Der Reitunterricht, den sie bei einem Major in Berlin-Pankow bekam, der in seinem großen Garten eine Reitbahn in Form einer Acht eingerichtet hatte, gefiel ihr sehr. Sie hatte sich dafür eine gelbe Jacke mit Lederbesatz angeschafft und dazu moderne Reithosen. Sie begeisterte sich sehr für ihr Pferd und der Reitlehrer lobte sie stets und meinte, dass sie die geborene Reiterin sei. Das Tennisspielen gefiel ihr dagegen weniger. Sie hatte sich ein schickes Kleid mit einem Faltenrock genäht, aber das Rumrennen in der Hitze gefiel ihr gar nicht. Peter, der ein ausgezeichneter Spieler war, hatte ihr einen Lehrer bestellt, aber Cordula war jedes Mal froh, wenn Peter sie endlich abholte und mit ihr in ein Lokal ging, wo sie ein Malzbier für ihren großen Durst bekam.
Das Pferd, welches sie auf dem Gelände des Majors ritt, hieß Rastill. Es war ein hellbrauner, gutmütiger Wallach und da Cordula ihm stets einen Apfel oder eine Mohrrübe mitbrachte, wurden sie bald gute Freunde und sie fühlte sich sicher auf seinem breiten Rücken. Manchmal kam ein gemeinsamer Freund mit auf die Reitbahn und verfolgte Cordula mit bewundernden Blicken.
Peter war sehr verliebt in seine süße, kleine Braut und so passierte es einmal, als sie wieder in der Eiskonditorei saßen, dass er ihre Hand nahm und sie während ihres Gesprächs auf seinen Oberschenkel legte. Cordula sah ihn mit offenem Mund und aufgerissenen Augen an, so dass er ihre Hand schleunigst wieder zurücklegen musste. Am anderen Tag saß sie dann in der Schulbank und wunderte sich über das merkwürdige Gefühl, das sie in der Hand hatte.
Ein andermal, als er sie zu dem Abschiedsball seines Tennisvereins mitnehmen durfte, beklagte sie sich, dass sie beim Tanzen etwas Hartes verspürte, ob er denn seinen Schlüsselbund bei sich trüge. Peter fühlte, wie er puterrot wurde, entschuldigte sich und ging auf die Toilette um die Störung zu beseitigen.
Cordula ging gerne mit ihm in die Berliner Museen und als die nationalsozialistische Gemälde-Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet wurde, konnte sie es gar nicht erwarten die Ausstellung zu sehen. Durch ihre Eltern und durch ihre Schwester Elisa, die Malerei studierte, war das junge Mädchen an den großartigen Werken der europäischen und außereuropäischen Malerei namhafter Künstler außerordentlich interessiert, selbst wenn sie die Ausstellung nicht so verstand, wie die Nazis es meinten. Peter geriet darüber mit seiner klugen, kleinen Braut in ernsthafte Diskussionen, was sie beide sehr genossen. Sie schwärme für die Impressionisten wie Monet, Macke, Manet und er bevorzugte Paul Klee und Feininger.
Cordula liebte die Musik und war begeistert, als er mit ihr in die Oper ging, wie sie es von den Eltern her kannte. Sie hatte bereits mit 11 Jahren Verdi’s „Aida“, gesehen, wovon sie sehr beeindruckt war. Sie wurden beide begeisterte Opernbesucher und hatten bald eine stattliche Sammlung von Schellackplatten mit Opernmusik, die sie sich immer wieder gerne anhörten. Sie saß dann entrückt unter den Klängen der klassischen Musik und manchmal war sie so beeindruckt, dass ihr die Tränen kamen.
Die Eltern gingen oft in die Oper und die Mutter trug dazu stets ein Aprikosen farbiges Seidenkleid mit einem üppigen Dekolletee, worin die Töchter sie bewunderten, wenn die Eltern sich für ihren monatlichen Opernbesuch verabschiedeten. Auch zum Tanztee führte Peter sie aus und in Teddy Stauffer‘s Bar tanzten sie zu der modernen Swing Music und staunten über die schicken jungen Damen mit ihren grün lackierten Fingernägeln, wie es gerade Mode war.
Später nach Schulabschluss als Cordula in einem Verlag ihre erste Stellung hatte, gesellten sich zu ihnen ein Kollege, der aus Afrika kam und in dem gleichen Verlag als Dolmetscher arbeitete und ebenso eine junge, schwarzhaarige Schauspielerin, die sich ihr Studium hier verdiente. Das wuchs sich zu einer echten Freundschaft zu viert aus und sollte für viele Jahre halten. Mit weiblichem Scharfsinn hatte Annegret, die Schauspielerin, den ernsten, verschlossenen jungen Kollegen „Eiserner Heinrich“ getauft, nach dem Märchen von der Prinzessin und dem Froschkönig. „Ich bin begierig“, spöttelte sie, „zu sehen, wann die eisernen Ringe von Ihrem Herzen fallen. Es müssen sehr viele sein, sonst könnten Sie nicht so völlig kalt und unbeteiligt bleiben, selbst im Kreis der reizendsten Frauen.“ Aber er ließ sich nicht aus seiner Reserve locken.
