Ich werde einen instabilen Eisklotz erstellen. Eine kleine Pumpe aus meinem Labor bläst bis zum Durchfrieren genügend Luft in meinen neuen Klotz. Ein paar Versuche und Veränderungen der Bedingungen und ich bin mit meinem neuen Klotz durchaus zufrieden. Ich lege ihn auf die Waage und aufgrund der deutlichen Gewichtsreduzierung weiß ich, dass genügend Luftbläschen eingeschlossen sind. Zwei Tage später mache ich mich wieder auf den Weg zur alten Eisbahnbrücke, checke schon routiniert die Umgebung und lasse wieder meinen Klotz in die Tiefe fallen. Tausend Splitter liegen weit verstreut um den Aufschlagpunkt.
Ich muss nur wenige Minuten warten und fast ausnahmslos haben sich die kleinen Eisbröckchen bei den abendsommerlichen Temperaturen rückstandsfrei in Wasser verwandelt. So werde ich es machen. Die zahlreichen Mückenstiche nehme ich fast mit Genugtuung hin. Wieder Zuhause angekommen gönne ich mir einen Drink und gehe wie in einem Film immer wieder meinen Plan durch. Zufrieden schlafe ich ein, werde irgendwann mitten in der Nacht meinen Schlafplatz verlassen und gehe ins Bett. Ich fühle mich einfach gut.
Seit Tagen grübele und grübele ich. Es gibt nach wie vor ein ungelöstes Problem. Ich werde kein Alibi haben und muss eventuell meine Nähe zum Tatort erklären. Plötzlich - eine Idee. Warum bin ich nicht früher darauf gekommen. Foto, ganz einfach Foto. Ich spiele die Rolle eines leidenschaftlichen Hobbyfotografen und werde das als Tarnung nutzen. Die Details werde ich mir noch überlegen. Mein Puzzle ist komplett. Selbstverständlich habe ich dann kein Alibi. Aufgrund meines Singlelebens ist es glaubwürdig, dass ich meistens keines habe. Zumindest gebe ich bei Bedarf eine plausible Erklärung für meine Anwesenheit.
Wir haben einen extrem heißen Sommer. Alle zwei bis drei Tage kommt eine Abkühlung durch ein Gewitter, um dann in den Folgetagen eine fast unerträgliche Schwüle zu erzeugen. Wieder einer dieser heißen Sommertage - schnell noch vor dem Gewitter, mähe ich den Rasen.
Kaum fertig, setzt wieder ein heftiges Gewitter ein und der Himmel sendet mir eine Botschaft. Hagel, taubeneiergroße Hagelkörner. Welche eine Pracht! Nie habe ich solch schöne Hagelkörner gesehen. Im Fernsehen wird von den vielerorts niedergegangenen Hagelschauern berichtet. Schäden in der Landwirtschaft, an Häusern und Fahrzeugen werden in eindrucksvollen Bildern gezeigt. Gebraucht hätte ich sie nicht. Ich habe meinen Plan bereits modifiziert.
Ich kaufe mir Formen für runde Eiswürfel. Runde Eiswürfel, was für eine idiotische Bezeichnung. Demnächst gibt es eckige Kugeln. Ich störe mich nicht weiter an der Bezeichnung, aber am Ergebnis. Die ersten Eiskugeln gefallen mir nicht. Google-Anfrage „Eiswürfel machen" und ich habe genügend Anleitungen.
Meine tischtennisballgroßen Eiskugeln sind fertig und das Ergebnis stellt mich zufrieden. Trotzdem, ich habe kein gutes Gefühl. War das ein Fehler, ein schwerer Fehler? So was darf mir nicht mehr passieren. So etwas darf mir nie mehr passieren. In Zeiten von NSA und Datenvorratsspeicherung kann ich nicht via Internet bei Google anfragen. Ich darf keine Fragen an Google richten, die mich verraten könnten. Entweder muss ich diese Google-Anfrage, diesen Fehler akzeptieren oder den Plan noch einmal ändern. Das könnte mich verraten. Selbst der schlechteste Ermittler wird sämtliche Internetspuren und vor allem die Suchbegriffe untersuchen. Ich entscheide mich für das Risiko.
Etwas anderes wird mir bewusst. Ich wollte einen Klotz erstellen. Jetzt habe ich lediglich einzelne Kugeln. Will ich das? Die Idee war die geringe Bodenfreiheit des Ferraris auszunutzen. Die Kugeln richten dort nichts an. Höchstens zerschlagen sie die Windschutzscheibe. Will ich das? Das wäre eine neue Dimension. Nein, das ist nicht meine Absicht.
