„Ich brauche dich doch hier, Steffi!“, hat sie gesagt und damit war die Sache für sie vom Tisch.
Dass ich gebraucht werde, habe ich natürlich sehr gern gehört, nur ich brauche eben auch was – was Neues! Das wird mir ganz deutlich klar, als ich nach den Weihnachtstagen und nach einer mäßigen Silvesterparty wieder im Büro sitze. Mein Tagespensum zu erledigen, dauert keine fünf Stunden. Dabei bin ich keine Superheldin, ich habe die immer gleichen Sachen einfach nur schon so oft gemacht, dass sie sich quasi von selbst erledigen. Dass es Leute gibt, die freiwillig in Frührente gehen, habe ich lange Zeit nicht verstanden. Jetzt verstehe ich es. Irgendwann hat man den Kanal eben voll. Bei mir ist es mittlerweile so, dass ich meist schon kurz nach der Mittagspause den Feierabend herbeisehne und zwischendurch immer mal wieder Privatkram erledige, um nicht gedanklich einzudösen. Heute ist die Kündigung meiner Parship-Mitgliedschaft dran. Der vor Weihnachten noch so vielversprechende Daniel hat sich bis heute nicht mehr gemeldet und noch so eine Enttäuschung will ich mir ersparen. Deswegen schaue ich auch bestimmt nicht mehr bei Parship vorbei, obwohl mein Profil noch eine Weile bestehen wird, Stichwort Kündigungsfrist. Mehr Privatkram steht nicht an, also bleibt mir zum Zeitvertreib nur das Internet und ich lese mir noch mal den „Hinter den Kulissen“-Bericht der ehemaligen „Fashionista“-Kandidatin durch. Sie scheint die Dreharbeiten wirklich genossen zu haben und schreibt so mitreißend, dass ich plötzlich angefixt bin. Ich könnte wirklich mal mitmachen, warum denn nicht? „Fashionista“ wäre endlich mal ein Abenteuer und vielleicht ist Shoppen ja auch eine Lösung für all meine anderen Probleme.
Den Rest des Arbeitstages verbringe ich damit, im Internet weitere Infos über „Fashionista“ zu suchen und langweile mich bis zum Feierabend keine Sekunde lang.
Abends kommt meine beste Freundin Nora bei mir vorbei. Sie ist die Einzige, der ich anvertraue, was bei mir wirklich los ist. Das heißt im Regelfall: nichts. Heute ist aber etwas los und ich überfalle sie direkt an der Wohnungstür.
„Hast du Lust, mit mir shoppen zu gehen, wenn die mich bei ‚Fashionista‘ nehmen?“
Bei „Fashionista“ läuft es wie bei „Shopping Queen“. Man kauft seine neuen Sachen nicht allein, sondern in Begleitung. Bei „Fashionista“ nennt sich diese Begleitung Umstyling-Beraterin und ich bin sicher, dass Nora diese Rolle mit Begeisterung übernehmen wird, denn sie liebt solche Sendungen. Sie würde selbst gern mal bei „Das perfekte Dinner“ mitmachen, darf aber nicht, weil ihr Mann Markus nicht möchte, dass seine Wohnung ins Fernsehen kommt. Keine Ahnung, warum er sich so anstellt. Die Bude geht schon nicht kaputt, wenn da mal jemand drin filmt. Ansonsten ist Noras Markus schwer in Ordnung. Er fragt mich nie, was es Neues gibt.
„Du willst bei ‚Fashionista‘ mitmachen, Steffi?“, fragt Nora ungläubig und guckt dabei ganz komisch. Was hat sie denn? Sie müsste doch voller Tatendrang sein. So wie ich!
„Ja, will ich, Nora! Und du machst auch mit! Als Umstyling-Beraterin! Wir werden total viel Spaß haben!“
Nora wirkt alles andere als begeistert und lässt sich im Wohnzimmer auf mein weißes Sofa fallen.
„Eine Fernsehsendung passt gar nicht zu dir, Steffi. Du machst doch nie was Verrücktes.“
„Stimmt. Zeit, das zu ändern!“
Nora erkundigt sich vorsichtig, ob ich eventuell schon ein Schlückchen getrunken habe und erinnert mich damit an meine Gastgeberpflichten. Ich gehe in die Küche und hole zwei Flaschen Kölsch aus dem Kühlschrank, um mein Kölsch dann doch lieber durch eine Weißweinschorle zu ersetzen. Ein Bierbauch ist das Letzte, was ich als angehende „Fashionista“-Kandidatin gebrauchen kann, Fernsehen soll ja dick machen. Und außerdem: Wenn ich mit Kamerabegleitung shoppe, möchte ich der Verkäuferin nicht sagen müssen, dass ich die Hose in Größe 40 brauche. Ich bin seit Ewigkeiten eine 38, da muss ich nicht gerade jetzt auf eine 40 hochrutschen. Eine 36 wäre ich allerdings sehr gern. Wer nicht? Leider trage ich 36 nur bei Schuhen. Vielleicht sollte ich eine Diät anfangen? Ach nee, das kann ich immer noch, wenn sie mich wirklich als Kandidatin nehmen. Jetzt muss ich mich erst mal bewerben!
