Er war groß und schlank und trug an der linken Hand einen goldenen Ring mit einem schwarzen Stein, was ihr nicht entgangen war. Er fragte sie, welche Musik sie am liebsten hatte und welche Gedichte sie mochte und nahm teil an allem was sie interessierte. Sie erzählte ihm von ihren Freundinnen und über die Schule und ihre Teilnahme an der Olympiade, die 1936 in Berlin stattfinden sollte.
Die drei erlaubten Stunden vergingen sehr schnell. Peter brachte das Mädchen pünktlich nach Hause. Sie freuten sich beide auf den nächsten Sonnabend und waren vergnügt und zufrieden mit ihrem ersten Rendezvous. Cordula überlegte schon, was sie das nächste Mal anziehen würde und was sie ihm alles noch erzählen könnte.
Es war das Jahr 1936, das Olympiajahr und im August sollte die Eröffnung sein. Cordula gehörte zu den ausgewählten Schülerinnen, die bei der Eröffnungsfeier mitwirken sollten. Eine Kommission hatte in den Berliner Schulen schon seit längerem sportliche Mädchen und Jungen heraus gesucht, die gut im Turnen waren. Die Schulkinder mussten der Kommission vorturnen und wurden danach ausgewählt. Es wurden Hunderte gebraucht und ausgesucht und dann legte die Kommission die Proben auf dem Maifeld und im Olympiastadion fest. Die ausgewählten Schüler und Schülerinnen kamen nun aus ganz Berlin täglich zum Üben. Die Jungen sollten zur Eröffnungsfeier beim Einzug in das Stadion die Fahnen schwingen und hinter dem Schweizer Fahnenschwinger marschieren, der eine große Fahne in die Luft warf, wo sie sich kunstvoll entfaltete und dann wieder geschickt aufgefangen wurde. Das war sehr effektvoll, so etwas hatte man noch nie gesehen.
Die Mädchen bildeten drei Kreise in denen die weltberühmten Tänzerinnen Mary Wigman und Gret Palucca und der großartige Tänzer Harald Kreuzberg tanzten. Dazu sollten die jungen Mädchen beige orangefarbige Kleider tragen, die sie zugeschnitten bekamen und sich zu Hause selber nähen sollten. Der Leiter der bekannten Medau Tanzschule dirigierte, außer den Tanzvorführungen der hübschen jungen Mädchen seiner Tanzschule, ebenfalls die Proben im Olympiastadion zu der Eröffnungsfeier und die gymnastischen Darbietungen auf dem Maifeld. Das ging alles über das Mikrophon und zum Abschluss lief jedes Kind auf dem Maifeld zu dem Metallplättchen mit seiner Nummer, woraus sich dann die Hakenkreuzfahne auf dem Rasen bildete.
Das Publikum staunte und es gab viel Applaus. Die Jugend war begeistert und stolz, dass sie dabei sein durften und hier jede Menge der heißbegehrten Autogramme der vielen deutschen und ausländischen Sportler sammeln konnten.
Während der Aufführung fuhr die bekannte Schauspielerin und Regisseurin Leni Riefenstahl, der man gute Verbindung zu der neuen Nationalsozialistischen Regierung nachsagte, mit dem Jeep herum und machte Aufnahmen für den Film über die Olympiade.
Zum Abschluss der Eröffnungsfeier wurde die von Beethoven vertonte Schiller’sche Ode „An die Freude“, von einem großen Orchester gespielt und all die jungen Mädchen und Jungens standen im Halbrund des Olympiastadions mit hoch erhobenen Armen, um damit die: „Freude, Freude, Freude schöner Götterfunke, Tochter aus Elysium, wir betreten freudetrunken Himmlische Dein Heiligtum“ aus der Ode auszudrücken. Es war für alle ein unvergessliches Ereignis.
Die Autogramme der prominenten Sportler standen hoch im Kurs und die Jugendlichen jagten ständig besonders den ausländischen Sportlern hinterher und sammelten Autogramme, die dann später unter einander ausgetauscht wurden.
Davon erzählte sie viel dem Peter, der sie jetzt pünktlich jeden Sonnabend um 16 Uhr abholte. Er vergaß nie eine kleine Überraschung für sie mitzubringen, mal waren es Süßigkeiten oder eine kleine Figur, die sie sammelte. Als die Mutter das bemerkte, sagte sie: „Peter, verwöhnen Sie das Kind nicht so, sie ist es jetzt schon zu sehr.“ Worüber Cordula sich ärgerte.
