Norbert Böseler
Quick
Drei Monate Leben
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Inhaltsverzeichnis
Titel Norbert Böseler Quick Drei Monate Leben Dieses ebook wurde erstellt bei
Warten
Das Ei
Das Date 1
Der Mutant
Das Date 2
Die Schwangerschaft
Die Geburt
Enttäuschung
Quick
Kreuzer
Veränderungen
Neues Heim
Alte Heimat
Erste Erkenntnisse
Annäherungen
Zeit vergeht 1
Besuche
Eskalation
Offene Fragen
Begegnungen
Die Prophezeiung
Zuneigung
Entdeckungen
Zeit vergeht 2
Aufbruch
Zusammenkunft
Impressum neobooks
Abgeschnittene Fingernägel lagen wahllos verstreut auf dem alten Tisch. Wie verendete Mehlwürmer verteilten sie sich auf der zerkratzten Holzplatte. Einige befanden sich auch auf dem verblichenen Dielenboden, direkt neben einem Büschel grauer Haare. Fein säuberlich aufgereiht standen zwischen den Fingernägeln sechs Patronen. Silbern glänzten sie im ersten Tageslicht. Mit zitternder Hand nahm der alte Mann die erste Patrone von links und führte sie zu der geöffneten Trommel seines handlichen Revolvers. Seine unruhige Hand verfehlte zunächst das kleine Ladeloch. Beim zweiten Versuch drückte er die Kugel ohne Probleme in die gähnende Leere der Aufnahme. Nach und nach lud er die restlichen fünf Patronen ein, schloss die Trommel, und legte die Waffe auf den Tisch ab.
Ihm war kalt. Nur mit T-Shirt und Jeans bekleidet saß er vor Kälte bibbernd auf einem wackeligen Holzstuhl. Seine nackten Füße steckten in Sandalen. Die Zehennägel hatte er nicht abgeschnitten. Er würde es später nachholen, wenn es noch ein Später gab.
Obwohl es mitten im Sommer war, hatte es sich in der Berghütte die Nacht über merklich abgekühlt. Jetzt am frühen Morgen schienen aber schon die ersten Sonnenstrahlen durch das verschmutzte Butzenfenster. Eine leichte Windböe drang durch die zum Teil lückenhafte Verbretterung ins Innere und wirbelte Staub auf, der im jungfräulichen Tageslicht durch die Luft tanzte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne hoch über dem Berg stand und mit ihrer strahlenden Kraft die Hütte erwärmte. Solange musste der alte Mann hier ausharren, wahrscheinlich noch länger. Hoffentlich nicht noch eine Nacht. Er wusste nicht, ob er eine weitere Nacht bei eisiger Kälte überleben würde. Sowieso beschäftigte ihn die Frage nach dem nahenden Lebensende. Sein Körper hatte in den letzten Tagen doch rapide abgebaut. Geistig war er nach wie vor Herr seiner Sinne, aber die Müdigkeit, die sich in seine maroden Glieder schlich, bereitete ihm große Sorgen. Die Altersflecke in seinem Gesicht und auf den Armen vermehrten sich täglich und übersäten seine sonnengebräunte, leicht runzelige Haut. Seine Haare und der Bart wurden mit der Zeit immer grauer, was er aber nicht als störend empfand. Die langen Haare hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, so konnte er sie einfacher abschneiden, wenn sie zu lang wurden. Es war noch gar nicht lange her, da hatten seine Haare die Farbe von Ebenholz. Erstaunlicherweise verfügte er über makellose Zähne, noch befanden sich alle an Ort und Stelle, was er sehr verwunderlich fand. Sonderbar waren nicht nur die Zähne des alten Mannes.
Er hieß Nick, wurde aber von bestimmten Leuten, die ihn nur als Wunder der Natur betrachteten, Quick genannt. Seine Mutter hatte er nie kennengelernt. Auf seinen Vater wartete er jetzt. Wie sein Erzeuger hieß, wusste er nicht, wahrscheinlich Luzifer, denn er schien direkt aus den Tiefen der Hölle zu kommen.
Quick war drei Monate alt und wartete.
Das Ei lag auf dem Grund einer Felsspalte. Es unterschied sich mit seiner aschgrauen Färbung kaum von den umliegenden Felsbrocken. Die Oberfläche des Eies war glatt und zu einem perfekten Oval gerundet. Es hatte eine überdimensionale Größe, an der längsten Stelle fast achtzig Zentimeter lang. Im Hintergrund zeichneten sich dunkle Umrisse einer Grotte ab. Es könnte aber auch der Zugang zu einer verborgenen Höhle sein, die mit aufgetürmten Gesteinsbrocken unzugänglich gemacht worden war. Die hochstehende Sonne schien durch die enge Felsspalte und erhellte das riesige Ei, dessen Schale im Licht glänzte. Jeden Tag um diese Zeit erwärmte das einfallende Sonnenlicht das Ei, so, als läge es in einer natürlichen Brutmaschine. Seit wie vielen Tagen oder gar Jahren dem so war, vermochte keiner zu sagen. Doch am heutigen Tag fing das Ei an sich zu bewegen. Langsam, kaum mit bloßem Auge erkennbar, schaukelte es leicht hin und her. Wenn man genau hinhörte, konnte man ein dumpfes Klopfgeräusch hören.
