Peirce: Collected Papers (CP 5.171)
Abduktion ist daher eine Methode, welche dem naiven Storytelling, insbesondere in der Form der Heldenstory sehr nahe steht.
Bei dieser Sonderform der Abduktion geschieht nämlich etwas Wunderliches. Der Hörer bekommt gar keine Antwort auf seine Frage geboten, sondern einen anderen, ähnlichen Fall geschildert. Aus diesem Fall, der bunt und anschaulich beschrieben wird, kann der Hörer sich ein eigenes Bild für den erfragten Sachverhalt schaffen.
Je nach Qualität der Erzählung ist genug Platz, eigene Bilder und Erinnerungen einströmen zu lassen und den Wegen und Wegpunkten Ähnlichkeit mit etwas zu verleihen, was man als Hörer schon weiß, was bereits meins ist.
Weil es als eigene Geschichte nacherlebt wird, wird die Information auch als eigene Geschichte erinnert. Die Hürde des Fremden entsteht gar nicht erst.
Induktion ist die zweite Stufe.Der Autor weiß etwas, was du nicht weißt, er ist in einer Gegend, einem Fachgebiet zu Hause. Der Erzähler kann sich mitunter gar nicht vorstellen, dass jemand Anderes das, was für ihn selbstverständlich ist, nicht wissen kann. Deswegen erzählt er das gar nicht. Er geht von dem aus, das er genauer weiß als andere, beginnt bei seinem besonderen Einzelfall, zeichnet den Weg nach, den er gegangen ist oder gehen würde.
Man erlebt das mitunter, wenn man irgendwo nach dem Weg fragt: Die Gefragten fallen in eine Art Trance, aus der heraus sie ihre inneren Bilder vom Weg beschreiben. Bezugspunkte werden oft weggelassen oder unklar formuliert, Namen werden als selbstverständlich vorausgesetzt, denn der Erzähler kennt die Namen, sie sind für ihn nichts Neues. Ganze Wegstücke werden weggelassen, weil sie dem Erzähler selbst gerade nicht erinnerlich waren, Schwierigkeiten werden aufgebauscht, wenn sie dem Erzähler zu groß, oder abgeschwächt, wenn sie dem Erzähler zu gering schienen. Hürden, so sie der Erzähler überwunden hat, werden nicht erwähnt.
Die induktive Methode folgt der Erinnerung der eigenen Entdeckung, des eigenen Weges.
Diese Stufe entspricht Kants Frage »Was kann ich wissen?« und ist analytisch und empirisch , sie ist wissenschaftlicher Bericht , denn sie schafft Wissen und hält sich auch nur an das was gewusst wird, für Spekulationen ist hier kein Platz.
Deduktion ist die dritte Stufe, oft die des Lehrers.Die Erzähler sind meist gebildet, haben eine Vorstellung vom Hörer und gehen einen Weg vom Allgemeinen zum Einzelnen. Sie versuchen, jeden Namen, jeden Begriff erst zu erläutern, bevor sie ihn verwenden und geraten dabei manchmal vom Hundertsten ins Tausendste, kommen vom Weg ab und verlieren sich in Erklärungen, von denen dem Hörer nicht immer klar ist, warum er das wissen muss.
Sie versuchen exakt und genau zu sein, sie beginnen beim Urschleim oder beim »cogito ergo sum«, bei »Die Welt ist alles, was der Fall ist.« (Wittgenstein)
Jedenfalls beginnen sie mit etwas, wovon sie hoffen, dass es für alle Beteiligten unbezweifelbar, einsichtig, axiomatisch ist. Sie vergessen deshalb nicht, der letzten Ursache aller Dinge oder Erscheinungen auf den Grund zu gehen. Es braucht seine Zeit, bis sie »ordine geometrico« nach der Ordnung der Geometrie, welche der exakten Wissenschaft Vorbild ist, bei dem Niveau angelangt sind, wo die unmittelbare Betroffenheit das Interesse der Hörer weckt.
Allerdings gibt es ein Problem: Wenn ich nach dem Weg frage, erwarte ich keinen Vortrag über den Straßenbau oder über das Zeigen an sich oder gar über die Unmöglichkeit, den rechten Weg zu finden.
Diese Stufe entspricht Kants Frage »Was soll ich tun?« und ist synthetisch und theoretisch , sie ist didaktische Narration .
