„Wo?“
Er markierte auf dem Hauptbildschirm die entsprechende Stelle.
„Katja“, meldete sich Ricardo Thomas. Er kam zu ihr vor und beugte sich über das Pult. Er zeigte auf eines der Fremdfarbenbilder. „An der Stelle, wo der Reflex entstand, gibt es einige seltsame Strukturen. Dort, siehst du?“
Brauer versteifte sich unwillkürlich und starrt auf den Monitor. „Was ist das?“
„Ich weiß nicht“, gab Thomas zu.
„Frank?“, fragt Brauer, ohne sich umzudrehen.
McMay antwortete: „Das fragliche Gebiet war nur ganz kurz im Erfassungsbereich der Sensoren. Wir können erst bei der nächsten Umrundung genauere Angaben bekommen.“
„Okay“, entgegnete Brauer knapp. „Jon! Ich brauch’ die Sonde dann näher an diesen Koordinaten.“
„Geht klar, Chefin!“
Brauer starrte auf ihr Pult, auf die Daten und Bilder, die die Sonde übermittelte. Der Planet wirkte so ungemein friedlich, beinahe sanft. Gerade überflog die E1 den Äquatorkontinent, der in der IR-Erfassung in hellen Farben glühte. Auf einem anderen Sensorbild sah Brauer, wie ein unregelmäßiger Fleck aus unzähligen Einzelpunkten wie eine Amöbe über die Steppe kroch: eine riesige Herde von offenbar recht großen Tieren, die den Kontinent durchwanderten.
Brauer bemerkte, dass sie sich vorgebeugt hatte, als könne sie dadurch besser sehen. Sie lächelte über sich selbst.
Der Ozean kam wieder ins Blickfeld. Die fasrigen Wolken verschleierten die Sicht nur unwesentlich. Brauer glaubte, einen Schwarm von Vögeln über dem Wasser zu erkennen, sah eine Insel, von der die Anzeigen behaupteten, sie sei erst vor wenigen hundert Jahren aus einem Vulkan entstanden. Die Frau registrierte, dass sich offenbar eine ganze Vulkankette unterseeisch vom Steppenkontinent hin zu dem Landsockel erstreckte, der auf der Südhalbkugel den zweiten Kontinent bildete und der in Küstennähe von einer niedrigen aber sehr dichten Pflanzendecke überzogen war. An einer Stelle wurde sie von einem Bergmassiv unterbrochen, das die Fortsetzung der unterseeischen Kette darstellte.
Brauer überlegte, dass die Idee, auf Simon vier eine ständige Basis zu errichten, durch den üppig grünenden dritten Planeten noch interessanter wurde, als sie es durch die günstige Lage unmittelbar hinter dem Knoten ohnehin schon war. Simon drei könnte eine echte Kolonie werden, anders als die kleinen Siedlungen, die die Menschen auf einigen Planeten entlang der wichtigsten Trassen förmlich hingekleckert hatten.
Inzwischen hatte die Sonde den zweiten Kontinent überflogen. Im Bild tauchte bereits die Küste des schlafenden dritten Kontinents auf. Die Sonde steuerte genau auf das Delta des riesigen Flusses zu, schien den Strom aufwärts zu verfolgen …
Plötzlich brach das Bild zusammen.
Ein unterdrückter Schrei von Inéz Cartena.
Donald hantierte hektisch an seinem Pult. Schließlich lehnte er sich zurück und sagt trocken: „Aus.“
Brauer fuhr herum. „Was heißt aus?!“
„Aus eben. Funkstille. Verbindung weg.“
„Aber warum?!“
Donald hob die Schultern und legte die Außenaufnahme des Schiffes auf den Hauptschirm.
Brauer schaute zu McMay. Der schüttelte den Kopf. „Das Schiff ist in Ordnung. Es muss an der Sonde liegen.“
Die Kommandantin schwenkte samt Sessel herum. „Frank?“
„Es sieht so aus, als habe sich diese Schicht ausgedehnt. Eine Extrapolation der Entfernungsanzeigen lässt den Schluss zu, dass die Sonde beim Eintreten in diese Schicht verstummt ist.“
„Oder“, präzisierte Brauer sinnend, „wir können ihre Signale seitdem nicht mehr empfangen. – Okay!“ Sie schwang zurück an ihr Pult. „Jon! Kann sich das Rückkehrprogramm aktiviert haben, als wir den Kontakt zur E1 verloren?“
„Nein, die Automatik war außer Betrieb. Ich bin nicht dazu gekommen, sie zu aktivieren. Die Sonde wird irgendwo auf der südlichen Halbkugel abstürzen. Tut mir leid, Chefin!“
„Nicht deine Schuld. – Jos?“
„Ja?“
„Ist die E2 wieder okay?“
„Vollständig“, bestätigte Romp.
