Mit anderen Worten: der bereits vollzogene, also vergangene Denkprozess hinterlässt greifbare Spuren, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, weil sie das einzig Wahrnehmbare sind, dem wir bisher im Bereich des Denkens begegnen. Ich darf Sie bitten, noch keine speziellen psychologischen Vorstellungen mit den sprachlichen Ausdrücken, die wir verwenden, verbinden zu wollen. Wir treffen keine empirischen Feststellungen über den genauen psychischen Ablauf der Vorgänge, die zu dem führen, was wir „Gegenüberstellung“ nennen, d.h. wir reden nicht von „Wahrnehmungsorganen“, von denen wir ohnehin nichts wissen, wir bedienen uns einer metaphorischen Sprache, wozu auch die Begriffe „Auge“, „Leere“ und „Nichts“ gehören. Es wird Ihnen nicht schwer fallen, das Phänomen der Gegenüberstellung als die reale und erfahrbare Situation zu betrachten, in der wir uns immer schon befinden, wenn wir denken wollen. Wie sie zustande kommt, soll uns später im Rahmen des Möglichen beschäftigen. Was wir aber hier schon feststellen können und was unmittelbar durch sich selbst einleuchtet, ist die Tatsache, dass es nur dort Gegenüberstellungen geben kann, wo sich ein Ich befindet. „Ich“ und „Gegenüberstellung“ sind korrelative Begriffe und damit die genuine Form einer unausweichbaren Situation, die völlig unabhängig davon ist, wie man sie interpretiert. Uns interessiert hier ausschließlich, was uns innerhalb des Denkprozesses gegenübertritt, und zwar in einer Weise, dass die Philosophie so häufig in Versuchung geriet, dieses Etwas als ein Gegenständliches einzuführen, das aus und für sich selbst existiert. Dieser „Platonismus“, wie man heute sagt, war nicht in der Lage, die verwunderliche Gegenständlichkeit der begrifflichen Gegenüberstellung zu durchschauen, und zwar deshalb nicht, weil er sich vom scheinbaren Dingcharakter der Begriffe hat täuschen lassen. Und zunächst ist der Eindruck dieser Dinglichkeit ja tatsächlich vorhanden. Wir wollen hier noch nicht untersuchen, worauf er in Wahrheit beruht. Was uns innerhalb des Denkens gegenübertritt, das sind Begriffe, von denen wir glauben, dass wir sie von den raumzeitlichen Vorstellungen trennen und isolieren können. Aber wir wissen noch nicht, was Vorstellungen überhaupt sind. Trotzdem bleiben wir bei dem „Begriff des Begriffs“, weil wir gezwungen sind, ihn irgendwie zu denken.
Die Denktätigkeit, so hatten wir festgestellt, bringt Begriffe hervor, sog. Resultate, mit denen wir uns befassen können, während der Vorgang des Produzierens, die Entstehung der Begriffe, sich jeder Beobachtung entzieht. Es gibt demnach ein Denken und ein Gedachtes, eine Tätigkeit und ein fertiges Ergebnis - und dieses „Gedachte“ wollen wir der leichteren Verständigung halber als Kogitat bezeichnen. Kogitate sind die Resultate der Denktätigkeit, das zweite Element des Denkens, und zwar das einzige, das in die Gegenüberstellung übergeht und der mehr oder weniger klaren „Betrachtung“ offensteht. Damit erhalten die Begriffe prinzipiell denselben Wahrnehmungsstatus wie alle anderen Wahrnehmungen aus der Seelen- und Sinnenwelt, den Status der Gegenüberstellung, mögen die psychologischen Unterschiede sein, wie sie wollen. Um wenigstens einen Anhaltspunkt zu haben, wo sich diese Kogitate nach ihrem Entstehungsvorgang in der psychischen Sphäre des Menschen niederlassen, um wahrgenommen (ins Bewusstsein gehoben) werden zu können, wollen wir wieder einen metaphorischen Ausdruck verwenden, der allerdings einen realen Vorgang bezeichnen soll, obwohl wir nicht in der Lage sind, seine empirische Struktur zu analysieren. Wir dürfen als unmittelbare Parallele das Erinnerungsvermögen heranziehen, das Vergangenes in Vorstellungen festhält, die wir im Bedarfsfall je nach Zusammenhang reproduzieren können, wenigstens so häufig, dass die Kontinuität unseres Lebens gewahrt bleibt. Kein Psychologe kann Ort und Stelle angeben, wo die Erinnerungsbilder aufbewahrt werden. Lassen Sie mich deshalb eine metaphorische Aussage machen, die den prinzipiellen Sachverhalt wiedergibt, ohne empirische Strukturen aufdecken zu wollen. Wenn der Begriff geboren wird, muss er irgendwo in die Erscheinung treten, wenn wir etwas von ihm wissen sollen. Wir können von einer seelischen Bildwand sprechen, auf die das tätige Denken seine Resultate „projiziert“, damit sie wahrnehmbar werden. Worum es sich faktisch handelt, wird wohl schon deshalb niemand angeben können, weil diese Prozesse im Verborgenen ablaufen. Der Begriff „Bildwand“ hat also lediglich die Aufgabe, darauf aufmerksam zu machen, dass die Gegenüberstellung nichts anderes als die Endphase eines psychischen Vorgangs ist, von dem wir nur hoffen können, dass er eines Tages analysiert wird. Jede Gegenüberstellung beruht auf einem Realprozess - mehr wollen wir nicht sagen.
