Danjal hoffte, dass die Krankheit dem Kaiser diesmal das Genick brechen würde. Gott hatte die Spielregeln geändert, aber er hatte sicher nicht gewollt, dass in seinem Namen getötet wurde.
Es gab noch eine Annehmlichkeit, die der Besuch mit sich brachte, Theodora. Sie war Justinians Frau und bereits vor der Ehe dem männlichen Geschlecht in keiner Weise abgeneigt gewesen, böse Zungen behaupteten sogar, sie hätte ihr Geld mit Prostitution verdient, bevor sie die Gemahlin und Mitkaiserin geworden war. Wie auch immer, Theodora war eine wunderhübsche Frau, mit langen, dunklen Haaren, einer hellen Haut und glühenden, dunklen Augen und sie war Danjal zugetan gewesen.
„Ich habe Eure Gattin noch gar nicht gesehen“, unterbrach Danjal den Redefluss des Kaisers, der gerade von einem Angriff auf die Perser sprach. Justinian blieb stehen und auch Danjal ging nicht weiter. Bedauern, ja Trauer ersetzte das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes. „Mein Freund, habt Ihr es denn nicht erfahren? Meine geliebte Frau ist bereits vor neun Jahren verstorben.“ Nein, das hatte er nicht gewusst, diese Information hatte ihn nicht erreicht. Schade, es hätte amüsant werden können. „Jedoch bin ich begeistert, Euch wiedereinmal in meinem Hause begrüßen zu dürfen. Lange habt Ihr auf einen erneuten Besuch warten lassen. Euch treiben die Geschäfte ins Land?“ Danjal nickte und sagte: „Ich warte auf eine Lieferung Gewürze, die ich verschiffen will, außerdem würde ich mich freuen, Euren Prachtbau, die Hagia Sophia zu besuchen. Bei meinem letzten Besuch hatte ich keine Gelegenheit die Kirche zu besichtigen.“ Das Lächeln auf Justinians Gesicht kehrte zurück und ein freudiges Funkeln war in seinen Augen zu erkennen. „Ich kann mich erinnern, zu der Zeit, da Ihr hier wart, fanden umfangreiche Ausbesserungsarbeiten statt. Mit größtem Vergnügen werde ich Euch dorthin begleiten. Mich beglückt euer Interesse.“ Der Kaiser schaute an Danjal vorbei, richtete dann seinen Blick wieder auf ihn. „Ich denke wir sollten hineingehen, um zu Abend zu essen. Dann lasst uns noch ein wenig Freude haben, und wenn Ihr morgen gewillt seid, werden wir den Bau Gottes besuchen.“
Der Abend verlief angenehm und amüsant, und Danjal brauchte, trotz des Todes Theodoras, die Nacht nicht alleine zu verbringen. Morgen würde er das Bollwerk der Christenheit besichtigen. Er war gespannt darauf zu sehen, wohin die Gelder geflossen waren, die besser das Volk hätten ernähren sollen, als den Größenwahn eines Mannes zu befriedigen. Die Menschen waren so einfältig, und am Beispiel des byzantinischen Kaisers war dies wiedereinmal zu erkennen; er arbeitete an seinem eigenen Untergang mit seinem Gotteskomplex.
Danjal lehnte sich aus dem Fenster seiner Unterkunft und konnte die Kuppel des Gotteshauses sehen. Es war imposant, von innen sicher nicht weniger, als von außen. Das Mädchen, das ihm Gesellschaft leistete, bewegte sich im Schlaf, er konnte das Rascheln der Bettücher vernehmen. Er wendete seinen Blick von den Dächern Konstantinopels ab und betrachtete die junge Frau. Sie war hübsch aber uninteressant für ihn, sie hatte nichts, was ihn reizte, sie war lediglich eine Gespielin. Trotzdem entschied er sich, sich neben sie zu legen, sie den Rest der Nacht bei sich zu behalten, auch wenn sie ihm bereits ausgiebig zu Diensten gewesen war.
Für Justinian war es nicht einfach nur ein Besuch der Hagia Sophia, er hatte in der Kürze der Zeit ein Ereignis daraus gemacht, machen lassen. Jetzt, da sie durch die Stadt ritten, waren die Straßen gefüllt mit Leuten, die dem Kaiser zujubelten. Danjal bemühte sich im Hintergrund zu bleiben, er mochte es nicht, wenn all zu viel Aufmerksamkeit auf seine Person gerichtet war. Justinian ließ sich feiern. Noch als sie vor der Kuppelbasilika standen, spürte Danjal die Menge wie ein Kribbeln in seinem Nacken. Schade, dass er nicht auch dem Untergang dieser Menschen beiwohnen würde, wenn seine Seuche ausbrach, würde er nicht mehr hier sein können, um die verlorenen Seelen einzusammeln, er hatte anderweitig zu tun.
