Ich freute mich, dass er da war, dass er in meinem Bett lag, freute mich über seinen Saft, der aus mir herauslief, über seinen Duft auf meiner Haut und auf meinem Kissen, über seine Wärme und Nähe. Und ich wollte ihm etwas Gutes tun, ihn liebhaben. Ich knuddelte ihn wie meinen ganz eigenen, lebendigen Teddybären und seufzte zufrieden.
Milde Abendluft wehte herein und kühlte unsere Haut, während wir schmusten, und für einen Moment gaukelte mir die Chemie in meinem Kopf vor, wir könnten doch wieder ein Liebespaar werden. Dass ich mit ihm zusammen sein konnte, jetzt und bis in alle Ewigkeit. Dass alles, was ich zum Leben brauchte, er war und immer nur er sein würde. Dass er mein Schicksal war.
Doch als ich mir danach eine von Chris` Kippen anzündete und sie mit Mica teilte, wusste ich, dass meine Hormone mir Streiche spielten.
Ich lag auf dem Rücken und blies Rauchringe an meine Decke, Mama würde ausflippen, wüsste sie, dass ich rauchte und dann auch noch in meinem Zimmer. Aber sie war ja nicht da, niemand war da, nur Chris, und dem war es egal, er tat es selbst.
»Du liebst mich wirklich nicht, kann das sein?« Eine traurige, nüchterne Frage. Ich konnte seinen Blick auf meiner Wange spüren, und ich hörte ihn schlucken.
»Doch, ich liebe dich«, musste ich mir eingestehen, denn das tat ich wirklich. Irgendwie. Ich zog wieder an der Kippe. »Aber es reicht nicht.«
»Warum nicht?«, wollte er wissen und stützt sich auf einen Ellenbogen. »Was mache ich falsch?«
»Gar nichts.« Er war perfekt, und er war bereit, alles für mich zu sein, wenn ich ihn nur niemals verließ. »Ich steh auf ältere Männer, Mica«, gestand ich ihm schließlich, weil ich es sonst niemanden erzählen konnte, genau wie er niemanden erzählen konnte, dass er schwul war.
»Oh.« Er schien es tatsächlich zu begreifen. Einen Moment lang starrte er grübelnd auf die Matratze hinab und zupfte unsichtbare Fussel vom Laken. Dann ließ er sich seufzend wieder auf den Rücken fallen, und ich gab ihm die Zigarette, an der er kräftig zog, als bräuchte er dringend einen tiefen Zug.
»Was erhoffst du dir davon?« Er klang launig.
»Keine Ahnung.« Erhoffen? Wie meinte er das denn?
Aber ich wollte mir nicht die Blöße geben, dass er mich getroffen hatte.
Erhoffte ich mir etwas von älteren Männern? Ganz klar: ein erfülltes Sexleben, weil mich die Vorstellung, mit einem wesentlich älteren Mann zu schlafen, absolut aufgeilte. Darüber hinaus … soweit hatte und brauchte ich nicht zu denken. Sex war das einzige, was ich wollte. Mica hatte das noch nie verstehen können, weshalb es unsinnig war, es ihm erklären zu wollen.
»Ich steh halt drauf, mir vorzustellen, mit ihnen zu vögeln«, erklärte ich ihm mit einem Schulterzucken. Und wenn schon, was soll`s? »Das ist nicht nur wie eine nette Fantasie, Mica. Das ist ein genauso intensives Verlangen wie mein Schwulsein selbst es ist! Ich kanns halt nicht ändern, dass ich es will. Ich bin so. Fühlt sich an, als wollte ich es immer schon.«
»Hm.« Er schien verärgert, als er mir die Zigarette zurückreichte.
Ich wollte ihn aber nicht verärgern. »Machen wir es noch mal?«, fragte ich schließlich, um ihn abzulenken, und drehte ihm das Gesicht zu.
Er starrte an die Decke und hob die Achseln an, als wäre er sich plötzlich zu fein, mit mir zu reden.
Da ich ohnehin nicht reden wollte, war es mir egal, und sein Achselzucken war kein Nein. Ich warf die Zigarette in die halbleere Wasserflasche und kletterte über ihn. Er wehrte sich nicht, als ich damit begann, den Schweiß aus seinen Achseln zu lecken – dann über seine Nippel tiefer wanderte, und erst recht nicht, als ich ihn wie ein Katzenbaby zum Schnurren brachte, indem ich ihm den Schwanz blies.
Mica ging sehr früh am nächsten Morgen. Er hatte die ganze Nacht geweint, und ich hatte ihn im Arm gehalten und ihn auf meine stille Weise zu trösten versucht. Ich wollte ihm gar nicht wehtun, wirklich nicht. Aber ich konnte ihm doch keine falschen Hoffnungen machen!
