»Und wo ist es dann?«, schnippte Jan.
Die beiden Jungs suchten mit der Taschenlampe alle Ecken ab, doch das Zeichen blieb unauffindbar.
»Und nun?«, fragte Jan. Eric zuckte nur mit den Schultern. Da hörte man wieder dieses komische Heulen, was der Wind hervorbrachte, und Eric bekam eine Idee. Er setzte seinen Rucksack ab und fing an, nach etwas
Bestimmtem zu suchen.
»Was machst du da?«
»Ich suche Streichhölzer«, gab Eric knapp zurück.
»Und wozu?«
»Wenn ich eins anzünde, dann wird uns der Windhauch
sagen, welchen Weg wir gehen sollen.«
»Ach so. Gute Idee!«, rief Jan so laut, dass von allen Seiten ein Echo zurückhallte.
Vorsichtig zündete Eric das Streichholz an und hielt es hoch. Die Flamme zog eindeutig in Richtung eines Ganges, den sie daraufhin nahmen.
An der zweiten Kreuzung war das hinterlassene Zeichen klar und deutlich zu erkennen, und kurze Zeit später standen sie vor dem Engpass, der ins Freie führte.
Erleichtert schauten die Jungs an ihrem Seil auf. Allerdings schauten von oben drei Unbekannte über die Absperrung. Die Zwillinge tauschten einen Blick aus, der alles, was getan werden musste, ohne Worte sagte: so schnell wie möglich raufklettern und verschwinden. Oben angekommen, sahen sie in drei verärgerte Gesichter, die ihnen völlig unbekannt waren.
»Seid ihr verrückt geworden?«, fragte eine junge Dame besorgt.
Eric stand einfach nur da und blickte unschuldig drein. Jan hingegen holte das Seil ein, gab seinem Bruder ein Zeichen, und sie rannten davon. Damit hatte keiner gerechnet, und sie wurden nicht verfolgt.
Als sie an der Hütte, an der sie mit ihrer Mutter Rast gemacht hatten, ankamen, blieben sie stehen, um zu verschnaufen.
»Wie viel Uhr haben wir?«, fragte Eric seinen Bruder atemlos.
»Kurz nach vier.«
»Nicht gut. Wir müssen uns beeilen.«
Als sie bei ihren Eltern ankamen, war es bereits halb fünf.
Ihre Mutter war sauer, doch ihrem Vater war es egal, er wollte einfach nur einen ruhigen Urlaub haben.
»Lass die Jungs doch in Ruhe, Jenny! Sie sind alt genug, um auch mal einen Tag alleine zu verbringen. Das nächste Mal müssen wir ja nicht für sie mitkochen, dann kannst du dich nicht über kalt gewordenes Essen ärgern.«
Jenny schnaubte, und die Jungs schlangen die kalten Nudeln mit Tomatensauce hinunter.
Kurze Zeit später saßen Jan und Eric vor dem Laptop ihres Vaters und versuchten, im Internet herauszufinden, von welchem Tier das Ei war. Doch egal, auf welcher Seite sie suchten, auf den Bildern war keines wie ihres abgebildet.
»So, noch fünf Minuten, dann macht ihr das Ding aus!«, riss ihre Mutter sie aus der Suche.
»Warum?«
»Das Wetter ist zu schön, um vor dem Ding zu hocken, außerdem ist es der erste Tag, und wir gehen alle früh schlafen.«
Die Jungs rollten mit den Augen und klappten den Laptop zu.
Am nächsten Morgen frühstückten alle zusammen.
»Können wir nach dem Frühstück an deinen Laptop, Papa?«, fragte Jan.
»Warum denn?«, wollte Daniel wissen.
»Wir müssten etwas herausfinden«, sagte Jan knapp und sprach nicht weiter, als ihm Eric unterm Tisch gegen das Schienbein trat.
»Okay, aber nur kurz. Wir wollen heute einen Ausflug mit euch machen.«
»Wohin denn?«
»Bogenschießen im Nachbartal. Ihr habt doch beide schon so oft davon geschwärmt.«
Beide nickten, doch sie wollten lieber herausfinden, was das für ein seltsames Ei war, anstatt irgendetwas anderes zu unternehmen.
Nach einer halben Stunde waren sie immer noch nicht fündig geworden, und die Zeit wurde knapp, denn ihre Mutter fing schon an, einen Rucksack zu packen.
»Gib am besten bei Google Bildlexikon Eier ein«, flüsterte Eric.
»Nein, das hatten wir schon«, sagte Jan.
»Wie wäre es mit: schwarzes Ei mit gelb-roten Adern?«, fragte Eric.
»Das hatten wir auch schon«, gab Jan resigniert zurück.
