Eva Johne
Sebastian in der Mühle
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Inhaltsverzeichnis
Titel Eva Johne Sebastian in der Mühle Dieses ebook wurde erstellt bei
Sebastian und die Mühlenführung
Ankunft in der Mühle an der Schoone
Alltag in der Mühle
Ein Arbeitstag in der alten Mühle
Das große Fest
Wieder ein hohler Baum
Impressum neobooks
Sebastian und die Mühlenführung
Die Schulglocke ertönte. Augenblicklich entstand in der 6. Klasse ein ohrenbetäubender Lärm. Die Kinder hüpften hoch, stellten schnell die Stühle auf die Tische, nahmen die heute leichten Schultaschen und stürmten los. Lächelnd schüttelte die Lehrerin den Kopf. Es war jedes Jahr das gleiche Bild. Sie atmete tief durch: Endlich Schulferien!
Vor der Schultür tauschten Sebastian und Anna mit einigen anderen aus der Klasse einen kurzen Gruß und schwenkten dann in ihre Straße ein. „Du hast es gut“, Anna seufzte. „Du bist heute Abend in der alten Mühle, und ich muss noch zwei Wochen warten, ehe wir nach Dänemark fahren. Na ja, was soll‘s. Grüß Paul von mir und mach’s gut.“ Sie verschwand hinter der Haustür.
Zu Hause legte Sebastian das Zeugnis auf den Küchentisch und schrieb einen kleinen Zettel an seine Eltern, mit dem er die 4 in Englisch abdeckte:
„Tschüss, bis in einer Woche, ich fahre jetzt zu Onkel Thomas in die Mühle. Euer Sebastian.“
Im Flur schnappte er sich den von Mutti gepackten Rucksack, holte aus dem Kinderzimmer noch Kaugummis, den kleinen Gummiball, ein Knäuel fester Schnur, einen Kugelschreiber, eben ein paar Sachen, von denen er glaubte, sie gebrauchen zu können in der Mühle und stopfte alles in seine Hosentaschen. Dann suchte er Vaters Taschenmesser. Er fand es in der Schreibtischschublade und „borgte“ es aus für eine Woche. Hoffentlich bemerkte der Vater den Verlust des schönen Schweizer Messers nicht sofort. Sebastian besaß ebenfalls eins, aber das war längst nicht so gut wie Vaters. Außerdem konnte er es nicht finden. Er wollte sehr gern Borkenschiffe schnitzen und auf der Zschone schwimmen lassen. Möglichst mit Paul, seinem Freund, der in der Nähe der Zschoner Mühle wohnte. Ach, die gute alte Mühle. Jedes Jahr kam er hierher zu Onkel Thomas und half ihm gelegentlich bei allerlei Arbeiten. Bei den aufwändigen Sanierungsarbeiten in der Mühle hatte der Onkel eine Technik einbauen lassen, die ungefähr in den Jahren 1500 — 1700 aktuell war, so dass die Fachwerkhäuser des Vierseithofes und die Mühlentechnik gut zusammenpassten. Natürlich war hin und wieder etwas kaputt an der alten Mühlenkonstruktion. Sebastian durfte bei den Reparaturen helfen. Das fand er gut. Mindestens genau so gut waren die verrückten Jeep-Fahrten mit dem Onkel. Er freute sich auf die Zeit in der Mühle, wenn nur nicht immer der lange Weg zu bewältigen wäre: ½ Stunde Straßenbahn, ½ Stunde Bus und ½ Stunde laufen. Das konnte einen schon ganz schön anöden.
Na ja, es war bald geschafft. Im Bus nach Briesnitz malte er sich aus, wie er ganz allein die Mühle bedienen durfte und dass Onkel Thomas ganz begeistert sein würde von seinem Können! Er träumte davon, eine Mühlenführung zu machen, genau so gut wie sein Onkel das konnte. Dann dachte er daran, dass er dieses Jahr endlich mit Paul die Höhle im Zschoner Grund erkunden wollte. Paul meinte zwar, dass es gar keine richtige Räuberhöhle ist, sondern nur ein alter Bergwerksstollen, aber das war ja ganz gleich. Auch einen Stollen konnte man schließlich erkunden. Anna, seine Freundin, hatte ihn schon beneidet um das Abenteuer und glaubte, dass es in Dänemark ganz bestimmt nicht abenteuerlich zugehen würde. Gemeinsam hatten sie darüber beraten, wie man den Höhlenausgang wiederfinden konnte, falls man sich verlief. Sebastian wusste, dass man nur eine Schnur an einem Baum vor dem Eingang befestigen, sie beim Hineingehen abrollen und beim Hinausgehen wieder aufrollen musste. Anna hatte ihm aber geraten, vorsichtshalber auch Kreide einzustecken. Vielleicht konnte man sie zum Markieren gebrauchen. Da fiel ihm ein, dass er die Taschenlampe zu Hause liegengelassen hatte. Er griff in seine Hosentasche, ja, die Schnur war da. Und Kreide hatte Onkel Thomas.