Aber Peter war bereit seine zukünftige Ehefrau und Mutter seiner Kinder nach Kräften zu verwöhnen und ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Er war glücklich, als er merkte, dass sie allmählich Zutrauen zu ihm fasste und ihm sogar ihre kleinen Geheimnisse anvertraute. So hörte er einmal von ihr, dass sie ein Tagebuch führte und darin alles aufschrieb, wenn sie sich wieder einmal ungerecht von ihrer Mutter behandelt fühlte. Sie wollte es ihm sogar zeigen, aber er beruhigte sie. „Schau, Kleines“, sagte er, „schreib‘ alles auf, was Dir auf dem Herzen liegt, und später einmal, wenn Du andere Dinge erlebst, die Dir wichtig sind, dann wirst Du das alles nochmal durchlesen und vielleicht anders darüber denken“.
Weil sie, wie sie sagte, furchtbar gerne Eiscreme aß, gingen sie oft in die kleine italienische Eiskonditorei, in der Nähe der Wohnung, wo sie ungestört sitzen und sich unterhalten konnten. Er hörte ihr gerne zu und freute sich, wenn er merkte, dass sie allmählich die Scheu vor dem älteren Mann verlor und begann sich für ihn zu interessieren und Fragen zu stellen. Er erzählte ihr von seinen Geschwistern, die alle älter als er, und schon verheiratet waren und Kinder hatten. Von seiner ersten Arbeitsstelle in Oberschlesien erzählte er Cordula, wo er als Hauslehrer in dem Schloss die Kinder des Fürsten von Pless beaufsichtigt und unterrichtet hatte. Cordula hörte immer gespannt zu, erschien ihr doch alles sehr fremdartig und interessant. Sie staunte, wenn er ihr von dem Leben im Schloss erzählte, von den großen teppichbedeckten Räumen mit den riesigen Kronleuchtern, den alten schönen Möbeln, den großartigen Gemälden und kostbaren Spiegeln, den vielen Angestellten und dem Schlossgarten in dem er mit den fürstlichen Kindern oftmals Rasenkrokett oder Tennis gespielt hatte. Cordula wollte alles wissen von dem Fürsten und seiner Gemahlin, wie sie angezogen waren, wie man mit ihnen sprach und er beantwortete geduldig alle ihre Fragen. In Potsdam aufgewachsen verglich Cordula nun in Gedanken den Park Sanssouci, das Neue Palais, Schloss Cäcilienhof und die vielen barocken Gebäude, die sie in Potsdam wusste, mit Peters Erzählungen.
Peter gefiel alles an diesem lebhaften jungen Mädchen, das hübsche Gesicht, die strahlenden Augen und die flinken Hände, mit denen sie ihre Worte begleitete. Er machte insgeheim so seine Pläne für die Zukunft. Dieses süße kleine Mädchen war noch zu formen, denn sie war aufgeschlossen für alles Neue und begierig zu lernen. Sie hatte Geschmack und sah immer nett und appetitlich aus. Sie erzählte ihm, dass sie immer die von der Mutter bestellten Kleider für sich und die Töchter bei der Schneiderin abholte, und dann die ihrigen zum Teil auftrennte und änderte. Sie nähte und schneiderte gerne und hatte viel Geschick und gute Ideen, die sie sich aus den Modebüchern holte, die der Vater mitbrachte aus der Ullstein Filiale.
Der junge Mann war sich bewusst, dass es nicht einfach sein würde, das Vertrauen dieses jungen Mädchens zu gewinnen. Gewiss, sie war noch ein Kind, aber man merkte ihren starken Willen, ihre klugen Gedanken und Ansichten. Sie war feinfühlig und gefühlsstark und sie ließ sich nichts vormachen. Er musste vorsichtig und geduldig sein. Peter hatte immer gewünscht, eine Frau zu finden, die wirklich zu ihm passte, der er Freund, Berater und Beschützer sein würde, die empfänglich war für das Gute im Leben, aber auch stark genug für trübe Tage. Er wollte eine Frau haben, die sich für Kunst und Kultur interessierte, wofür er sich selber begeistern konnte. Und er hoffte, dass sie ihn eines Tages lieben würde, so wie er jetzt schon eine große Liebe für sie empfand.
Im Juli fuhr Cordula dann mit den Eltern und dem jüngeren Bruder in die großen Ferien. Die Eltern hatten an der Großen Krampe in einer sogenannten Zeltstadt ein festes Wohn-und Schlafzelt zu stehen. Das wurde im Frühsommer aufgebaut, stand immer unter der Aufsicht eines bezahlten Wächters, und wurde im Herbst von den Eigentümern wieder abgebaut. Das Vorzelt war mit imprägniertem Nessel bespannt und damit regendicht, dahinter gab es ein großes Schlafzelt für mindestens 4 Personen. Darin standen vier Pritschen mit strohgefüllten Matratzen, wofür man sich, falls notwendig, frisches Stroh vom nahen Bauern holen konnte. Das geräumige Vorzelt diente gewissermaßen als Wohnraum mit einem Tisch und Sitzbänken, einer Kochnische und einem Vorratsschrank.
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