Doch mit Peter verstand er sich gut. Obwohl die beiden jungen Männer sehr unterschiedlicher politischer Meinung waren, hatten sie viele gemeinsame Interessen und besonders Peter wollte so manches wissen, wenn der jüngere Rudolph Wedekind von seinen Erlebnissen als Fremdenlegionär in Französisch Marokko erzählte. Dieser große breitschultrige Mann war nicht leicht dazu zu bringen über sich selbst zu sprechen und konnte sehr schroff und abweisend sein Vielleicht waren da Ereignisse in seinem Leben, die er nicht preisgeben wollte. Nur Cordula gegenüber war er sanft und einfühlsam. Peter ahnte, dass er vielleicht an einer unglücklichen Liebe litt und sollte es sogar die zu seinem Mädchen sein, so fand er es selbstverständlich, dass man sich in sie verliebte.
Es waren politisch unruhige Zeiten. Der greise Reichspräsident von Hindenburg hatte Adolf Hitler zum Reichskanzler anerkannt, ein Ereignis, welches in Potsdam in der Garnisonkirche stattfand. Als sich die Tür der Kirche öffnete und die beiden Herren heraustraten, reichte der neu ernannte Reichskanzler dem Reichspräsidenten, der in seiner Generalsuniform erschienen war, mit einer tiefen Verbeugung die Hand.
Cordula konnte das alles vom Fenster aus beobachten, denn zu dieser Zeit wohnten ihre Eltern mit ihren 4 Kindern noch in Potsdam, gerade in der Nähe der Garnison Kirche, von der später im Krieg nur noch Trümmer übrig blieben. Es gab jetzt Aufmärsche der Braunhemden, die sich SA nannten, es gab die „ HJ“ Hitlerjugend für die Jungs und den“ BDM“ Bund Deutscher Mädchen für die jugendlichen Mädchen.
In der Schule herrschte plötzlich ein anderer Ton, Mädchen und Jungen kamen in den Uniformen der neuen Bewegung. Auf den Straßen klapperten die Sammelbüchsen für immer neue Anlässe und an bestimmen Sonntagen dufte nur noch „Eintopf“ gekocht und gegessen werden. Die daraus rekrutierenden „Einsparungen“ ließ die nationalsozialistische Partei für die neue Größe Deutschlands von bekannten und beliebten Prominenten sammeln. So sah man dann prominente Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich diesem Dienst nicht entziehen konnten, an diesen Sonntagen mit den blechernen Büchsen auf den Straßen oder sie kamen sogar an die Wohnungstüren, um die nicht ganz freiwilligen „Spenden“ einzusammeln.
Bald wurden erste Hassreden gegen jüdische Bürger bekannt und man hörte von Verfolgungen und Ausschreitungen.
Peter wurde aufmerksam; als Auslandsdeutscher erlag er nur zu leicht den großsprecherischen Propagandareden der neuen Machthaber, die den Heimatvertriebenen das Wiedererlangen der verlorenen Heimat versprach. Er musste vorsichtig handeln und überlegen. Einerseits plante er die Zukunft, andererseits war er zu beschäftigt und engagiert mit seinem Mädchen, die zu jung war, um männliche Gefühle zu verstehen und die er sehr vorsichtig darüber aufklären musste.
Sie machten einmal einen kleinen Ausflug nach Potsdam, wo Peter heimlich im Palasthotel Barberini ein Zimmer bestellt hatte. In diesem eleganten Rahmen wollte der liebeskranke junge Man seine kleine Braut verführen. Sie speisten Hasenbraten und tranken ein Glas Wein in dem eleganten Hotel. Cordula, ungewohnt des Alkohols, kicherte übermütig als sie in dem breiten Hotelbett Mann und Frau spielen wollten. Aber es halfen keine Zärtlichkeiten, kein Küssen und Kosen. „Nein, Peter“, flüsterte sie, „das geht bei mir nicht, ich bin anders.“ Sie wusste zwar selbst nicht, was darunter zu verstehen war, aber jedenfalls hatte sie von den Schulfreundinnen ziemlich unverständliche und unklare Andeutungen gehört, die sie nicht begriffen und sogar erschreckt hatten. Also musste er es für diesmal aufgeben, diesem ahnungslosen Mädchen seine Liebe zu beweisen und brachte sie unbeschadet wieder nach Hause.
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