»Gib es noch mal ein, was hatten wir da gefunden?«
»Nur Bilder und Texte über Raupeneier.«
Für einen kurzen Moment sah es so aus, als seien die beiden Jungs vor dem Laptop eingefroren.
»Dann probiere mal: Ei schwarz rote Adern in Höhle«, sagte Eric.
»Das bringt doch nichts.«
»Mach es trotzdem.«
Jan tippte die Suchanfrage bei Google mit seinem Zwei-Finger-Such-System ein und drückte auf Enter. Der zweite Link sah vielversprechend aus.
»Öffne den da mal!«, forderte Eric ganz aufgeregt und zeigte auf den Bildschirm. Und tatsächlich, dort war ein Bild von ihrem Ei abgebildet.
Die Augen der Jungs weiteten sich, als sie den Text lasen.
… Es handelt sich um ein versteinertes Ei, das 1830 in Zentralasien entdeckt worden ist. Dieses Ei wurde in einer Höhle mit Malereien entdeckt. Die Höhle ist heute nicht mehr aufzufinden, doch die Bilder wurden auf Papyrus übertragen. Sie erzählen die Geschichte des Phoenix. Seltsamerweise wurde der Fund nicht ernst genommen, weil die Gesellschaft bis heute noch glaubt, dieser Vogel sei nur eine ägyptische Mythologie
und habe in Asien nichts verloren. Doch glauben Sie mir: Es gab ihn wirklich. Viele meiner Kollegen halten mich oder meine Theorien für verrückt, doch sie sind wahr. Er steht heute noch für die Unsterblichkeit, und meiner Meinung nach steckt in jedem Mythos ein Funken Wahrheit…
Einen Großteil des Textes überflogen die Zwillinge.
Doch an einer Stelle wurden sie wieder aufmerksamer:
… Das Ei muss in ein Feuer von 600 - 800°C gelegt werden. So hoch geschichtet, dass das Ei komplett verdeckt wird. Mindestens für sechs Stunden. Ein normales Lagerfeuer ist ausreichend, um das Leben in den ersten Zyklus zu schicken …
»Kommt jetzt, wir wollen los!« Wieder einmal war es ihre Mutter, die sie unterbrach.
»Sollen wir es ausprobieren?«, fragte Eric.
»Ja, warum denn nicht? Lass uns zur Hütte gehen und ein Lagerfeuer mit dem Ei veranstalten! Wer weiß, was passiert«, antwortete Eric.
»Sicher, dass wir es nicht einfach nur zerstören? Dafür ist es zu schön.«
»Jan, Eric, kommt jetzt!«, forderte ihr Vater energisch.
»Ja, wie kommen ja schon«, antworteten beide gleichzeitig.
»Lass es uns probieren, wenn wir zurück sind!«
»Okay.« Jan gab der Bitte seines Bruders nach.
Ihr Vater rief erneut.
»Müssen wir unbedingt mit?«, rief Jan zurück. Daniel streckte den Kopf zum Wohnwagen herein und schaute entgeistert.
»Ihr beide liegt mir doch seit der Urlaubsplanung schon in den Ohren, dass ihr unbedingt Bogenschießen wollt, also kommt ihr nun auch gefälligst mit!«
Gerade als Jan den Mund öffnen wollte, schnitt ihm sein Vater das Wort ab: »Keine Widerrede!«
So verbrachten sie den halben Tag beim Bogenschießen, doch die beiden Jungs konnten nur an eins denken: das Ei. Immer wenn ihre Eltern vorrausgingen, planten sie, wie sie das mit dem Lagerfeuer am besten anstellten. Je später es wurde, desto unruhiger wurden die Jungs. Am liebsten hätten sie ihren Fund sofort in ein Lagerfeuer gebettet. Von sechs Stunden war auf der Internetseite die Rede. Wenn sie wie geplant um sechzehn Uhr am Wohnwagen ankämen, loszogen und ein Feuer machten,
wäre die Zeit frühestens um dreiundzwanzig Uhr vorbei. Das würde Überredungsarbeit bei ihren Eltern kosten, doch beide beschlossen, dass es ihnen das wert war. Denn die beiden waren sich einig, bis zum nächsten Tag wollte keiner warten. Es musste eine Lösung her.
Am Ende des Bogenparcours kam beiden eine super Idee. Sie wollten ihre Eltern dazu überreden, an der Hütte zur Klamm hin übernachten zu dürfen. Dort war es perfekt. Sie hätten ihre Ruhe, und eine Feuerstelle war auch schon da. Genug Holz würden sie schnell im Wald sammeln können. Jetzt galt es nur noch, die Eltern von ihrer Idee zu überzeugen.
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