Der Nachmittag verging, und Jenna erfuhr weitere Dinge, einiges über die Dämonen, einiges über Fähigkeiten und Gaben. Den Abend verbrachte sie alleine auf ihrem Zimmer. Elias ließ sich nicht blicken, und das, obwohl sie gerne mit ihm hätte reden wollen.
In den darauf folgenden Tagen ging ihre Einweisung weiter. Die Gespräche führten unweigerlich, immer wieder zu Danjal.
„Ist Danjal tatsächlich das personifizierte Böse?“, fragte sie Pater Sebastian, als sie durch den Garten des Palais liefen. „Jeder der Abkömmlinge ist das personifizierte Böse“, war seine Antwort. „Elias hat IHN immer als so allmächtig dargestellt, ist ER wirklich so unangreifbar, wie auch ER sich gerne selber darstellt?“ „Das müssten Sie doch beantworten können, wie haben Sie IHN kennengelernt?“
Jenna brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Kennengelernt hatte sie IHN als Menschen, ohne Erinnerungen, der Angst davor gehabt hatte, zu erfahren, wer er wirklich war.
Sie antwortete jedoch: „Ich glaube das was ich an ihm kennengelernt habe ist nicht repräsentativ. Er hatte einiges durchgemacht und konnte sich an nichts erinnern, er war verletzlich.“ „Sie haben alle ihre Schwächen, Danjals Schwäche ist Lilith. Sie war ein Mensch und wurde zu dem gemacht, was sie ist. Sie wollte frei entscheiden können und wurde bestraft. Dafür rächt sie sich. Ich habe keine Kinder, und sicher entspringt es den Geschichten der alten Schreiber, dass sie so unglaublich viele hatte, dass Gott täglich 100 von ihnen töten lassen konnte. Fakt ist aber, dass er viele ihrer Nachkommen hat töten lassen. Keine Frau würde das ungesühnt lassen. Das ist die Schwäche, die sie weitergegeben hat, das menschliche, ihr Begehren auf Verteidigung der Familie. Auch wenn es ganz tief in SEINEM Inneren steckt, es ist da und das macht IHN abgreifbar, hat es immer getan, auch wenn ER dies bestreitet und Elias IHM das abspricht. ER ist im Laufe der Geschichte immer wieder den Jägern in die Hände gefallen, wenn ER so allmächtig wäre, wäre das nicht geschehen, denke ich.“
Der Pate war sehr viel rationaler im Umgang mit Danjal, als Elias. Aber war es Elias zu verübeln? Nach allem, was Danjal ihm angetan hatte, musste ER für ihn einfach das einzige personifizierte Böse sein, was es galt zu vernichten.
„Ist er der Mächtigste von allen?“ „Och, ich würde sagen nicht der Mächtigste, aber der Älteste und der Ausdauerndste und er kann durch die normalen Auserwählten eben nicht ausgelöscht werden. Es gibt Abkömmlinge, die schwere Naturkatastrophen heraufbeschwören können und mit einem Schlag, ganz bewusst vielen Menschen den Tod bringen. Sie schlagen nicht so häufig zu. ER bedient sich eher der menschlichen Schwächen, lässt die Menschen für sich arbeiten. Die Folgen SEINER Taten sind ganz unterschiedlich, manchmal fordern sie wenige Opfer, manchmal Millionen, manchmal begnügt ER sich damit einen einzelnen Menschen zu töten.“
„Er sammelt Seelen“, murmelte Jen. „Er sammelt Leben, Energie, den Funken, der in einem Menschen steckt, um sich zu stärken, die Heilung seines Körpers voranzutreiben oder um sich einfach nur daran zu laben.“ Mit Grausen musste sie daran denken, dass ER es auch bei ihr getan hatte und auch bei ihrer Schwester. Laura hatte ER dabei getötet, sie nicht. Bei dem Gedanken an ihre Schwester hatte sie einen Klos im Hals und die Frage, die sie Sebastian nun stellte, war eher ein Krächzen. „Wieso habe ich ihn nicht auslöschen können, warum ist er zurückgekommen?“ Der Pater setzte sich auf eine steinerne Bank, sie nahm neben ihm Platz. „Die Frage zu beantworten fällt mir schwer. Es ist eher eine Vermutung, die wir diesbezüglich angestellt haben und sie ist beinahe zu einfach, weil Lilith es nicht wollte.“ „Elias hat ihn zerstückelt“, sagte sie, „wie konnte er sich wieder zusammensetzen?“ Sebastian lächelte. „Sie müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass alles logisch auf der Welt ist.“ „Ich bin Wissenschaftlerin.“ „Sie waren Wissenschaftlerin, und auch dort ist Ihnen sicher das ein oder andere begegnet, das sich nicht logisch erklären ließ. Man hat sogar schon versucht IHN zu verbrennen, sein Körper war nur noch Asche und trotzdem kam ER wieder, an IHM ist etwas Besonderes.“
Tausend Fragen schwirrten in ihrem Kopf umher, sie alle drehte sich um IHN. Sie saß in ihrem Zimmer und wollte sich eigentlich ein paar Notizen machen, um die wichtigen Dinge nicht zu vergessen. Welche Dämonen es gab, was ihre Stärken und Schwächen waren, geschichtlich relevante Ereignisse und so, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Jen beschloss das Refugium zu verlassen und ein wenig spazieren zu gehen. Den Kopf freikriegen, so hatte es Danjal genannt, wenn er von ihr aus aufgebrochen war, um zu töten. Sie wollte auch den Kopf freikriegen, aber sicher würde sie niemanden töten. Sie zog sich ihre Jacke über und verließ das Palais.
