„Ja, ich bin noch dran. Übermorgen ist okay, aber kannst du mir vielleicht schon sagen, wann du Zeit für ein Casting hast? Ich soll Terminvorschläge machen.“
Nora will ihren Dienstplan checken und sich noch mal melden.
Während ich auf ihren Anruf warte, kaue ich gedanklich auf „Morgen kommen Freunde zum Essen zu uns“ rum. Dabei wollte ich doch nicht grübelnd auf meinem IKEA-Sessel rumhängen, sondern in irgendeiner Kneipe feiern, dass die Redaktion von „Fashionista“ mich total super findet. Mit Nora wollte ich das feiern und ich war sicher, dass sie das auch mit mir feiern will. Weil wir, seit wir uns kennen, immer alles zusammen gefeiert haben, was es zu feiern gab. Gut, bei mir gab es in den letzten Jahren nichts, dafür bei ihr umso mehr. Und ich habe immer mit ihr gefeiert. Dass sie mit Markus endlich den perfekten Mann kennengelernt hat, dass sie die perfekte gemeinsame Wohnung gefunden und bekommen haben, dass Nora keine Langstrecke mehr fliegen muss, sondern nur noch Kurzstrecke, dass Markus ihr einen Heiratsantrag gemacht hat, dass sie das perfekte Hochzeitskleid, den perfekt darunter passenden Shape-Body und die perfekten Hochzeitsschuhe gefunden hat und auf den neuen, perfekten Esstisch aus Eiche haben wir auch angestoßen. Und nun darf nicht ich am Eichenesstisch sitzen, sondern die neuen Freunde, von denen sie mir noch nie erzählt hat und von denen sie mir offenbar auch nichts erzählen will. Und die bekommen sogar etwas zu essen und nicht nur etwas zu trinken. Dabei esse ich gar nicht mal so ungern.
Hat Nora unseren letzten Mädelsabend etwa gecancelt, weil sie die Zeit lieber mit ihren neuen Freunden verbringen wollte? Waren ihre Kopfschmerzen vorgeschoben? Nee, das glaube ich nicht. Aber komisch ist es schon, dass sie keinen neuen Termin vorgeschlagen hat. Überhaupt schlägt sie mir seit ihrer Hochzeit keine gemeinsamen Unternehmungen mehr vor. Die Initiative geht immer von mir aus. Was soll das?
Mein Telefon klingelt. Nora. Von meiner guten „Fashionista“-Laune ist mittlerweile nichts mehr übrig und ich will es jetzt wissen.
„Sag mal, Nora, ganz ehrlich, bin ich noch deine beste Freundin?“
Stille in der Leitung.
„Nora?“
Hat sie etwa direkt aufgelegt? Nein, hat sie nicht.
„Ich glaube, wir müssen mal reden, Steffi.“
Das glaube ich allerdings auch!
„Soll ich rüberkommen oder willst du, Nora?“
Wir wohnen nur zwei Bahnstationen voneinander entfernt und auf dem Weg liegt ein Kiosk. Ich überlege, ob mir immer noch nach Prosecco oder jetzt doch mehr nach Kölsch ist, doch die Getränkegedanken hätte ich mir sparen können.
„Heute nicht, Steffi. Ich bin echt fertig, habe ich dir doch vorhin schon gesagt. Lass uns übermorgen in Ruhe reden. Auch über den Castingtermin. Ich komme dann gegen acht bei dir vorbei, okay?“
Gar nicht okay!
„Wie, übermorgen? Mir ist das jetzt wichtig!“
Nora wohl nicht, denn es bleibt bei übermorgen und ich fühle mich beschissen. Meine beste Freundin ist nicht auf mich eingegangen, sondern hat mich abserviert. Oder hat sie es gar nicht so gemeint?
Doch, sie hat es so gemeint. Denn anstatt sich zerknirscht für ihr abweisendes Verhalten zu entschuldigen, haut mir Nora zwei Tage später in meiner Wohnung dieses um die Ohren:
„Du musst dir eine andere Umstyling-Beraterin suchen. Markus will nicht, dass ich das mache. Er findet die Sendung tussihaft und schrecklich.“
Das sagt sie ganz ernst, ohne den spöttischen „Männer kapieren manche Sachen eben nicht“-Unterton, den wir sonst in solchen Fällen zum Einsatz bringen.
„Und weil Markus nicht will, lässt du mich hängen?“, frage ich sie einigermaßen fassungslos und erwarte, dass sie nun zurückrudert. Aber nix ist. Sie bleibt bei ihrer Absage und versucht nicht mal, um mein Verständnis zu werben, sondern findet es ganz normal, nach Markus’ Pfeife zu tanzen.
