Mein Handy klingelt. Nora. Sie hat ihren Castingtermin eingetütet.
„Eine Patricia kommt übermorgen bei mir vorbei. Kennst du die schon, Steffi?
„Nee, bei mir war ein Matze. Ein sehr süßer Matze, um genau zu sein!“
„Ahaaaa…“, kommt neugierig zurück und ich höre mich von Matze schwärmen. Nora unterbricht mich.
„Hast du dich etwa verknallt, Steffi?“
„Na ja, nicht direkt. Aber er gefällt mir.“
„War Matze der Typ in dem Kastenwagen?“
„Nein, das war unser Hausmeister Kai Lipinski. Andere Geschichte, nicht so wichtig. Was sagt Markus eigentlich dazu, dass du jetzt doch meine Beraterin bist? Habt ihr geredet?“
„Ja, haben wir.“
Anscheinend haben sie sogar sehr intensiv geredet. Denn Markus ist nicht nur mit Noras Teilnahme einverstanden, er möchte sogar helfen, wenn wir ihm sagen, wie. Danke!
Ich will das Telefonat beenden, aber Nora hat noch eine Neuigkeit parat.
„Jana hat mir erzählt, dass du dich als letzte Kandidatin am letzten Drehtag, also am Freitag, umstylst, Steffi. Super, oder?“
„Wieso super? Ich wäre viel lieber direkt am ersten Drehtag, also am Montag, als erste Kandidatin dran.“
Nora versteht nicht, warum. Ich erkläre es ihr.
„Dann hätte ich es schnell hinter mir!“
Nora lacht.
„Okay, das verstehe ich!“
Drei Wochen später ist es so weit. „Fashionista – Mein neues Ich“, Drehtag 1!
Überpünktlich um 8.18 Uhr finde ich mich im Denim-Lagenlook und nervös bis zum Anschlag in der Südstadt am Chlodwigplatz vor der Bäckerei Merzenich ein. Dorthin hat Jana mich bestellt. Allerdings erst für 8.30 Uhr. Ich habe es aber vor lauter Aufregung und Vorfreude nicht mehr zu Hause ausgehalten und bin jetzt tatsächlich froh, dass ich mich erst am letzten Drehtag umstylen muss. Bis dahin dürfte sich meine Nervosität gelegt haben.
Mein Urlaub wurde erwartungsgemäß problemlos bewilligt. Im Nachhinein hätte ich lieber eine Woche mehr beantragen sollen, denn meine Wohnung fernsehtauglich auszumisten, hat sehr viel länger gedauert als gedacht. Zweiundfünfzig Quadratmeter sind überschaubar, wenn man jedoch elf Jahre lang alles Mögliche ansammelt… Noch anstrengender als das Aufräumen war Mama. Sie befürchtet wohl, dass ich vor der Kamera meine gesamte Erziehung vergesse, denn sie hat in den letzten zwei Wochen täglich angerufen, um gut gemeinte Verhaltenstipps loszuwerden. Sie hat mich sogar daran erinnert, immer schön Bitte! und Danke! zu sagen und ich kam mir zeitweise vor, wie eine Grundschülerin.
Papa hat auch angerufen. Ein Mal kurz. Er meinte, ich soll mir keinen Stress machen. Scherzkeks. Wenn man an einer Modesendung teilnimmt, fängt der Stress schon beim Anziehen an. Bei „Fashionista“ gibt es fünf Drehtage, also braucht man fünf Outfits. Das klingt machbar, wenn man einen gut gefüllten Kleiderschrank hat. Und den habe ich. Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick ist ein Drittel meiner Kleidungsstücke einfach nur praktisch, ein Drittel für besondere Anlässe, auf die ich seit dem Kauf warte, und das letzte Drittel blau. Ich liebe blau. In allen Schattierungen von babyblau bis nachtblau. Bei „Fashionista“ jeden Tag in der gleichen Farbe aufzulaufen, geht aber gar nicht.
Noch komplizierter wird es, wenn man die Kleinigkeiten bedenkt. Eine Seidenbluse, egal ob mit Knöpfen oder in einer Tunika-Variante, kann man zum Beispiel nicht anziehen, weil Seidenblusen Schweißflecken geradezu magisch anziehen. Und wer will schon mit Schweißflecken gefilmt werden?
Nächster Punkt: das Wetter. Ende März kann ja alles passieren. Vom plötzlichen Wintereinbruch mit fünf Grad minus bis zum ersten richtigen Frühlingstag mit fünfzehn Grad plus. Um für alle Temperaturen gerüstet zu sein, wollte ich fünf verschiedene Lagenlooks auswählen, was mich allerdings schnurstracks zum nächsten Problem geführt hat: Lagen machen nicht gerade schlank. Außerdem sieht nicht jeder Lagenlook mit einer Lage weniger noch genauso gut aus.
