2. Kapitel 1939 - 1945
Berlin, Polen
Peter plante ihre Zukunft. Als Auslandsdeutscher war er beeindruckt von den neuen nationalsozialistischen Ideen und trat der Waffen SS bei, womit er sich bessere Chancen in Deutschland versprach. Cordula aber lehnte jegliche politische Stellungnahme ab. Sie hatte eine halbjüdische Schul-Freundin und litt mit ihr unter den Repressalien und Demütigungen, die den Juden seit 1933 durch die Nazis in immer stärkerem Maße zugefügt wurden. Es dauerte dann auch nicht mehr lange und Hitler und seine Gefolgsleute propagierten ganz öffentlich den Hass gegen die jüdische Bevölkerung. Und das nicht nur in Deutschland. Es gab Ausschreitungen und Krawalle, Bücherverbrennungen und Terrorakte und es gab die furchtbare sogenannte Kristallnacht mit dem Zerstören und Zerschlagen jüdischer Geschäfte und Synagogen. Jüdische Bürger wurden auf den Straßen misshandelt und geschlagen und es gab die ersten Toten. Das alles geschah unter den Augen und der Mitwirkung von den Braunhemden, die sich SA oder SS nannte.
Auch in der Schule zeigten sich befremdliche Änderungen. Es wurden politische Meinungsverschiedenheiten handgreiflich und lautstark auf dem Schulhof ausgetragen, aber die Kinder merkten auch bald, dass man mit einer eigenen Meinung besser zurückhielt, wie es die Eltern ihnen ständig empfahlen. Morgens holte Cordula immer ihre Freundin zur Schule ab, so konnten die beiden Oberschülerinnen stets unterwegs Schaufenster ansehen, die Leute beobachten und ausreichend schwätzen. Nach Schulschluss ging Cordula oft mit in die Wohnung und sie machten die Schularbeiten zusammen. Dabei lernte sie die Eltern von Ingrid kennen, die sich sehr über die Freundschaft der beiden Mädchen freuten.
Diese Freundin Ingrid, deren Vater eine große Schneiderei besaß, hatte eine jüdische Mutter und der Vater tat alles, um seine einzige Tochter vor eventuellen Repressalien zu schützen. So wurde sie z.B. Mitglied in dem exklusiven Berliner Schlittschuh-Club in dem viel Prominenz verkehrte und es dauerte dann auch nicht lange und Ingrid war mit dem Sohn eines bekannten Bühnenbildners verlobt, der aber später, unter den gegebenen Verhältnissen, die Verlobung wieder löste, worüber die empörte Cordula die weinende Schulfreundin trösten musste.
In der Schulklasse waren noch zwei jüdische Mädchen, die sich eines Tages verabschiedeten, weil die Eltern nach Israel gingen, was die Schulkinder alle nicht so recht verstanden.
Der Unterricht wurde jetzt sehr politisch. Die Lehrer wurden morgens bei Eintritt in die Klasse von den Schülerinnen und Schülern mit erhobenem rechten Arm und „Heil Hitler“ begrüßt. Die Jugendlichen fingen bald an vorsichtig zu werden in ihren Meinungsäußerungen, denn zu Hause wurde meist anders gesprochen als in der Schule und die Eltern ermahnten sie dringend zur Vorsicht.
In den Straßen sah man jetzt immer öfter Leute, deren Kleidung mit einem großen J gekennzeichnet waren und Peter versuchte seiner jungen Braut neu erworbene national-sozialistische Parolen zu vermitteln. Niemals aber versuchte er Cordula zu beeinflussen dem BDM (Bund Deutscher Mädchen) beizutreten, denn er wusste nur zu gut, wie man in der Holtei Familie über die „ neue Bewegung“ dachte. Der Vater war und blieb ein glühender Verehrer der Ullsteiner, denn er verdankte schließlich dem Dr. Franz Ullstein seine berufliche Karriere. Hatte dieser doch dem patenten 19jährigen die Laufbahn zum Filialleiter einer der Ullstein Filialen ermöglicht, indem er für ihn die erforderliche Kaution von 700 Reichsmark bezahlte, die der junge mittellose Mann niemals hätte aufbringen können. Viele Mitglieder der Holtei- Familie, auch Tochter und Enkelsohn, arbeiteten später in diesem großen Verlag, der Weltbedeutung erlangte. Da der Begründer jüdischer Herkunft war, wurde der Ullstein Verlag dann von den Nazis enteignet und in „Deutscher Verlag“ umbenannt. Um der Verfolgung zu entgehen, verließ die Familie Ullstein das Großdeutsche Reich, wie es nun hieß, und floh in alle Welt.