Ich gehe aus der Küche zurück ins Wohnzimmer und stelle Noras Flasche und mein Glas auf dem Couchtisch ab. Nora hat ihren Parka ausgezogen und immer noch nicht verdaut, dass ausgerechnet ich bei einer Fernsehshow mitmachen will.
„Bist du wirklich sicher, Steffi?“, fasst sie kritisch nach.
„Ja, bin ich! Und ich bewerbe mich jetzt auch direkt!“
Bewerben kann man sich online und ich klappe meinen Laptop auf. Das Bewerbungsformular zu finden, ist kein Thema, das Ausfüllen schon eher. Name , Adresse , Telefonnummer , Mailadresse , Alter – easy. Doch dann wird es unangenehm: Gewicht . Und hinter Gewicht prangt sogar ein Sternchen. Das Sternchen bedeutet Pflichtfeld, die kennen ihre Pappenheimer anscheinend…
„Meinst du, ich kann bei meinem Gewicht ein bisschen schwindeln, Nora?“
Sie schüttelt den Kopf.
„Natürlich nicht! Wenn sie dich nehmen, sehen sie doch, dass du geschwindelt hast!“
„Ach komm, drei Kilo mehr oder weniger fallen nicht auf. Die kann man mit einer langen Strickjacke gut kaschieren.“
Das sehe ich wirklich so. Und deswegen wiege ich – schwupp – statt ehrliche 61 Kilo unehrliche 58 Kilo.
Bei Größe bleibe ich bei der Wahrheit. Für eins vierundsechzig muss man sich nicht schämen. Bei Familienstand würde ich dann gern wieder schwindeln.
„Sechsunddreißig und Single – da hält mich doch jeder für so eine frustrierte Ziege!“
„Sechsunddreißig und geschieden klingt nicht viel besser!“, wendet Nora ein.
Neben Single und geschieden stehen Partnerschaft , verheiratet und verwitwet zur Auswahl. Wenn ich verwitwet anklicken würde, könnte mir das Mitleidspunkte von meinen Mitkandidatinnen einbringen, doch verwitwet fällt natürlich aus. Ich käme mir total schäbig vor, wenn die anderen mir mit Tränen in den Augen ihr Beileid aussprechen würden. Verheiratet kann ich auch schlecht anklicken. Die Dreharbeiten würden zum Teil in meiner Wohnung stattfinden und hier deutet absolut nichts auf einen Ehemann hin. Die Story, dass mein Schatz und ich absichtlich getrennt wohnen, damit die Beziehung prickelnd bleibt, würde mir garantiert kein Mensch glauben. Und verheiratet fällt auch noch aus einem anderen Grund flach. Wenn ich das im Fernsehen erzählen würde, wäre Papa wahrscheinlich nicht mal überrascht, Mama, Anna und meine Kollegen jedoch…
„Scheiße, da sehen mich ja dann auch meine Kollegen!“
Nora ist irritiert.
„Äh, das fällt dir erst jetzt ein?“
Plötzlich kann ich Noras Markus und seine „Ich will nicht, dass alle meine Wohnung in der Glotze sehen!“-Mimoserei verstehen. Ich habe zwar eine andere Schamgrenze als er, aber ich habe eben auch eine. Ich will nicht, dass alle Kollegen über mich lästern, weil ich sechsunddreißig und Single bin. Dass ich nicht verheiratet bin, weiß jeder. Doch da ich in der Firma nicht über mein Privatleben rede, denken bestimmt viele, ich habe einen festen Freund und bin eine von diesen coolen, unabhängigen Frauen, die heiraten für überflüssig halten. Zumindest hoffe ich, dass das viele denken.
Nora betrachtet mich forschend.
„Ist es dir etwa neuerdings peinlich, Single zu sein? Bisher war das doch immer okay für dich.“
„Mensch, Nora, klar ist mir das peinlich! Seit meinem sechsunddreißigsten Geburtstag bin ich offiziell eine, die keinen abgekriegt hat. Bis fünfunddreißig ist es in Ordnung, noch auf der Suche zu sein. Danach gilt man als schwer vermittelbar. Oder anders ausgedrückt: Willkommen auf der Resterampe!“
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