„Er ist mein Mann. Ich muss Rücksicht auf ihn nehmen!“
Und auf mich nicht, oder wie?
„Du hast doch schon zugesagt!“, begehre ich auf. „Als wir zusammen das Bewerbungsformular im Internet ausgefüllt haben!“
Nora erinnert mich daran, dass sie nicht direkt zugesagt, sondern nur nicht abgesagt hat und ich muss einräumen, dass das stimmt. Ich bin einfach fest davon ausgegangen, dass sie mit von der Partie ist. Ich zweifle an mir selber.
„Bin ich etwa eine schlechte Freundin? So eine, die nicht richtig zuhört?“
Nora winkt ab.
„Das bist du nicht, Steffi. Ich bin eine schlechte Freundin. Ich vernachlässige dich, seit Markus und ich geheiratet haben. Und weil ich das genau weiß, hätte ich dich gestern Abend bei dem Essen mit Katrin und Heiko sehr gern dabeigehabt, aber…“
Aha, Katrin und Heiko heißen die neuen Freunde also.
„Wer sind Katrin und Heiko? Kollegen von Markus?“, quatsche ich neugierig dazwischen.
„Nein, Freunde vom Tennis.“
„Vom Tennis? Seit wann spielt ihr Tennis?“
„Jetzt lass mich doch mal ausreden, Steffi! Wo war ich? Ach ja. Also, ich hätte dich gern dabeigehabt, aber du wärst der einzige Single gewesen und das passt halt nicht so gut. Versteh mich nicht falsch, eigentlich wollte ich dich trotzdem einladen, nur du hast letztens gesagt, es ist dir peinlich, Single zu sein. Und da dachte ich dann noch mehr, dass das nicht passt mit dir und zwei Paaren.“
Ich muss schwer schlucken und lasse mich aufs Sofa fallen. Nora setzt sich neben mich und drückt mich.
„Krieg das nicht in den falschen Hals, Steffi!“
Welcher Hals wäre denn hier bitteschön der richtige?
„Mal für mich zum besseren Verständnis, Nora. Heißt das, solange ich keinen Freund, oder noch viel besser Ehemann, habe, verbringst du deine Freizeit lieber ohne mich?“
Nora schüttelt den Kopf.
„Das habe ich doch gar nicht gesagt! Aber Markus und ich haben eben jetzt auch andere Freunde. Pärchenfreunde. Und mit denen haben wir auch ganz andere Gesprächsthemen.“
Moment, will sie mir damit etwa sagen, sie kann mit mir nicht mehr über alles reden, weil ich keinen Partner habe? Das wäre ganz schön gemein, würde jedoch erklären, warum sie sich nur noch selten bei mir meldet und auch keine Mädelsabende mehr anleiert.
Nora drückt mich noch mal.
„Es hat nichts mit dir zu tun, Steffi. Sondern mit mir. Ich habe mich verändert.“
Ich sollte mich wohl darüber freuen, dass sie den Zusatz „Und du hast dich nicht verändert!“ taktvoll weggelassen hat. Freuen kann ich mich aber gerade über gar nichts, denn mich beschleicht das Gefühl, dass Nora sich von mir entfernt hat.
„Du hast mir nie erzählt, dass ihr Tennis spielt, Nora. Ich hätte auch Lust dazu!“
Sie zupft betreten an ihrer Strickjacke herum und mir wird klar, warum sie mich nicht informiert hat. Zu dritt kann man kein Tennis spielen und mit einem Single als Anhängsel wohl im Verein auch keine neuen Pärchenfreunde finden, mit denen man nette Abende am Eichenesstisch verbringen kann.
„Das hat nichts mit unserer Freundschaft zu tun!“, findet Nora.
Das sehe ich anders. Freundschaft bedeutet für mich unter anderem, Gedanken und Erlebnisse zu teilen. Und nicht, neue Hobbys und neue Freunde zu verschweigen.
Nora seufzt.
„Wenn du auch einen Mann hättest, hätten wir jetzt kein Problem.“
Damit mag sie richtigliegen, ich finde den Spruch trotzdem daneben. Denn wie soll ich darauf reagieren? Soll ich mich dafür entschuldigen, dass es mir immer noch nicht gelungen ist, den Richtigen zu finden?
Nora schaut mich verzweifelt an.
„Ich verstehe echt nicht, warum du Single bist, Steffi. Und Markus fällt auch kein Grund ein. Wir haben schon ganz oft darüber geredet.“
Jetzt werde ich sauer.
„Du lästerst mit Markus über mich? Das ist ja sehr interessant! Und was redet ihr da so? Die Steffi ist zu blöd, um einen abzukriegen? Oder zu hässlich? Oder zu langweilig?“
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