Herr Holtei hatte in seiner langjährigen Laufbahn dann Ullstein-Filialen in Berlin, Brandenburg, Stettin, Potsdam und wieder Berlin zu leiten und seine vier Kinder waren alle in verschiedenen Städten geboren. Sein 25igstes Dienstjubiläum wurde in Potsdam gefeiert, wozu die Honoratioren des Verlages zur Gratulation mit noblen Geschenken kamen. So schenkte man ihm eine Standuhr mit Westminster Gong und eine goldene Taschenuhr mit Widmung, die ihm und seiner Frau später in den furchtbaren Kriegsjahren das Leben retten sollte.
Gerhard, der jüngste Sohn war zwar auch dem Jungvolk der Hitlerjugend auf Drängen der Schule beigetreten, hatte aber wenig Freude und Interesse an den Geländemärschen und –Spielen und versäumte oft die geforderten Kameradschaftsabende und Zusammenkünfte. Auch die dazu gehörige „Uniform“ mit dem Halstuch zog er äußerst ungern an.
Peter hatte eine gute Stellung in der Berliner Niederlassung der DEGUSSA (Deutsche Gold-und Silberscheide-Anstalt) mit einem großzügigen Gehalt, die er in Hinblick auf seine geplante Zukunft nicht gefährden durfte. Man musste sich anpassen. Als Auslanddeutscher musste er besonders vorsichtig sein.
Vorerst plante er eine Urlaubsreise mit Cordula. Er liebte den Wintersport und wollte seiner kleinen Braut das Skilaufen beibringen .Die Eltern waren einverstanden, die Mutter bestand aber darauf, dass es getrennte Zimmer sein müssten. Peter telefonierte deswegen mit der Wirtin in dem Urlaubsort Frauenwalde am Rennsteig, die ihm aber sagte, dass sie nur noch ein Zimmer frei hätte, sie würde aber den Nachttisch zwischen die Betten stellen. Der junge Mann lächelte bei dem Gedanken an das „arge Hindernis“, war er doch sowieso gebunden an das Versprechen, das er seinen zukünftigen Schwiegereltern hatte geben müssen.
Es gab aber noch eine andere Schwierigkeit, man bekam keine passenden Skischuhe für Cordulas kleine Füße und so mussten sie sich mit den geborgten Stiefeln von Peters Schwester Dodo behelfen, die mindestens zwei Nummern zu groß waren. Mit großer Geduld und viel Lachen und Neckereien waren sie nun jeden Morgen damit beschäftigt, Cordulas Füße mit dicken Socken und militärischen „Fußlappen“ passend zu machen für die zu großen Schuhe.
Sie hatten eine wunderschöne Zeit zusammen. Die Welt lag im glitzernden Schnee und die Zukunft malten sie sich in rosaroten Farben. Peter war ein williger und geduldiger Bräutigam und Cordula fühlte sich verwöhnt und war verliebt in diesen viel älteren Mann, den sie sich ganz untertan gemacht hatte und der ihrer süßen Jugend und ihrem Eigenwillen nicht widerstehen konnte. Sie stand schon bald geschickt auf den Skibrettern und war begeistert von all dem Neuen was sich ihr bot. Sie merkte bald, welche Macht eine junge und hübsche Frau über ihren verliebten zukünftigen Ehemann hat und nutzte diese unschuldig und arglos aus.
Einmal kamen sie auf dem Spazierweg durch das Dorf und die umliegende Bergwelt an einem Kirchlein vorbei, in dem Peter eine alte Orgel entdeckte. Er zeigte ihr, wie sie die Bälge zu treten hätte und setzte sich davor um zu spielen. Die Klänge rauschten durch die kleine Dorfkirche und das Mädchen blickte bewundernd auf diesen wunderbaren Mann, der sie mit so vielen schönen Erlebnissen verwöhnte.
Wieder in Berlin lernte sie die vier unverheirateten Schwestern von Peter kennen. Da diese als Auslanddeutsche für Deutschland optiert hatten mussten sie nun das jetzt zu Polen gehörende Oberschlesien verlassen, kamen „heim ins Reich“ und suchten sich in Berlin eine große Wohnung, in die auch der Bruder mit einziehen sollte. Cordula und Peter sollten nach der Hochzeit das große Zimmer beziehen. So gingen sie daran, sich passende Möbel dafür zu besorgen, was zu der Zeit gar nicht so einfach war und Cordula nur schwer ihre Vorstellungen und Wünsche für eine gemeinsame, moderne Wohnungseinrichtung realisieren konnte. Es gab z.B. recht schöne, große und schwere Sessel, die ihnen gefielen, aber es waren z.Zt. nur Bezüge aus Papierstoff lieferbar, die nicht allzu strapazierfähig wirkten. Es erwies sich aber später, dass gerade diese Sessel mit dem Papierstoff als einzige den Krieg und die Nachkriegszeiten überdauerten und viele Jahre danach noch immer hübsch und ordentlich aussahen.
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