Irgendwie musste ihn mein Geständnis vor Augen geführt haben, dass er keine Chance hatte, sich noch einmal in mein Leben zu schleichen. Er konnte sich ja wirklich auf viele Weisen verbiegen, aber er konnte eben einfach nicht ändern, dass er erst siebzehn war. Es war trotzdem nicht seine Schuld, erinnerte ich ihn, und ich sagte, dass ich ihn trotzdem in meinem Leben wollte. Doch er hatte darauf nichts zu sagen gehabt und war noch vor dem Frühstück mit Tränen der Enttäuschung, die in seinen schönen, großen Augen gebrannt hatten, davongerauscht.
Ob und wann ich ihn wieder sehen würde wusste ich nicht, und seltsamerweise machte es mir das Herz schwer. Nach einem halben Jahr inniger Beziehung war es nicht leicht, mir vorzustellen, dass er jetzt nicht mehr zu mir gehörte. Wenn ich ehrlich war, wollte ich beides. Ihn und die Freiheit, mir ältere Männer zu suchen. Vielleicht hatte ich mir mit meinem Geständnis erhofft, er würde es mir vorschlagen. »Mach doch! Schlaf, mit wem du willst, aber schlaf auch mit mir.« Das hätte er sagen sollen, und ich wäre voll dafür gewesen.
Aber das konnte ich nicht von ihm erwarten, und jetzt brauchte er erst einmal Zeit, um über mich hinwegzukommen. Genauso wie ich Zeit brauchte, auch über ihn hinwegzukommen. Denn auch wenn ich ein Arschloch war, habe ich ihn doch trotzdem geliebt. Und unter einer Trennung leidet jeder, auch der, der Schluss gemacht hatte. Selbst wenn wir es nicht immer offen zeigen und erst recht nicht immer zugeben wollten.
Mica war noch nicht lange fort, als ich in der Küche stand und mir eine Tasse Kaffee gönnte, da klingelte es bereits wieder an der Tür. Weil ich annahm, Mica wäre vielleicht doch wieder zurückgekommen, er könnte ja auch etwas vergessen haben oder Geld für den Bus brauchen, ging ich diesmal hin, um zu öffnen. Ich drückte den Knopf, damit er ins Treppenhaus konnte, und öffnete die Tür halbnackt in Shorts, mit einer von Christophers Kippen im Mundwinkel und meinem Kaffee in der Hand.
Ich liebe übrigens Kaffee. Nicht diesen ganzen süßen Scheiß wie Schokoladen-Cappuccinos oder Vanille-Latte-Macchiatos, sondern den stinknormalen Kaffee, schwarz. Es gibt nichts Geileres als den Geruch frisch gebrühten Kaffees, egal zu welcher Tageszeit, aber am liebsten werde ich davon geweckt. Nicht, dass es je dazu kam, aber ich stellte es mir sehr schön vor.
Aufwachen, Luca, dein Kaffee wartet schon.
Herrlich!
Es war nicht Mica, der die Treppe nach oben kam.
Als ich ihn erkannte, stockte mir der Atem. Ich fluchte sofort. Meine Kippe landete in meiner Tasse und ich wedelte panisch mit der Hand durch die Luft, um den Qualm zu vertreiben. Scheiße, ich wollte nicht, dass mein Atem nach Nikotin roch, denn Mundgeruch war so ziemlich das Abstoßendste, das ich mir vorstellen konnte. Außerdem kam ich mir gerade äußerst nackt vor, man stand ja nicht alle Tage nur in Shorts vor seinem Geschichtslehrer.
Ob er noch riechen konnte, dass ich letzte Nacht Sex hatte?
Weißt du, dass ich dabei an dich dachte?
Mr. Olsson kam die Treppe hoch und nickte mir zu, wie er es immer bei Schülern tat, die ihm über den Weg liefen, als würde er gleich einfach nur an mir vorüber gehen.
Doch er blieb stehen. Natürlich blieb er stehen, er hatte ja geklingelt, ich Dummkopf.
»Guten Morgen, Luca.« Ein kühler, höfflicher Gruß.
Ich starrte ihn an, als stünde er im Adamskostüm vor mir. »Ähm … G-Guten Mo-Morgen …?«
Verdammt, warum stotterte ich nur so?
Er blieb ganz cool, schmunzelte nicht einmal. Viel mehr schien er in Eile und nicht sonderlich froh darüber, hier zu sein.
Was wollte er?
Bevor ich meine Sprache wieder fand, um ihn danach zu fragen, streckte er die Hand aus und hielt mir etwas entgegen: Mein Handy.
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