Cordulas Schwester Elisa nahm jetzt Schauspielunterricht und kam mit rot lackierten Fingernägeln in den Luftschutzkeller, was ihr die missbilligenden Blicke der Nachbarn einbrachten. Sie gebrauchte Ausdrücke am Mittagstisch, die in der Familie nicht üblich waren, und die sich die Mutter verbat. Aber Elisa beharrte darauf und meinte, es wäre in der Schauspielschule so üblich und es sei modern. Der Vater nahm es gelassen und fragte seine Töchter spöttisch, ob denn die roten Fingernägel zu der übrigen Kleidung passen würden. Cordula hätte selbst zu gerne ihre Fingernägel rotlackiert, aber Peter meinte, eine deutsche Frau täte das nicht, ein Bemerkung, die Cordula etwas verblüffte, aber es hing wohl mit dem neuen nationalsozialistischen Gedankengut zusammen.
Sie war bisher allen Verpflichtungen entgangen, war weder im BDM noch in der NS Frauenschaft, nur im Betrieb konnte man sich nicht der Gewerkschaft und der deutsch-sowjetischen Freundschaft entziehen und musste seinen monatlichen Beitrag zahlen, obwohl weder jetzt noch später etwas von einer Freundschaft mit der Sowjetunion zu spüren war.
Die ersten Bomben waren vor der Ullstein Filiale ihres Vaters gefallen und Cordula sah sich mit vielen Berlinern den riesigen Bombentrichter an, der abgegrenzt war und von dem der Reichsmarschall Göring sagte, „er will Meyer heißen, wenn jetzt nochmal die Engländer ihre Bomben auf Berlin fallen lassen würden“. Aber die Bomben fielen und legten bis 1945 nicht nur Berlin in Schutt und Asche. Cordula schrieb ihrem Peter darüber lange zärtliche Briefe und genauso viele sandte er ihr. Ihr Verliebt sein und die Sehnsucht zueinander ließ sie beide in ihren Briefen die grausame Trennung leichter ertragen.
Als im Juni 1943 der Arzt Cordulas Schwangerschaft bestätigte war Peter überglücklich und brachte sein Frauchen schleunigst in einem speziellen Luftschutzkeller unter, welcher am Alexanderplatz in einem Hochhaus, für Schwangere eingerichtet war. Da es nichts Vernünftiges zu kaufen gab und die Punkte auf der Kleiderkarte nicht ausreichten, nähte sich Cordula selber ein Umstandskleid. Geschickt setzte sie einem hellblauen Kleid ein schmales dunkles Vorderteil ein, das man ausknöpfen und dem jeweiligen Umfang anpassen konnte.
So fuhr Cordula nun jeden Abend, bevor es dunkel wurde, mit der U-Bahn zum Alex. Dort saßen die jungen Frauen, hatten ihre Handarbeiten mit und strickten und häkelten für den zu erwartenden Nachwuchs. Sie bekamen dort ihr Abendbrot und wurden betreut von einer Hebamme und einer Krankenschwester.
Es ging nicht immer ganz glatt und eines Abends hatte Cordula Pech und stürzte auf der Treppe, die zum Luftschutzkeller führte. Es hatte schon Bombenalarm gegeben und das Licht ging aus als sie sich auf der Treppe befand. Sie stürzte in den Schacht und als sie aufstand und sich an den Wänden entlang tastete, fand sie in der völligen Dunkelheit nicht den Ausgang, der zu dem Keller führte. Cordula glaubte lebendig eingemauert zu sein. Sie geriet in Panik und schrie um Hilfe, aber niemand schien sie zu hören und draußen fielen schon die ersten Bomben. Dann endlich ging weit hinten im Gang eine Tür auf, Licht fiel heraus und eine Stimme fragte „hallo, wer ist dort?“ Gott lob, Cordula war gerettet.
Aber ein andermal ging es nicht so glimpflich ab. Eine Bombe fiel in den Innenhof des Hochhauses. Der Lärm war unbeschreiblich. Die jungen, schwangeren Frauen saßen gerade gemeinsam um den Tisch und hatten ihr Abendbrot. Der Luftdruck fegte sie alle weg vom Tisch und sie fanden sich auf der Erde an den Wänden wieder. Bei einer der Schwangeren setzten plötzlich die Wehen ein und die Betreuerinnen hatten alle Hände voll zu tun, um all das Schreien und Weinen der Frauen zu beruhigen.
