Sommer
Blühende Erde
unter den Füßen.
Gewölbtes Blauzelt
beschützt das Haupt,
und Sonne und Frohsinn
wärmen das Herz.
An meine Großmutter väterlicherseits habe ich immer noch sehr intensive und wertvolle Erinnerungen. Sie war eher eine schlichte, aber herzliche Frau.
Rein äußerlich erschien sie streng mit ihrer glatten Frisur mit einem Mittelscheitel und einem gesteckten Nackenknoten. Doch sie war nicht so streng wie meine Mutter zu mir. Ihre Kleider waren von bedeckter Farbe, meistens dunkelblau oder braun mit winzigen weißen Tupfen. Darüber trug sie fast immer ein gehäkeltes wollenes Schultertuch, vorne am Hals mit einer runden Brosche zusammengehalten. Vor allem aber strahlte sie eine wohltuende Ruhe aus. Wenn meine Mutter ihren großen Waschtag hatte, kochte die Oma für uns alle das Mittagessen und hatte für uns Kinder immer ein liebes Wort. Meine beiden älteren Brüder und ich besuchten sie aber auch sehr gerne, obwohl der Weg zu ihr weit war. Dann verwöhnte sie uns mit heißen Würstchen und Schokoladenpudding. Mit viel Geduld brachte sie mir auch das Stricken der rechten Maschen bei: „Einpicken, umschlagen und den Faden durchholen.“ Diese Worte klingen mir noch sanft in meinen Ohren.
Nach Kriegsende 1945 waren wir dann leider räumlich weit getrennt. Meiner Großmutter fiel es schwer, ihre Heimat zu verlassen. So blieb sie noch unter polnischer Verwaltung im Osten. Dann wurde sie ausgewiesen. Danach war sie dann 1947 für ein paar Wochen bei uns zu Besuch. Es war Sommer, und wir pflückten gemeinsam echte Kamille, die sie gebündelt zum Trocknen auf den Boden hängte. Sie wollte Tee davon bereiten. In diesen Wochen schliefen wir gemeinsam im Kinderzimmer. Ich hörte sie oft abends im Dunkeln, wenn ich noch nicht schlafen konnte, inbrünstig das Vaterunser beten. Wie schade, dass ich sie danach nicht mehr erleben konnte. Sie starb in der Ferne in einem Altersheim auf Nordstrand, wo ich ihr Grab nach langen Jahren wiederfand. Wie wichtig sie für mich als Kind war, hat sie vielleicht gar nicht gewusst. Großmütter können so wertvoll für ihre Enkelkinder sein! Oftmals können sie so liebevoll ausgleichen. Heute noch möchte ich meine Großmutter so vieles fragen.
Brot-Erinnerungen
1939soll die Mutter mich mit Weißbrot-Bröckchen gefüttert haben.
1943hatte ich den säuerlich-deftigen Geschmack des Kommissbrotes täglich auf meiner Zunge. Mein Vater brachte die großen, dunklen Soldaten-Brote aus der Kaserne zum Sattessen mit.
1945nach der Kapitulation warfen britische Soldaten Scheiben schneeweißen Brotes in die grünen Straßengräben. Wir Kinder stillten damit ungeniert unseren Hunger.
1945es war im Winter, als ich gemeinsam mit meinen älteren Brüdern an vielen Haustüren der einheimischen Landbevölkerung um Brot bettelte. Und so manche Schmalzschnitte wurde uns Flüchtlingskindern geschenkt.
1946säumten viele Menschen die abgeernteten Kornfelder und warteten geduldig, bis der Bauer mit der „Hungerharke“ über das Stoppelfeld gestrichen war. Erst danach durften wir die wenigen verbleibenden Ähren aufsammeln. Und manchmal konnte ich abends vor Hunger kaum einschlafen.
1947stand ich stundenlang in der langen Schlange vor dem Bäckerladen, um ein Maisbrot zu ergattern. Meine Mutter tauschte auf dem Schwarzen Markt ihre einzige Uhr für Brot ein.
1950konnte ich schon wieder unter vielen Brotsorten im Bäckerladen auswählen.
1965kochte ich aus hart gewordenem Brot eine wohlschmeckende Brotsuppe. Damit wollte ich auch meinen Kindern ein Beispiel geben, dass sie niemals Brot wegwerfen sollen.
1970teilte ich mit unangemeldetem Besuch mein letztes Brot, das ich im Hause hatte.
1980warf ich ein halbes verschimmeltes Brot in den Abfalleimer. Mein Gewissen schrie dabei.
1985aß ich manchmal Knäckebrot, um schlank zu bleiben.
1994genieße ich in aller Ruhe eine Scheibe trockenen Brotes und stelle fest, wie köstlich sie schmeckt.
Brotabhängig werde ich bleiben – lebenslang.
In Hinterpommern waren damals vor fast sechzig Jahren die Winter sehr beständig. Der Schnee lag öfter wochenlang, und es war bitterkalt. Man brauchte im Winter die Doppelfenster. Der Vater hatte sie rechtzeitig im Herbst aus der Dachkammer, in der sie den Sommer über stationiert waren, herunter getragen und in die Rahmen eingesetzt. Von der Mutter waren die Glasscheiben blitzblank geputzt worden. Es war alles für den Einzug des Winters vorbereitet. Auch das Brennholz und die Briketts zum Beheizen der Kachelöfen waren im Keller aufgestapelt.
Eines Nachmittags, der Himmel war schon den ganzen Tag über so grau, schneevolle Wolken hingen tief und schwer, fing es ganz langsam an zu schneien. Weiße Flocken tanzten lustig auf die Erde hernieder. Das kleine Mädchen hatte aus Steinbauklötzen Häuser gebaut, in denen die „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-Puppen zu lebendigen Menschen wurden. Es war ganz in dieses Spiel versunken, da rief einer der beiden älteren Brüder: „Es schneit, guck mal, es schneit!“ Schnell lief das Mädchen ans Fenster und drückte das Näschen neugierig an die Scheibe, und das Herz hüpfte vor Freude, machte Luftsprünge beim Anblick des fallenden Schnees. Verzaubert sahen Bäume, Zäune, die ganze Erde aus. Temperamentvoll bat es gleich den Vater, ihr doch den Rodelschlitten vom Boden zu holen. Aber der machte ihm verständlich, dass erst noch viel mehr Schnee fallen müsse, damit der Schlitten auch gleiten könne.
Aufgeregt, erwartungsvoll und ungeduldig blieb das Kind dann auch eine ganze Zeit am Fenster stehen, bis der Vater die Schneedecke für hoch genug zum Rodeln befand. Es ließ ihm auch nicht eher Ruhe, bis er den Schlitten die Treppen herunter getragen hatte. Inzwischen hatte es sich Trainingshosen, Mantel, Mütze und Handschuhe angezogen. Die älteren Brüder wollten natürlich auch im ersten Schnee dieses Winters rodeln. Zum Lenken brauchte sie ohnehin noch einen verlässlichen Steuermann. Sie stapften gemeinsam durch den pulvrigen Schnee und zogen vereint den Schlitten hinter sich her. Am größten Berg angekommen, fuhren sie die steilsten Abhänge, glattesten Bahnen herunter.
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