„Tack, Tack, Tack“, als würde jemand von innen auf das Ei einhacken. Die schwankenden Bewegungen nahmen zu, aber das übergroße Ei kam nicht ins Rollen. Der Felsboden war eben und verhinderte somit, dass das Ei gegen einen Stein stieß und zerbrach. So musste sich das, was in dem ovalen Rund steckte, aus eigener Kraft befreien. Dass etwas schlüpfen wollte war nun ganz offensichtlich. Die hackenden Geräusche nahmen zu. Obwohl die engen Felswände den Klang zum Teil verschluckten, konnte man sie deutlich hören.
„Tack, Tack, Tack.“
Ein feiner Riss bildete sich auf der glatten Oberfläche des Eies. Dann zeichneten sich weitere fadengleiche Risse ab. Mehr und mehr entstand ein Netz aus haarfeinen Äderchen. In der Mitte des Netzes formte sich eine geringfügige Wölbung, die stetig anwuchs. Dann hielt das Ei dem Druck nicht mehr stand und ein kleines Stück Schale brach aus der Wölbung heraus. Es fiel an der Außenhaut entlang hinunter und kam auf dem Felsboden zum Liegen. Das herausgebrochene Stück Schale war außergewöhnlich dick. Es folgte ein weiteres „Tack, Tack, Tack“, welches nun anders klang als bei dem geschlossenen Ei. Nach einigen weiteren Hackgeräuschen durchbrach ein spitzer, leicht gebogener Schnabel das Netz aus Rissen, woraufhin erneut ein Stück Schale zu Boden fiel.
Es herrschte eine gespenstische Ruhe. Der Bewohner des Eies schien sich zu erholen. Man konnte bei genauerem Hinhören schmatzende Geräusche vernehmen. Kurze Zeit später bewegte sich das gigantisch anmutende Ei wieder.
Zwei kleine dunkle Finger ragten plötzlich aus dem entstandenen Loch, dann folgte eine menschliche Hand. Die kleine Hand machte sich an der Eischale zu schaffen, brach systematisch weitere Stücke heraus. Langsam aber stetig vergrößerte sich das Loch. Mit scheinbar stoischer Ruhe verschaffte sich das Wesen im Ei immer mehr Freiraum und eine zweite Hand kam zum Vorschein. Etwas Schleimiges tropfte von der Hand und lief die Außenhülle des Eies hinab. Das Schlupfloch nahm an Umfang zu. Als das Loch scheinbar groß genug war, verdunkelte es sich, und langsam stieß ein Kopf hindurch. Vorsichtig schob sich der Kopf durch die Öffnung nach oben. Dann blickten ein paar Augen ins Freie. Schleim lief vom Schädel über die Augen. Der kleine Eibewohner wischte es ab. Mit seinen kleinen geballten Fäusten schlug das Wesen auf die sperrige Oberfläche ein, dabei tropfte weiterer Schleim von dessen spitzem Kinn. Als die dicke Schale weit genug herausgebrochen war, stemmte sich das Neugeborene vollends aus dem Ei. Ein menschliches Baby mit dunkler Hautfarbe hatte das Licht der Welt erblickt.
Das Neugeborene legte sich auf den harten Felsboden und ließ sich von der einfallenden Sonne wärmen. Die glibberige Masse an seinem Körper trocknete ab und hinterließ helle Flecken auf der dunklen Haut. Nase und Mund des Babys sahen noch etwas unförmig aus, bildeten sich aber sichtlich zurück, und nahmen menschliche Züge an. Es atmete gleichmäßig, dabei gab es schmatzende Geräusche von sich. Unverkennbar war, dass es sich bei dem geschlüpften Baby um einen Jungen handelte. Nach wenigen Minuten sah der Säugling ganz normal aus. Mit hellwachen Augen erkundete der dunkelhäutige Junge die neue Umgebung. Die nun klaren Formen des Gesichtes bildeten ein verschmitztes Lächeln. Der Säugling rappelte sich an dem Ei hoch und griff mit beiden Händen hinein. Er schöpfte den schleimigen Dotter ab und trank es aus seinen Händen. Immer wieder langte der Kleine in das Loch und trank die grünlich gelb aussehende Flüssigkeit. Als er gesättigt zu seien schien, legte der Säugling sich hin, schloss die Augen und schlief ein.
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