Das Christentum begann sich auszubreiten und immer mehr an Einfluss zu gewinnen das verschaffte Gott eine großen Vorteil.
Gott hatte sich ein paar Jahrtausende im Hintergrund gehalten, nur ab und an seine Spielfiguren unter die Menschheit gestreut, so wie es das Böse auch getan hatte, nun aber schien ihm das nicht mehr zu reichen. Er hatte seinen Abkömmling gesandt, und der war als Messias in die Analen der Geschichte eingegangen und hatte unzählige Anhänger Gottes hervorgebracht. Jesus Glanzstück war wohl die Auferstehung gewesen. Nachdem er durch die Römer gekreuzigt worden war, war er drei Tage später zurückgekehrt. Danjal hätte beinahe losgelacht, vielleicht hätte er selbst auch einmal mit so viel Getue zurückkehren sollen, gestorben und auferstanden war er schon öfter als ihm lieb war. Vielleicht hätte er dann einen neuen Glauben in die Welt gesetzt, das Lilithtum, und IHR wären die Menschen gefolgt.
Danjal war auf dem Weg nach Konstantinopel. Hier wollte er Justinian I. einen Besuch abstatten. Justinian, der Kaiser von Byzanz, war ein alter 'Freund'. Vor ein paar Jahren hatte er bereits Kontakte zu ihm geknüpft und ein kleines 'Geschenk' dort gelassen. Dieses 'Geschenk' hatte er ursprünglich aus Ägypten mitgebracht und es hatte sich als sehr nützlich erwiesen. Diese winzigen, wunderbaren Erreger hatten die Menschen schon im Nildelta krankgemacht und ihre Wirkung bis zum Rhein ausgebreitet. Leider hatten sie sich irgendwie verflüchtigt. Danjal hatte vor, sie noch einmal unter die Leute zu bringen.
Justinian hieß ihn in seiner Residenz willkommen, und als er mit ihm durch den Garten spazierte und sie Neuigkeiten austauschten, beobachtete er den Kaiser ganz genau. Der untersetzte Mann, mit dem dünnen, Haar, dem runden Gesicht und den leicht geröteten, nach römischer Sitte, glatt rasierten Wangen, hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. Vielleicht würde ihm das Lächeln einmal vergehen. Danjal wusste, dass nach allem, was geschehen war, nach all den Untaten, die Justinian an den Menschen verübt hatte, viele der Meinung waren, dass er kein menschliches Wesen sei, sondern die Verkörperung eines Dämons. Man machte ihn für die Krankheit verantwortlich, für die Naturkatastrophen, man verachtete ihn für seine Sucht nach Anerkennung, seine Selbstliebe, die er durch seine teuren Bauwerke zum Ausdruck brachte und durch seine Kriege, die er mit leeren Staatskassen bezahlte. Um diese wieder aufzufüllen, schröpfte er das gemeine Volk, indem er horrende Steuern verlangte und die Menschen in Armut leben ließ.
Nein, er war kein Dämon, er war kein Abkömmling, er war ein gieriger Mensch, der glaubte, all seine Macht aus Gottes Hand erhalten zu haben. Er ließ Heiden verfolgen und ermorden. Zerstörte ihre Tempel, zwang sie, den christlichen Glauben anzunehmen und tötete diejenigen, die sich weigerten. Justinian hatte die Verfolgung nichtchristlicher Gelehrter angeordnet und Bücher verbrennen lassen. Er war eifrig dabei die Christianisierung voranzutreiben und das gefiel Danjal nicht. Obwohl er kein Menschenfreund war, und ebenfalls an der Dezimierung der Menschheit arbeitete, war er der Meinung, Justinian mache einen großen Fehler.
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