Noch einmal muss ich meinen Plan modifizieren. Das Prinzip ist einfach und es mir aus der Modellbildung des Chemieunterricht entliehen. Fünf mal fünf Reihen aneinandergelegt ergibt die Basis. Leicht antauen und dann wieder anfrieren. Und das Ganze in fünf Schichten. Die ersten Haltbarkeitsversuche. Ich teste die Festigkeit mit dem Vorschlaghammer.
Jeden Durchlauf habe ich gründlich protokolliert. Das habe ich lange genug beruflich gemacht. Endlich wieder ein wenig wissenschaftliches Arbeiten. Erst als ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, traue ich mich wieder an die Brücke. Schon fast wie ein Ritual prüfe ich erst die Umgebung auf mögliche Beobachter, um dann das Experiment zu beginnen. Das Ergebnis des Wurfversuches ist für mich überzeugend. Die Stechmücken haben sich wieder über meinen Besuch gefreut und können mit meinem Blut den Fortbestand der nächsten Generation absichern.
Mein erster Eisklotz muss heute umziehen. Ich nehme ihn aus der dem Tiefkühlschrank meines Privatlabors und gebe ihn in den Laborkühlschrank. Er muss heute leider geopfert werden. Ich muss den Aggregatzustand ändern. Er muss aufgetaut werden. Ich benötige das Wasser, das Regenwasser. Heute erzeuge ich die hoffentlich letzte Version meines Klotzes. Bisher gab es nur Testobjekte. Jetzt kommt die finale Phase. Um Verunreinigungen zu vermeiden, taue ich mein gefrorenes Regenwasser im Kühlschrank auf. Das dauert zwar deutlich länger, ist aber sicherer. Noch stehe ich nicht unter Zeitdruck.
Ich glaube, ich bin bestens vorbereitet. Ich hoffe, an alles gedacht zu haben. Nicht eine Sekunde kommt mir der Gedanke, dass ich von meinem Vorhaben ablassen sollte. Mein Bedürfnis, mich zu rächen, ist nach wie vor ungebrochen. Kameraausrüstung im Fotorucksack, das spezielle Mountainbike, ein spezielles Fernglas für Jäger und gerade nachts besonders geeignet, Regenschutz und mein selbstgemachter Klotz. Die von mir ausgewählte Brücke liegt etwa 60 km entfernt. Im Prinzip ist das in Ordnung. Ich muss nur auf den richtigen Tag warten. Oh verdammt, ich habe schon wieder einen Fehler gemacht.
Zwischen meiner Abfahrtszeit mit dem Fahrrad und dem Ereignis werden mindestens vier Stunden liegen. Bei meinen Tests an der Brücke musste ich immer nur eine halbe Stunde fahren. Bei vier Stunden laufe ich Gefahr, dass mein Klotz und die einzelnen Kugeln auftauen und damit nicht mehr hinreichend verbunden sind. Die Lösung ist für mich einfach. Ich muss es nur berücksichtigen.
Aus einem speziellen Isolierschaum fertige ich einen Transportbehälter, der zum einen gut isoliert und gleichzeitig die Kugelkonstruktion vor eventuellen Schäden durch den Transport auf dem Fahrrad schützt. Ich habe es im Garten ausprobiert. Vier Stunden in der prallen Sonne haben einem Eisklotz in seiner Verpackung so gut wie nichts anhaben können. Auch ein kräftiger Schubs über mehrere Treppenstufen hat die Transporteinheit problemlos überstanden.
Es ist Sonntag und für die kommende Woche sind für jeden Abend Hitzegewitter angekündigt. Der kommende Mittwoch könnte mein Tag werden. Ich werde wach. Wir haben Mittwoch und der Wetterbericht sagt für heute wieder Gewitter voraus. Gewitter haben leider den Nachteil, dass Sie in der Regel lokal auftreten und fast nicht kalkulierbar sind. Ich werde es versuchen und losfahren. Notfalls gibt es noch einige Mittwoche.
Jetzt wird es ernst. Ich bin bereits auf dem Weg und merke, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Es gibt doch sehr viele Möglichkeiten, Spuren zu hinterlassen. Ich habe mein Handy dabei. Das wäre eine fatale Spur und vor allem eine Spur, die nach Wochen und Monaten noch existieren würde. Wie kann mir nur so etwas passieren?
Aus Gründen der Tarnung fahre ich in den naheliegenden Baumarkt, kaufe die ohnehin benötigten Ersatzblätter für meine Stichsäge, um Zuhause Sägeblätter und vor allem das Handy zurückzulassen. Ich starte einen zweiten Versuch. Noch bin ich gut im Zeitplan; einen weiteren Zeitverlust kann ich mir allerdings nicht erlauben.
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