Cordula war, nach dem ersten Schrecken sicher, dass Peter sie alle rausholen würde, schließlich saß er hier in Berlin in der Kommando-Zentrale, und würde kommen, um sie zu retten. Und so kam es auch. Als die Sirene Entwarnung heulte, die verriegelten Türen wieder zu öffnen waren, fanden die Frauen draußen ganze Mannschaften vor, die schwer schippten und gruben, um das eingestürzte Mauerwerk zu beseitigen und die Frauen ans Tageslicht zu holen.
Der Reichspropagandaminister Goebbels hatte die Evakuierung Berlins angeordnet. Er hatte den Berliner Frauen empfohlen, die Stadt wegen der ständig wachsenden Fliegergefahr zu verlassen. Panischer Schrecken ergriff Berlins Mütter und Frauen. Eisenbahnzüge wurden zusammengestellt, Kindertransporte gingen nach Norden, Evakuierungen in umliegende Dörfer wurden organisiert. Nur raus aus Berlin. Die Familien wurden auseinander gerissen und wie viele fanden auch nach Kriegsende nie mehr zusammen.
Peters Einsatz war inzwischen in der Polizei Kommando- Zentrale in Berlin und er hatte damit die Möglichkeit, sich besser um seine Frau kümmern zu können. Er brachte sie zuerst bei einer seiner verheirateten Schwestern in Hoimgrube/Oberschlesien unter, wo sie gut und liebevoll versorgt wurde. Aber Cordula fühlte sich nicht wohl dort, man behandelte sie wie ein kleines Kind, las ihre Post und nahm ihre jede Selbstständigkeit. Eines Tages ging sie zum Bahnhof und kaufte sich eine Fahrkarte nach Berlin.
Die Eisenbahnfahrt in den überfüllten Zügen, zwischen all den Soldaten, die zur Front fuhren oder von dort kamen, war abenteuerlich, aber man war höflich und zuvorkommend zu der jungen schwangeren Frau, sie bekam einen Sitzplatz und lernte eine nette Berlinerin kennen. Diese musste in Berlin schon früher austeigen und bot Cordula an, den Ehemann anzurufen und ihm seine Frau anzukündigen. Peter kam völlig überrascht und etwas irritiert auf den Bahnsteig und nahm seine Frau mit einigen Vorwürfen in Empfang. „Wie kannst Du nur so leichtsinnig sein“, sagte er, „in Deinem Zustand ist eine solche Reise viel zu anstrengend, ich hätte Dich doch holen können.“ Aber Cordula war zu glücklich wieder in Berlin und bei ihrem Peter zu sein. Erst viel später fiel ihr auf, dass er sie mit dem Namen „Inge“ angesprochen hatte.
Als es in Berlin immer gefährlicher wurde, brachte er seine hochschwangere Frau nach Thüringen. In Berlin mussten sie in dem bereits zerstören Anhalter Bahnhof warten, wo sie, an eine kaputte Mauer gekauert die Bombennacht in der Januarkälte zubrachten, ehe ein unplanmäßiger Zug sie mitnehmen konnte.
Dieses Entbindungs-Heim, in landschaftlich schöner Lage, war ein ehemaliges Erholungsheim für jüdische Kaufleute und war von den Nazis enteignet und zum Entbindungsheim umfunktioniert worden.
Cordula war unglücklich, als Peter sie dort zurück ließ, weil er wieder nach Berlin auf seinen Posten zurück musste. Die junge Frau hatte in der letzten Zeit viele kritische Gedanken und recht sorgenvolle Überlegungen. In dem schwangeren Zustand fühlte sie sich dick und unattraktiv. Sie war immer sein Rehlein, sein großer behüteter Schatz gewesen, würde es denn so bleiben, wenn er den Sohn bekam, den er sich so sehnlich wünschte? Würde dann nicht seine ganze Liebe und sein Stolz eben diesem Sohn gelten? Und sie käme dann erst an zweiter Stelle in seinem Herzen und seinen Gedanken? Die zeitweilige Trennung von ihm und seine Überraschung als sie jetzt unangemeldet nach Berlin zurückkam, gaben ihr zu denken.
Einmal schrieb sie ihm, dass es dort nichts zu essen gab und sie Hunger hatte, Peter war sehr besorgt, wusste aber im Moment so schnell keine Hilfe. Cordula war mit vielen Frauen zusammen, die alle auf die Geburt ihres Kindes warteten und alle standen täglich vor der Speisekarte, die an der Tür des Speisesaals angeschlagen war. Es las sich verlockend, was da täglich angeboten wurde, aber es waren schließlich dann doch nur Gerichte aus Kartoffeln, oft sogar die übrig gebliebenen des Vortages, deren wohlklingende Bezeichnungen darüber hinweg täuschen sollten, wie schlecht die Versorgung im 5.Kriegsjahr war.
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