Donald verringerte die Höhe der Sondenbahn und sofort setzte sich auch die Schicht wieder in Bewegung.
Brauer sah aus den Augenwinkeln heraus, wie Tomasz zu Donald trat und auf dessen Pult blickte. „Sieht aus, als würde jemand oder etwas diese Schicht der Sondenbewegung anpassen“, sagte er und schaute zu Brauer, die sich zu Brown herumdrehte.
Brown schüttelte unschlüssig den Kopf. „Das ist … nicht sehr wahrscheinlich. Die … scheinbare Bewegung der Schicht verhält sich zwar proportional zur Annäherung der Sonde an den Planeten, aber … Es könnte sich höchstens um eine hochsensible Automatik handeln, denn es sind keine noch so kleinen Reaktionsverzögerungen zu beobachten. Außerdem ist die Proportionalität der beiden Größen im Rahmen unserer Messgenauigkeit absolut konstant.“
Brauer drückte die Inter-Komm-Taste an ihrem Sessel. „Zentrale an Hangar! Ist die E3 einsatzbereit?“
„Ja“, bestätigte eine Stimme.
Brauer hob erstaunt die Brauen. „Jan? Wo ist Joseph?“
„Beim zweiten Lander. Soll ich ihn holen?“
„Nicht nötig, danke! Zentrale Ende. – Tom?“
„Bin schon dabei“, antwortete McMay und wenig später wurde die zweite Sonde auf dem Bildschirm sichtbar.
Brauer hörte hinter sich leises Murmeln. Auch das war äußerst unpraktisch, fiel ihr ein, und sie nahm sich vor, dem Flottenkommando den dringenden Vorschlag zu machen, die Steuerzentrale völlig umzugestalten und eine Art Beobachtungsraum einzurichten, von dem aus die Besatzungsmitglieder Sondeneinsätze und dergleichen mitverfolgen konnten, ohne die Piloten abzulenken. Die Frau fragte sich, ob sie tatsächlich die Erste war, der diese Sache auffiel, oder ob einfach die Trägheit der Bürokratie schuld daran war, dass sich seit siebzig Jahren kaum etwas an den Bauprinzipien der Out-of-Orbit-Ships geändert hatte.
Ein lautes „Bingo!“ von Donald lenkt sie davon ab. Sie sah ihn fragend an.
„Ein veralteter Begriff für Volltreffer“, erklärte Donald obenhin und sagte: „Du hattest recht!“
„Womit?“
„Die E3 meldet die Schicht an einer anderen Stelle als die E2“, antwortete Donald und Brown ergänzte: „Und der Proportionalitätsfaktor ist identisch mit den schon ermittelten Werten der anderen Sonden.“
„Gut“, atmete Brauer auf. „Dann wäre wenigstens das geklärt. Lässt sich die tatsächliche Höhe feststellen?“
„Schon geschehen“, entgegnete Brown. „Alle Extrapolationen liefern vier siebenundsiebzig Komma zwei Kilometer über normal null.“
„Das ist verdammt weit draußen“, stellte Donald fest.
Brauer nickte. „Ja. Das wird ’ne ganz schöne Friemelarbeit werden.“
Jemand räusperte sich hinter ihr. Sie reagiert nicht darauf. Erst als Yali sie direkt ansprach, drehte sie sich um. „Eh … Katja! Ich weiß ja, dass ich nicht viel Ahnung habe, aber … Ich verstehe immer nur Bahnhof. Was ist gut daran, wenn zwei Sonden das gleiche Objekt an verschiedenen Stellen lokalisieren?“
Brauer atmete tief durch. Es war wirklich extrem unpraktisch, wenn die Besatzung im wahrsten Sinne des Wortes in die Arbeit der Crew hineinreden konnte. Und es auch tat!
„Also! In Kurzform: Die Schicht existiert in vierhundertsiebenundsiebzig Kilometern Höhe. Die Sonden erfassen sie aber in einer Höhe, die abhängig ist von ihrem eigenen Abstand zum Planeten. Das Einzige, was sich also bewegt bei der Sache, sind die Sonden. Was bedeutet, dass wir uns über eventuelle Steuermechanismen und deren Erbauer und oder Bediener keinen Kopf zu machen brauchen. Klar?“
„In etwa.“
„Na prima!“, sagte Brauer mit der Betonung von ,Na hast du’s endlich kapiert?‘ Als ihr dieser Tonfall bewusst wurde, ärgerte sie sich: Sie hatte kein Recht, jemandem Begriffsstutzigkeit auf einem Gebiet vorzuwerfen, mit dem derjenige im Normalfall nichts zu tun hatte. Gleichzeitig war Brauer erleichtert, dass ihre Schwester die Frage gestellt hatte und so das Ganze quasi in der Familie blieb. Obwohl … Chris hatte ja eigentlich nur ausgesprochen, was die anderen dachten. Und insofern war ihre Antwort eigentlich ein Affront gegen alle.