Es endete, wie es enden musste. Ich bin mit Nora in die City gefahren und shoppen gegangen. Danach war ich knapp tausend Euro ärmer. Schade, dass man bei „Fashionista“ kein Geld gewinnen kann.
Um 8.28 Uhr stehe ich immer noch einsam vor der Bäckerei Merzenich und rufe mir ins Gedächtnis, was Jana mir über den heutigen Tagesablauf erzählt hat. Zuerst werden ein paar Bilder mit mir allein gedreht und dann geht’s ab zur sogenannten Kandidatin eins. Sie wohnt in der Südstadt und kann demzufolge nicht Astrid heißen, denn Astrid wohnt im noblen Lindenthal.
Auf Astrid freue ich mich schon richtig. Wir haben uns seit drei Wochen weder gesehen noch gehört und sobald wir heute eine Minute allein sind, kriegt sie von mir eine Ansage. Sie soll nicht denken, dass ich mir ihr hinterlistiges Verhalten kommentarlos bieten lasse.
„Hallo Steffi! Cool, dass du pünktlich bist!“, tönt es plötzlich neben mir. Matze! Er gefällt mir immer noch. Bevor ich sein „Hallo!“ erwidern kann, stellt er mir die zwei jungen, mit Kamera & Co beladenen Typen vor, die er im Schlepptau hat.
„Das ist Mike, der Kameramann, und das ist Aziz, der Tonassistent. Das zweite Team lernst du später kennen, die Kollegen drehen gerade mit Kandidatin eins in ihrer Wohnung.“
Matze wirkt hektischer als beim Casting und hat offensichtlich keine Zeit zu verlieren.
„Komm mit, Steffi, wir drehen jetzt mit dir ein paar O-Töne in der Mainzer Straße. Da ist weniger Verkehr. Die Zuschauer sollen ja verstehen, was du sagst!“
Kaum hat er zu Ende gesprochen, hechtet er auch schon los. Mike, Aziz und ich eilen hinterher.
Matze nutzt den kurzen Weg zur Mainzer Straße, um abzuchecken, inwieweit ich Fernsehprofi bin.
„Du weißt, was O-Töne sind, Steffi?“
„Klar!“, entgegne ich forsch und zitiere frei aus dem „Hinter den Kulissen“-Bericht der Ex-Kandidatin. „Das sind die Sätze, die wir Kandidatinnen direkt in die Kamera sprechen.“
Matze nickt.
„Genau! Das läuft dann gleich so ab: Die Kamera ist auf dich gerichtet, ich frage dich was und du antwortest. Ich führe also quasi ein Interview mit dir. Beim Antworten schaust du bitte nicht direkt in die Kamera, sondern zu mir. Ich stehe dann neben dem Kameramann. Wir proben das gleich mal. Du wirst sehen, das kriegst du locker hin! Kein Grund, aufgeregt zu sein!“
Verdammt, er hat gemerkt, dass ich aufgeregt bin.
In der Mainzer Straße stoppt Matze vor einem schön renovierten Altbau und wendet sich im Befehlston an Aziz.
„Mikro!“
Aziz nickt emsig und mir wird die Machtverteilung im Drehteam klar. Matze ist der Boss!
Aziz befestigt einen Sender am Bund meiner Jeans, drückt mir ein Ansteckmikro in die Hand und bittet mich, das Mikro oben am Kragen meiner Jeansjacke festzumachen. Kaum sitzt das Ding, fühle ich mich wichtig. Denn genau so ein Mikro trägt Judith Rakers auch immer. Ich bin kurz davor, „Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau!“ zu sagen, verkneife es mir aber lieber. Ich will nicht albern wirken.
Aziz setzt sich Kopfhörer auf und bittet mich, testweise zu sprechen. Eine Anweisung, die mich überfordert.
„Äh, was soll ich denn sagen?“
Aziz zuckt mit den Schultern.
„Ist egal. Was übers Wetter. Oder wie du heißt und wo du wohnst.“
Um über das Wetter zu reden, fühle ich mich noch zu jung, also:
„Ich bin Steffi Rottmann und ich wohne in der Röntgenstraße in Neuehrenfeld.“
„Jo!“, kommt von Aziz. Damit meint er wohl, dass ich deutlich zu verstehen bin.
Mike schultert seine Kamera und Matze schiebt mich ein bisschen hin und her, bis Mike „Jo!“ sagt. Ob Mikes „Jo“ bedeutet, dass ich jetzt gut aussehe oder dass der schön renovierte Altbau hinter mir nun gut im Bild ist – keine Ahnung.
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