„Willst du damit sagen, dass du mich überhaupt nicht erotisch findest?“, hatte Linda mit leicht aggressivem Unterton gefragt und ihr Gewicht verlagert, so dass die Rundung ihrer üppigen Brüste besser zur Geltung kam und eine rosa Brustwarze ihm keck ins Gesicht lachte. „Besser so?“ Frank geriet ins Schwitzen, während er hektisch an seinem Teleobjektiv herumfummelte und die Blende variierte. Sollte er mit einer geringeren Tiefenschärfe arbeiten und den Weichzeichnereffekt erhöhen, oder war das vielleicht genau die Technik, auf die auch jeder Amateur verfallen wäre? Und er war schließlich kein Amateur, er war ein Profi. Ein ausgebuffter Profi. Sie öffnete leicht die Schenkel und fuhr sich mit dem Zeigefinger den Oberschenkel entlang.
„Wenn du mich nicht erotisch findest, liegst es ja wohl eher an dir als an mir, meinst du nicht?“ Nein, wollte er sagen. An ihm lag es nicht, das war mittlerweile deutlich zu spüren. Wahrscheinlich war es das Heu, das die Erotik störte, die Assoziationen mit chronischem Schnupfen, Kneippkuren, Kerbtieren und pieksenden Halmen im Rücken. Er schlug vor, zu der kleinen Couch hinüber zu gehen, wechselte noch die Batterien, justierte die Einstellung am Stativ und richtete die Fotolampen (200 Watt) neu aus, verfing sich dann mit dem Fuß unglücklich im Verlängerungskabel, stolperte und kam so mehr oder weniger zwangsläufig auf der bereits ausgestreckten Linda zu liegen, wenn auch nicht zur Ruhe.
Der nächste Morgen schmeckte pelzig, grau und trüb, und Frank verstand nicht ganz, warum er überhaupt so früh aufgewacht war: Die Studiouhr zeigte erst 10.30 Uhr, und nach den Anstrengungen der letzten Stunden hätte er sicher bis in den Nachmittag hinein schlafen können. Irgendwann im Laufe der Nacht hatte er die schmale Couch geräumt und sein Lager provisorisch auf dem dicken Teppich aufgeschlagen, eine Entscheidung, die er sofort bereute, als er erst wach genug war, um die verspannten Muskelbündel rechts und links von seiner Wirbelsäule zu registrieren. Vermutlich hatten genau die ihn zur Unzeit geweckt, aber gut, sobald er Linda hinauskomplimentiert hatte, konnte er sich ja noch eine Mütze Schlaf genehmigen. In dem Augenblick fing Joe Cocker irgendwo am Boden gedämpft an zu grollen: „You can leave your hat on … “ , und Frank machte sich auf die Suche nach seinem Handy. Noch bevor er es in seinem Kleiderhaufen gefunden hatte, war schon die Mailbox dran und dann die Stimme seiner Mutter:
„ … Frank, Lieber, du denkst an unser gemeinsames Mittagessen heute? Sei doch so gut und bring´ noch deine Kamera mit, dann können wir ein paar Bilder machen. Wir freuen uns! Bis bald.“ Das gemeinsame Mittagessen. Frank stöhnte laut auf. Verdammt, er hatte dieses gemeinsame Mittagessen vergessen! Sei doch so gut und bring´ deine Kamera mit , hörte er Karin Bergholtz noch immer flöten. Nett von ihr, wenigstens so zu tun, als hätte sie aus einem anderen Grund angerufen als dem, ihn an ihre Verabredung zu erinnern. Sie wusste genau, dass er seine Kamera immer mitbrachte. Er tappte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu dem winzigen Bad hinüber (war man mit gerade Fünfunddreißig wirklich schon zu alt, um auf dem Boden zu schlafen??), bahnte sich seinen Weg zwischen Lindas Klamotten und ihren Schminkutensilien hindurch bis zur Dusche, stieg hinein und drehte das kalte Wasser auf.
5
Karin Bergholtz legte das Telefon zur Seite und kehrte in die Küche zurück, wo die Rehkeule schon seit ein paar Stunden im Backofen schmorte. Würzige Duftschwaden schlugen sich als feiner Nebel an den Sprossenfenstern nieder und verliehen dem Raum eine försterselige Feld-, Wald- und Wiesengemütlichkeit. Solange sie sich erinnern konnte, hatte es zu Familientreffen immer Wildgerichte gegeben, abgesehen von diesem einen katastrophal missglückten Weihnachtsessen vor acht Jahren. Damals hatte sich Thea erboten, makrobiotisch zu kochen, und für Stunden die Küche belegt, bis Josef Bergholtz nach einem einzigen Löffel Miso-Suppe (mit Shiitake-Pilzen und Meeresalgen) kurz vor Mitternacht den Pizza-Service bestellt hatte. Das nachfolgende schwere Beben hatte zu einer heftigen Erschütterung des vorher scheinbar so tragfähigen Beziehungsfundamentes geführt, die noch zu Ostern spürbar war, so dass Karin sich geschworen hatte, dass so etwas nicht wieder passieren würde, nie wieder. Stattdessen setzte sie nach Josefs unausgesprochenen Vorgaben nur noch Hirschbraten und Wildschweinragout, geschmorte Waldmorchel und Preiselbeermousse auf den Plan; Rehkeule also dieses Mal. Rotkraut und Klöße warteten vorbereitet im Kühlschrank und mussten im Grunde nur noch erhitzt und abgeschmeckt werden, und um das Dessert (Walnusseis, Eierlikör, Schlagsahne und Schokoladensplitter) würde sich traditionsgemäß Josef kümmern, das heißt, er war bereit, Sahne zu schlagen und die anderen Ingredienzien in kleine Glasschüsselchen zu füllen.