Brauer versuchte, möglichst sachlich zu klingen, als sie sich erkundigte, ob es noch Unklarheiten gab.
„Was wird ’ne Friemelarbeit?“, fragte Yali auch prompt.
„Diese Strukturen zu analysieren. Wir müssen ja mit der Sonde außerhalb der Schicht bleiben.“
„Warum?“, fragte Yali mit aller ihr zur Verfügung stehenden Naivität.
„Warum?!“ Brauer glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben. Dann allerdings ahnte sie, worauf ihre Schwester hinaus wollte, und wandte sich an den Piloten: „Tom?“
„Den Versuch wäre es wert“, antwortete er und blickte kurz zu Brown.
Brauer registrierte, dass Frank zu rechnen begann, und schwenkte zu Donald herum. „Also wir machen Folgendes: Wir schicken die E2 mit einem speziellen Programm unter diese Schicht. Die E3 beobachtet von draußen, was mit der E2 passiert. Wenn wir Glück haben, kann die E3 aus unmittelbarer Nähe diese Strukturen analysieren und bringt nach der automatischen Rückkehr ein genaues Bild davon mit.“
„Und wenn wir Pech haben?“, fragte Ricardo Thomas.
„Verlieren wir die Sonde. Entweder, weil die Automatik versagt und die E2 abstürzt, oder weil sie zerstört wird.“
„Zerstört wird?“, fragte Inéz Cartena tonlos.
Brauer schaute zu ihr, versuchte, möglichst optimistisch auszusehen, und nickte. „Das ist nicht auszuschließen. Auch wenn ich nach allen bisherigen Ergebnissen glaube, dass es auf Simon drei keine Zivilisation mit einem halbwegs technischen Standard gibt, kann es sich bei diesen noch völlig rätselhaften Strukturen zu Beispiel um eine intakte Basis von Raumfahrern handeln, die vor uns den Planeten entdeckt haben und uns nun möglicherweise als Feinde einstufen.“ Sie verstummte, selbst einigermaßen erstaunt über diesen Gedankengang.
Donald holte tief Luft. „Heißt das, du rechnest mit einem Angriff?!“
Sie blieb betont gelassen. „Es ist nicht unmöglich.“
„Na toll!“, machte Donald und breitete die Arme aus. „Ich wollte schon immer mal wissen, wie man sich als Zielscheibe fühlt!“
„Ach hör auf“, entgegnete Brauer matt. „Wenn überhaupt, dann ist die E2 die Zielscheibe und nicht wir.“
„Aja? Dann hoffe ich, dass die da unten dieselbe Spielanleitung gelesen haben wie du“, erwiderte Donald sarkastisch und nahm auf seinem Pult die von Frank berechneten Daten entgegen. „Also meinetwegen kann es losgehen“, brummte er.
Brauer registrierte es mit einem Nicken und drehte sich zur Besatzung um. „Für den Fall eines Angriffs werden wir von der gegenwärtigen Position aus durchstarten und den Abstand zu Simon drei vergrößern. Kümmert euch darum, dass die Kabinen und Arbeitsräume entsprechend gesichert werden! Ich erwarte dann eure Bereitschaftsmeldungen.“
Sie wandte sich wieder ihrem Pult zu, ließ sich von McMay die Kontrollen über das Schiff geben, so dass er sich nur noch auf die E3 konzentrieren musste. Sie hörte, wie Brown den Technikern im Hangar Bescheid gab, und bemerkte, dass William Base, Ricardo Thomas und Brown in der zweiten Sesselreihe Platz nahmen. Und dann kam auch schon die erste Bereitschaftsmeldung der Besatzung …
Der Gang lag im Dämmern der Nachtbeleuchtung. Katharina Brauer schloss die Tür hinter sich, tappte im Dunkel der Kabine zur Bar und macht die kleine Lampe an, die ein warmes gelbes Licht auszustrahlen begann und das Zimmer wie in Kerzenlicht tauchte. Dann goss sie sich Gin in eines der Whiskygläser und füllte es mit Orangensaft auf. Stirnrunzelnd stellte sie fest, dass sie vergessen hatte, neues Eis anzusetzen. Naja, es würde schon reichen. Sie ging zum Tisch und ließ sich in einen der Sessel fallen.
Eine Siedlung also. So viel konnte man auf den Aufnahmen der E2 immerhin erkennen. Leider war das Programm so vorsichtig gestaltet worden, dass die Sonde zurückgekehrt war, ohne sich näher um die einzelnen Gebäude zu kümmern. Naja. Sicher würde Tom mehr herausfinden, wenn er morgen selbst unter die Schicht tauchte. Komisch, dass diese Schicht von unten gar nicht zu erkennen war …
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