Der Bus hielt. Sebastian stieg aus. Mit ihm eine Horde Kinder. Er bahnte sich etwas unsanft einen Weg durch die Gruppe und beschloss, den Fußmarsch zur Mühle rasch hinter sich zu bringen. Unterwegs begegnete er einer weiteren Gruppe, die sich vor einer Lehrtafel im Zschoner Grund aufgebaut hatte und den Erläuterungen der Erzieherin mehr oder weniger aufmerksam lauschte.
„Wo kommen die denn her?“ fragte sich Sebastian und überlegte, dass es Hortkinder sein könnten. Lehrtafeln in den Ferien! Dazu hätte er jetzt keine Lust. Er fand es gemein, dass die Erzieher die Kinder mit den Lehrtafeln quälten. Und dann vielleicht noch einen Aufsatz darüber schreiben! Nein, das war nichts für ihn.
Sebastian sah sich um. Eile war angebracht, wollte er vor allen anderen ankom-men. Die Kinder wanderten bestimmt zur Mühle.
Atemlos rannte er durch das Hoftor und genau auf Onkel Thomas zu, seinen 1,80 m großen und nicht ganz schlanken Onkel, der gewichtig in voller Müllermontur, also ganz in Weiß in Leinenhemd, Müllerschürze und Müllerhut in der Haustür stand.
„Hallo, Onkel Thomas!“ rief Sebastian. Der Müller reagierte nicht.
„Glück zu, Onkel Thomas!“ verbesserte er seinen Gruß. Das war doch der richtige Müllergruß. Oder? Unsicher schaute er dem Onkel ins Gesicht und entdeckte die kleinen Lachfältchen um die Augen.
„Glück zu, Sebastian!“
Der Müller begrüßte ihn mit Handschlag, schaute aber gleich wieder zum Tor hinüber. Sebastian bemerkte, wie der Onkel nervös an seinem Bart zupfte, der bereits einige kahle Stellen zeigte. War das alles, was der Onkel ihm zu sagen hatte? Eigentlich hatte er sich die Begrüßung anders vorgestellt. Vorsichtig fragte er:
„Onkel Thomas, was ist denn eigentlich los?“
Durch diese Frage wurde der Onkel noch unruhiger, kratzte den Wuschelkopf unter dem Müllerhut und schaute ungeduldig auf seine Uhr am Handgelenk.
„Gute Frage. Ja, was ist los hier? Das möchte ich auch gern wissen! Seit einer viertel Stunde stehe ich in der Tür, und die Mühlenführung müsste längst in vollem Gange sein. Bald kommt schon die nächste Gruppe. Außerdem stehen die gelieferten Bierfässer noch im Wege herum. Der Hausmeister ist weg, der sie einräumen soll. Und die Puppenspieler! Sie sollten längst angekommen sein, um ihre Bühne aufzubauen. Ich sehe schon, es geht wieder einmal alles schief.“ Während dieser langen Rede klapperte Onkel Thomas heftig mit dem großen Schlüsselbund. Sebastian kannte diese Anzeichen von seinen vorherigen Besuchen und wusste, dass man in solchen Momenten lieber schnell verschwand. Dennoch fragte er: „Onkel Thomas, du wolltest heute mit mir ein paar Dinge am Wasserrad reparieren. Klappt das?“ Onkel Thomas winkte ab: „Heute wird das nichts. Ich muss erst im Baumarkt noch Holz holen. Dann kann es los gehen.“ Es war wie immer, Onkel Thomas kam nie mit seinen Terminen unter einen Hut. „Ach, Onkel Thomas, du hast es versprochen...“ Sebastian wollte gerade etwas schärfer mit seinem Onkel reden, da passierten zwei Dinge gleichzeitig. Die Kinder, die Sebastian an der Lehrtafel getroffen hatte, stürmten mit großem Geschrei in den Hof und der große dunkelrote Transporter der Puppenspieler bog um die Hausecke.
Das Gesindehaus und die Puppenspieler
Mehrere Stufen auf einmal nehmend, gelangte Sebastian im ersten Stock des Mühlenhauses an und riss die grüne Bürotür auf. Er grinste, auch das war wie immer. Alle starrten in die Computer, die Vereinsleute und die Gaststättenmitarbeiter. Keiner schaute hoch und Sebastian brüllte nur: „Hallo, ich bin wieder da!“, knallte die Tür zu und wandte sich zur Küche. Die beiden Köche waren bei den Vorbereitungen fürs Mittagessen. Sebastian erkannte nur den Lehrling. ‚Aha‘, dachte er, ‚wieder einmal ein neuer Koch.‘
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