Jeder dieser Stufen entsprechen bestimmte Erzählweisen, Weisen der Narration. Jeder dieser Stufen entsprechen auch bestimmte bevorzugte Nutzungsfelder für die Erzählung.
Das Historische hat sich in das Logische verwandelt und der Text wird nun immer zwischen der historischen und der logischen Dimension oszillieren.
Aus dem Erlebten wird der Mythos, aus dem Mythos wird der Logos, aus den Geschichten wird »Die Geschichte«, deren innere Logik herauszufinden, sich die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften zum Gegenstand wählten.
Geschichten gehören neben Werkzeugen zu den ältesten Transportmitteln von Wissen. In der gegenwärtigen Pädagogik scheint die Vermittlung von Zahlen, Daten und Fakten im Mittelpunkt zu stehen. Dies geschieht wohl, um dem Bedürfnis nach Wissenschaftlichkeit zu genügen. Dafür scheint am Besten die Ableitung, die Deduktion geeignet. Die Deduktion wird oft als Gegenstück zur Geschichte verstanden.
Man könnte meinen, dass die Bedeutung von Geschichten für die Wissensvermittlung allgemein bekannt sei, aber das Gegenteil ist der Fall. Mitunter kann man sogar den Eindruck gewinnen, dass deutschen Pädagogen das Erzählen von Geschichten peinlich ist. »Es ist ja nur eine Geschichte – Die Fakten aber sind doch ...« Eine führende deutsche Zeitschrift ist sogar stolz darauf, nur Zahlen, Daten und Fakten zu präsentieren.
Fakten werden oft Lügen oder Erfindungen entgegengesetzt. Aber nicht nur haben diese Lügen und Erfindungen mitunter mehr Wirkung als Fakten, auch die Darstellung der Fakten selbst geschieht in Form von Erzählungen, mögen diese auch kurz und bündig sein.
Und doch, wenn man sich erinnert, so erinnert man am leichtesten Geschichten, welche man von Freunden, Lehrern oder Eltern gehört hat. Zahlen, Daten und Fakten muss und kann man nachschlagen. Geschichten bleiben auch so in Erinnerung.
Und doch, so zeigt die Erfahrung von aufmerksamen Pädagogen, haben auch deduktive Geschichten immer noch die nachhaltigste Wirkung bei der Erzeugung von Erinnerung und Überzeugung.
Warum ist das so? Kann diese Kraft, welche Geschichten für die Überzeugung und das Erinnern haben, für Lernen und Führen ausgenutzt werden? Benötigt man ein spezielles Talent, um Geschichten im pädagogischen Prozess wirksam einzusetzen? Gibt es geborene Storyteller und solche, welche sich nur mit »harten« Fakten abgeben können? Ist Erzählen erlernbar? Ist es eine Kunst? Warum wurde die Übersetzung von James Woods Buch: »How fiction works« in das Deutsche mit einer Titeländerung in »Die Kunst des Erzählens« verbunden? Wieso wurde aus einem Handwerk eine Kunst gemacht? Lässt sich in Deutschland ein Rätsel besser verkaufen als eine Technik? (Neuhauser 1993, S. 4.)
Bücher aus dem angloamerikanischen Sprachraum, insbesondere Fachbücher, unterscheiden sich wesentlich von Büchern aus dem deutschen Sprachraum. Eine Besonderheit ist die Dominanz von Geschichten gegenüber der Darstellung von Fakten.
Gut erzählte Geschichten haben Eigenschaft, wie Klebstoff zu haften. Gute Geschichten werden öfter wieder und weitererzählt als statistische Tabellen. Und gute Geschichten haben eine höhere Chance bei den Zuhörern Überzeugungen und Vertrauen zu erzeugen.
Geschichten machen es einfacher, sich an Informationen wie Zahlen, Daten und Fakten zu erinnern
Geschichten machen Informationen jeder Art glaubhafter.
Geschichten werden von Mund zu Mund weitergegeben. Geschichten zu erzählen führt dazu, dass Geschichten geweckt und erzählt werden.
Aus dem Wissen, welches Literaturwissenschaft und Erzähltheorie über die Jahrhunderte gewonnen haben, können Techniken abgeleitet werden, welche den Beteiligten in der Führung und Lehre das Verwandeln von Zahlen, Daten und Fakten, von Gefühlen, Anliegen und Erfahrungen in Erzählungen ermöglicht.2
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