtigste in unserem Leben sind. Es ist das Genießen dessen, dass uns eine Lebendigkeit gegeben wurde.
Denn darin zeigt sich das Privileg, das uns allen verliehen wurde: Auf unendlich vielfältige Weise immer wieder neu in das Leben eintauchen zu können.
KINDER
Kinder sind die heimlichen Weisen dieser Welt, denn sie verstehen noch, was Spaß bewirkt.
Es ist die ungebändigte Lebenskraft in Kindern, die viele Erwachsene dazu verleitet, wegen des entstehenden Lärms und Radaus verärgert zu sein.
Leider haben sie durch ihr unterdrücktes Lebensgefühl und allzu viele Regeln ihre eigene Lebenskraft schon so geschwächt, dass sie für dergleichen nichts mehr davon übrig haben.
Es ist nicht besonders weise Kinder als aufsässig zu bezeichnen, wenn sie einmal nicht so gehorsam sind.
Oft haben sie dann nur große Schwierigkeiten damit, sich in unsere gesellschaftlichen Zwänge einzufügen.
Gerade dadurch besitzen sie aber das einzigartige Potential, Irrwege der Vergangenheit zu ihrem längst fälligen Ende zu bringen.
Stellen Sie sich vor wie es ist, wenn man alles wahrnehmen kann – Formen, Farben, Lichtverhältnisse, Geräusche – aber sich nichts davon einordnen lässt, weil man noch nicht gelernt hat, was das alles zu bedeuten hat. Welche Begriffe man dafür verwendet und welche Qualitäten es repräsentiert.
Und dann stellen Sie sich vor, dass Sie Hunger haben und niemand ist da. Oder dass die Windeln voll sind. Dass Sie schreien und weinen, weil das der einzige Weg ist, wie Sie sich artikulieren können, aber niemand reagiert. Und Sie sind sehr beunruhigt, weil Sie keine Ahnung haben, was plötzlich los ist. Oder dass Sie einen Streit miterleben, voll lauter und bedrohlicher Untertöne, die Sie nicht verstehen können.
Und später dann, wenn Sie nachts Angst vor dem dunklen Eck neben dem Schrank haben und man nimmt Sie nicht ernst damit. Oder wenn Sie in der Nacht nach einem entsetzlichen Albtraum aufschrecken und ihre Suche nach Schutz bei einem Erwachsenen nur brummig zurückgewiesen wird.
So war es für viele von uns, ein Baby und Kleinkind zu sein. Es gibt Tausende solcher kleinen Erlebnisse, die jedem von uns auf die eine oder andere Weise widerfahren sind. Und diese Beispiele sind nur harmlose Vorgänge am untersten Ende der Bedrohlichkeitsskala. Wie muss es sich erst anfühlen, wenn Schlimmeres passiert? Wenn einem wirklich Bedrohliches widerfährt?
Unsere Kinder können wahrlich Fürsorglichkeit und Sanftmut von uns erwarten. Sie können von uns erwarten, dass sie von Lieblosigkeit, häuslicher Gewalt und Krieg verschont bleiben. Sie müssen es sich nicht erst verdienen.
Sie tragen in sich, was einmal aus uns allen werden wird, wenn sie als Erwachsene das Ruder übernehmen. Und dann sind es die innerlich zersplitterten, die in ihrem Blick auf das Leben so zerschellt sind, dass ihnen das ziemlich egal sein wird.
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