Gottseidank hatte sie rechtzeitig daran gedacht, tiefgekühlte Soja-Gemüsepfannkuchen für Thea zu besorgen, die sich seit einigen Wochen vegetarisch und lactosefrei ernährte, aber genau wusste, dass ihre Schwiegermutter nicht mehr bereit war, ihre regelmäßig wechselnden Diäten mit liebevoll selbst gekochten Spezialgerichten aus ihrer Küche zu unterstützen. Im Grunde, überlegte Karin mit schlechtem Gewissen, war Thea eine arme Frau, die ihre Figurprobleme mit keiner Diät in den Griff bekommen würde – die anderen Probleme sowieso nicht. Vielleicht hätte sie ja damals nicht so sehr auf eine Eheschließung von Thea und Winfried hinarbeiten sollen, denn dass die beiden nicht glücklich miteinander waren, ließ sich leider nicht übersehen. Theas hängende Lider, ihr schlaffer Händedruck, ihre schwabbelige Figur waren ein einziger Vorwurf, ebenso wie Winfrieds mürrischer Gesichtsausdruck und die gelangweilten Kommentare, in denen er sich so gut gefiel. Ohne direkt hässlich zu sein war Thea so unattraktiv, dass sich jede Frau in ihrer Gegenwart wohlfühlen musste, aber trotzdem hatte sie keine Freundinnen, jedenfalls keine, von denen Karin wusste. Sie holte die Weingläser aus dem Büfettschrank, griff sich ein Geschirrtuch und fing an zu polieren. Es war idiotisch, sich für Theas Unglück verantwortlich zu fühlen, schließlich war Thea ein erwachsener Mensch, der für sich selbst entscheiden konnte (und musste).
„Es ist nicht meine Schuld“, murmelte Karin beschwörend vor sich hin. „Ich habe es nur gut gemeint.“ Mit einem leisen pling! brach der Stiel eines der mundgeblasenen Gläser ab, das sie nicht vorsichtig genug angefasst hatte. Die teuersten Gläser, natürlich. Und sie regte sich über andere Leute auf, statt sich um sich selbst zu kümmern! Außerdem hatte sie mit ihren eigenen Kindern genug zu tun. Und damit war sie in ihren Gedanken wieder bei Frank angekommen.
Warum war er nicht an sein Handy gegangen? Ob er ihre Nachricht überhaupt rechtzeitig hören würde? Ob er auch kommen würde, wenn er sie nicht gehört hatte? Ob er überhaupt kommen würde, selbst wenn er sie gehört hatte? Schließlich wusste er ja, dass auch Winfried und Thea da sein würden. Sie nahm die beiden Teile, Stiel und Tulpe, in die Hand, und betrachtete sie: Da war nichts mehr zu retten, ab damit in den Müll.
Winfried und Frank mochten sich nicht. Das war nie anders gewesen und so offensichtlich, dass selbst eine Mutter ihre Augen nicht davor verschließen konnte. Ein Großteil ihrer Energie war davon absorbiert worden, die beiden als Teenager auf sichere Distanz zu halten, zwischen ihnen zu vermitteln; den einen in Gegenwart des anderen nicht zu sehr zu loben oder zu tadeln, niemals Partei zu ergreifen, keine Stellung zu beziehen. Brüder sollten sich doch wenn schon nicht lieben, so doch wenigstens achten, egal ob leibliche Brüder oder Adoptivgeschwister! Aber Frank und Winfried standen sich so unversöhnlich gegenüber wie ein Feuerzeug und ein nasser Schwamm. Es nagte als ständiger Kummer an ihrem Herzen und gab ihr das Gefühl versagt zu haben – war sie mit ihrer Erziehung nicht verantwortlich dafür, dass die Kinder ein so schlechtes Verhältnis zueinander hatten? Hatte sie nicht an einer ganz wesentlichen Stelle versagt? Und zeigte gerade dieses Versagen nicht, dass es da noch etwas anderes gab ganz unten im Keller ihrer Seele, etwas Hässliches, Monströses, Gemeines, dessen Existenz zuzugeben gleichbedeutend damit war, auf jede Selbstachtung zu verzichten?
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