Als sie den Bau betraten, umfing ihn eine unglaubliche Stille. Es war eine Ruhe, die in jeden Teil seines Körpers zu fließen schien, und ihn für einen kurzen Augenblick vergessen ließ, wer er war und die Frieden mit sich brachte. Des Kaisers Worte holten ihn aus dieser Zufriedenheit in die Wirklichkeit zurück. „Kommt“, forderte ihn der Mann leise auf, „lasst uns weitergehen.“
Das Gefolge blieb zurück, nur Danjal und Justinian schritten durch den mittleren der neun Eingänge, in das Hauptschiff. Das Bauwerk war tatsächlich unglaublich imposant. Glänzender Marmor überall spiegelte das einfallende Licht wieder, und ließ ein Lichtspiel ohne gleichen entstehen. Florale Mosaike zierten die Wände, Bögen und Säulen von einer nie da gewesenen Pracht. Der Altar war klar, hell und strahlte, aber das alles war nicht das Ausschlaggebende an dieser riesengroßen Halle, das fantastischste war die Kuppel.
Danjal stand im Zentrum des Hautraumes, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte nach oben. Eine gewaltige Kuppel ragte dort über allem und es hatte den Anschein, als würde sie schweben.
Eine kurze, orthodoxe Zeremonie wurde abgehalten, an der sich Danjal nur gering beteiligte, sodass er nicht weiter auffiel. Bald kehrten sie in den Palast zurück und er verbrachte noch diesen und den folgenden Tag in Gesellschaft Justinians, ehe er aufbrach. Auf dem Weg zum Hafen, indem sein Schiff vor Anker lag, begegnete ihm eine alte Frau. Von Fieberkrämpfen geschüttelt und am ganzen Körper zitternd, übergab sie sich am Rande des Weges. Es begann.
Danjal stand in Istanbul vor der Hagia Sophia und schaute hinauf zu der imposanten Kuppel. Er war bereits vor etwas mehr als 1400 Jahren hier gewesen und hatte das Bauwerk in all seiner spätantiken Pracht gesehen.
Im Laufe der Geschichte hatte die Kirche einen Wandel mitgemacht, war 1453, nach der Eroberung Konstantinopels durch das osmanische Heer zu einer Moschee geworden und 1934 zu einem Museum umgewandelt worden. Einiges hatte sich an dem Bau verändert, abgesehen vom Zahn der Zeit. Am Auffälligsten waren die Minarette, die äußerlich den muslimischen Teil widerspiegelten, aber auch im Inneren gab es Unterschiede zu damals. Die Hagia Sophia war zu einer Mischung, einer Symbiose, zweier Religionen geworden, die einander so nah und doch wieder so fern zu sein schienen; Christentum und Islam. Hier in der Hagia Sophia vertrugen sie sich.
Hätte Danjal damals geahnt, welch Wandel der Welt bevorstand, als er das Innere mit Justinian I. besucht hatte, er wäre ein reicher Mann gewesen, reich an Wertschätzung, für all das, was er erlebt und gesehen hatte. Die Spätantike war dabei, vom Frühmittelalter abgelöst zu werden, für ihn nur eine weitere Epoche seines unendlichen Daseins, für die Menschen ein wichtiger Einschnitt in die Geschichte.
Danjal überlegte, ob er noch ein paar Tage in der Stadt bleiben sollte, der er einst so viel Schlechtes gebracht hatte. Sonderbar, dass er danach, bis heute, nicht wieder hergekommen war. Istanbul gefiel ihm, eine lebendige, farbenfrohe Stadt, voller exotischer Düfte. Und genau dieser Gedanke signalisierte ihm, dass er hier weg musste. Das waren Gefühle, positive Gefühle, menschenähnliche Gefühle, und mit denen hatte er ein Problem. Er musste weg, um etwas zu erledigen, das ihm vielleicht inneren Frieden bringen würde, etwas, nach dem er in letzter Zeit suchte, denn er war müde.
Er war nur eine Woche weg gewesen, musste aber feststellen, dass sich Jenna erholt hatte. Sie war nicht mehr so blass und die dunklen Schatten um ihre Augen waren verschwunden. Er folgte ihr, zuerst unauffällig. Sie lief langsam die Poststraße entlang, dann bog sie nach rechts in die Rathausstraße ein. Kurz vor dem Roten Rathaus ging sie nach links in Richtung Neptunbrunnen. Es wurde langsam dunkel aber die Straßen waren noch voller Touristen. Danjal blieb ein Stück entfernt, an einen Baum gelehnt stehen, und verschränkte die Arme vor der Brust. Er beobachtete Jen, wie sie sich auf einer Bank niederließ und dem Wasserspiel des Springbrunnens ihre Aufmerksamkeit schenkte. Sein Blick glitt über den Platz, über den Berlinbesucher schlenderten, Fotos schossen, sich angeregt in diversen Sprachen unterhielten, um weiter zu eilen, noch mehr zu sehen. Er schaute den Skatern zu, wie sie sich ihren Weg durch die Menschen bahnten und den Obdachlosen, die auf den Bänken saßen oder davor standen und ihre Bierdosen in den Händen hielten und ab und zu einen Blick auf ein paar Hunde warfen, die sich ein Stück entfernt von ihm, um einen zerfledderten Ball stritten.
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