Nun sind wir berechtigt, die begriffliche Gegenüberstellung eine selbstproduzierte Wahrnehmung zu nennen, ein Eigenprodukt mit dem Charakter der Objektivität. Und unsere früheren Äußerungen über den Inhalt unseres Bewusstseins, den wir, wie Sie sich erinnern werden, auf die Phänomene „Begriff“ und „Wahrnehmung“ reduziert hatten, scheinen ins Wanken zu geraten. Das ist aber nicht der Fall. In Wahrheit reden wir von Beziehungen, die sich ergeben, wenn man die Tätigkeit des Denkens, das Produzieren von Begriffen, mitansetzt, also etwas erschließt, was der Beobachtung unzugänglich ist. Nehmen wir diesen Denkprozess als untrennbares Ganzes, dann ergibt sich die Polarität, auf die wir hinauswollen und die wir bereits in anderem Zusammenhang angedeutet hatten. Wir sprachen in etwas umständlicher Weise von den beiden Polen: „Befriedigendes Selbstgetanes“ und „Unbefriedigendes Nichtselbstgetanes“, um eine verborgene Korrelation anzudeuten, die wir später aufdecken wollen. Diese beiden polaren Gegensätze lassen sich aber auch anders formulieren, wenn wir das, was wir unausgesprochen mitdenken müssen, gesondert herausheben: ich meine das menschliche Ich, das ja in jeder Wortverbindung mitgedacht wird, in der das Wörtchen „selbst“ vorkommt. Begriffe wie „Selbsttätiges Denken“, „Selbstgetanes“ u. a. enthalten auch den Begriff des „Ich“, den wir automatisch mitdenken; und wir brauchen ihn erst recht, wenn wir uns an den erwähnten Sachverhalt erinnern, dass wir beim Denken - und nur beim Denken - dabei sein müssen, wenn etwas geschehen soll. Mit anderen Worten: wir meinen das vielberedete Phänomen, das so viel Verwirrung gestiftet hat und das man gemeinhin als „Subjektivität“ bezeichnet. Wegen seiner Simplizität verführt dieser Ausdruck zu unberechtigten Schlüssen: so werden das Ich, das Denken, Fühlen und Wollen gar zu gerne als einheitliches Ganzes, eben als „Subjekt“, betrachtet, dem eine andersartige „objektive“ Außenwelt gegenübersteht. Diese Auffassung beruht, wie wir noch im einzelnen sehen werden, auf einer Selbsttäuschung ersten Ranges, die unmögliche Philosophien hervorgebracht hat. Nach unseren bisherigen Untersuchungen können wir lediglich feststellen, dass sich Prozesse vollziehen, von denen ein Teil nur zustande kommt, wenn wir unmittelbar „dabei“ sind. Noch sind wir nicht in der Lage, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob es sich um „subjektive“ oder um „objektive“ Vorgänge handelt, sofern diese Begriffe überhaupt einen Sinn haben. Wenn wir von einem „Subjekt“ reden wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als jenes undefinierbare Element, das immer in diesen Begriff eingeschlossen ist, mitzudenken, nämlich das menschliche „Ich“ - obwohl wir nicht wissen, was es ist. Aber wir erfahren es in einer sehr konkreten Weise: es offenbart sich als jenes aktive Etwas, das alle genannten Denkprozesse in Gang bringt und mit solch erstaunlicher Willkür handhabt, dass wir das unmittelbare Erlebnis der persönlichen „Freiheit“ erhalten. Dieses Aktionselement ist unverzichtbar, und wir wollen es, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend, das menschliche „Ich“ nennen, auch wenn wir noch nicht so weit sind, genauere Angaben darüber vorlegen zu können. Wir entdecken es im Zusammenhang unserer Beobachtungen als zentrales aktologisches Element, als Quelle von Willensstößen, die jede Art von Begriff und Wahrnehmung in Bewegung bringt, mit dem Drang, immer neue Beziehungen herzustellen, um mit ihnen zu arbeiten, wie es ihm passt. Dieses Wollen müssen wir gelten lassen. Es wäre verfehlt, bereits kausalistisch zu argumentieren, von „Gehirnprozessen“ oder von einem „Unbewussten“ zu reden, wie es uns unser naturwissenschaftlich überformtes Bewusstsein suggerieren möchte. Wir schildern Phänomene, die wir vorfinden, und enthalten uns theoretischer Schlussfolgerungen, die nicht aus der Sache hervorgehen.
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