„Gut. – Frank, berechne einen Kurs für die E2, der außerhalb der Schicht bleibt und das Gebiet überstreicht, wo wir den Lichtreflex gesehen haben!“
„Sofort, Kommandant!“
„Tom? Wann ist Simon drei vom Schiff aus zu sehen?“
„Er muss jeden Moment hinter dem Stern auftauchen.“
„Gut … Jos, ich möchte, dass die E3 gecheckt wird.“
Der Chefingenieur wandte sich zum Gehen.
„Und die Lander!“, rief Brauer ihm nach.
Romp blieb verblüfft in der Tür stehen. „Die Lander?“, vergewisserte er sich.
„Ja. Ich möchte sie einsatzbereit haben.“
Joseph Romp nickte mit einer kleinen Verzögerung und verließ die Zentrale.
„Kommandant“, meldete sich Brown. „Der Kurs für die E2 ist berechnet.“
„Gut. Gib ihn an Jon!“ Brauer drehte sich halb zu Donald. „Sobald du fertig bist, startest du sie!“
„Geht klar!“, antwortete er. „Wir haben jetzt übrigens Sicht auf Simon drei, Kommandant.“
Brauer schwenkte den Sessel zum Bildschirm. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass es irgendwie praktischer wäre, wenn der Kommandant im Hintergrund der Zentrale sitzen würde. Dann hätte er die volle Übersicht, ohne ständig kreiseln zu müssen. Es war ja – verdammt noch mal! – nicht damit getan, alle technischen Daten auf dem Pult abrufen zu können! Irgendwie sollte man auch seine Leute im Blickfeld haben. Meist waren die nämlich ein weitaus besserer Indikator für ungewöhnliche Situationen als alle Sensoren der Welt. Und man würde sich auch nicht so beobachtet fühlen. Und … Brauer merkte, wie sich ihre Gedanken an diesem Thema festhalten wollten, und rief sich zur Ordnung. Sie konzentrierte sich auf den großen Bildschirm.
Dort bot sich der nun schon vertraute Blick auf den blauen Planeten. Vor dem sternenübersäten schwarzen Samt des Alls prangte Simon drei wahrhaftig wie eine kostbare Perle. Brauer erinnerte sich, dass sie ganz ähnlich fühlte, als sie zum ersten Mal die Erde verlassen und vom Beobachtungsdeck des Linienschiffes zurück auf die Heimat geblickt hatte. Das war so unsagbar schön gewesen, beinahe schmerzhaft schön. Sie hatte wirklich geweint damals.
Die E2 schob sich ins Bild des Hauptschirms und holte die Kommandantin damit in die Gegenwart zurück. Die Sonde bewegte sich sehr schnell auf den Planeten zu. Brauer beugte sich über ihr Pult und verfolgt die einlaufenden Daten.
Die rätselhafte Schicht wurde sichtbar. Man konnte sie durchaus für eine Art Kapsel halten, die sich schützend um Simon drei gelegt hatte. Aber eine Kapsel woraus? Kein Material lieferte einerseits deutliche Absorptionslinien, ohne nicht auch gleichzeitig durch andere Sensoren erfassbar zu sein. Rein theoretisch konnte es gar keinen Stoff mit derartigen Eigenschaften geben. Andererseits passten die Daten auch auf keine der bekannten Energieformen …
Je näher die Sonde dem Planeten kam, desto deutlicher wurde die Kapsel. Brauer versuchte zu erkennen, in welcher Höhe sich die Schicht in der Atmosphäre erstreckte. Sie hob überrascht die Brauen: Der Radius der Kapsel vergrößerte sich!
„E2 auf der Umlaufbahn“, meldete Donald.
Brauer blickte auf. „Okay. Diese Höhe halten!“
„Höhe halten“, bestätigte Donald.
Brauer schaute wieder auf ihr Pult. „Mm??“, machte sie und blickte irritiert zu McMay. Der war ganz mit den eingehenden Sondendaten beschäftigt und offenbar genauso ratlos wie Brauer.
Die Schicht bewegte sich nicht mehr!
„Chefin?“
Sie sah zu Donald. „Ja?“
„Ich habe da so eine Idee … Darf ich mal was probieren?“
Brauer zögerte. „… und was?“
„Nur mit der Sonde ein Stückchen runter gehen.“
Die Frau runzelte die Stirn, nickte aber. „Okay …“
Читать дальше