Jeder, der einreist sollte wissen, dass man ihn sofort festhält und eingehend nach seinen Absichten befragt. Von mir wollte man wissen: Wieweit die Gedanken, die ich denke, mit den Auffassungen der Mehrheit der Humanier in Einklang zu bringen sind und ob sie missverstanden oder gar missbraucht werden können; warum man mich Zuhause noch nicht umgebracht hat und nicht einmal ernsthaft verfolgt; warum ich keine Wertgegenstände mitbringe; ob ich die mitgebrachten Bücher schon gelesen habe oder noch lesen werde; über welche Route ich eingereist bin, und warum ich für meine Einreise ausgerechnet den 2. Mai ausgesucht habe? Da ich glaubwürdig versichern konnte, dass ich nicht auf Dauer bleiben und nur die Kulturgüter des Landes kennenlernen möchte, ja für meine Auslagen selbst aufkomme, hieß man mich herzlich willkommen.
Nachdem die Geographen es versäumten, von Humania eine Karte zu erstellen, ist es nicht verwunderlich, dass überall die merkwürdigsten Vorstellungen verbreitet sind: Humania sei eine Insel, irgendwo im Meer, eine blühende Oase mitten in der Wüste oder ein im Urwald verstecktes Fleckchen Erde. Man kann nur staunen, wie sich die Humanier in der kurzen Zeit von nur einigen tausend Jahren von Höhlenmalern zu Steinwerkzeugherstellern, und von Pfahlbauern zu Konstrukteuren von Raumfahrzeugen, ja schließlich zu Erfindern der Konsumgesellschaft, in der jeder endlich jedes Bedürfnis befriedigen kann, emporentwickelt haben.
Humania ist allerdings kein Paradies. Im Garten wächst viel Unkraut. Die Schlangen haben sich im Lauf der Zeit vermehrt. Sie brauchen heute nicht mehr zu reden, denn die Menschenpaare pflücken auch unaufgefordert vom Baum der Erkenntnis die verbotenen Früchte. Seitdem die wilden Tiere täglich mitansehen müssen, dass auch die Menschen ihren Instinkten folgen und bei ihnen überall der Grundsatz gilt: „Ich bin groß und du bist klein", verfolgen auch sie skrupellos die hilflosen und schwächeren Lebewesen.
Humania erscheint auf den Satelittenbildern wie eine runde Kugel, die sich vorwärts bewegt und gleichmäßig um die Sonne dreht. Genaue Messungen haben jedoch ergeben, dass die Erdoberfläche aus sehr vielen Unebenheiten, Beulen und Verkrustungen besteht und dass man nicht von einer Vorwärtsbewegung, sondern von Torkelbewegungen der Erde sprechen sollte.
Protokoll der außerterrestrischen Beobachtungsstation „Wirr“

Die Meteorologie, die mit einer Genauigkeit von 36,6% und einer Fehlerquote von nur 63,3% die Launen der Natur vorauszusagen imstande ist, gilt in Humania als exakte Wissenschaft. Die Wissenschaftler führen die auffallend lang anhaltenden Schlechtwetterperioden der vergangenen Jahrzehnte auf die Tatsache zurück, dass den in den Studios der meteorologischen Institute tätigen Wetterfröschen, die durchaus bereit wären, nach oben zu kommen, um eine Schönwetterperiode anzukündigen, wegen der doch knappen finanziellen Mittel, nicht genügend Leitern zur Verfügung gestellt werden können.
Da sich die Humanier mit Vorliebe und weit mehr als über andere Themen, über das Wetter miteinander unterhalten, gelang es mir sehr schnell, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Alle Bewohner legen Wert darauf, täglich abends von den Meteorologen zu erfahren, ob das vorausgesagte Wetter wirklich eingetroffen ist, und wieviele Wetter die Natur in den nächsten Tagen anzubieten hat. Oft sind sie über die Natur verärgert, dass sie ihnen nicht das Wetter schickt, das sie für einen Ausflug, für das Einbringen der Ernte oder für ihre Gemütsverfassung dringend bräuchten. Manche Humanier reisen sogar um den Globus, weil sie im gleichen Jahr eine Jahreszeit - meist ist es der Sommer - noch einmal erleben möchten.
Ein hochbetagter Humanier erzählte mir, er habe aufgrund einer vor einem Monat erstellten Langzeitprognose über Studiosus-Reisen einen Spanienaufenthalt gebucht. Da seine Reisegruppe jedoch - entgegen der meteorologischen Vorhersage - von Kälte, Wind und Regen überrascht wurde und gezwungen war, pausenlos Kirchen und Museen zu besichtigen, habe der Psychotherapeut, den er nach meiner Rückkehr habe aufsuchen müssen, bei ihm eine chronische Museums und Kirchengebäude-Phobie festgestellt, die nur durch einen längeren Kuraufenthalt in einem wind- und regengeschützten Gebiet zu heilen ist. Er habe deshalb die Rechnung für die Behandlungskosten dem verantwortlichen Meteorologen zugeschickt und das Institut dringend gebeten, bei der nächsten Langzeitprognose behutsamer vorzugehen und dafür zu sorgen, dass Wetter und Vorhersagen unter allen Umständen miteinander übereinstimmen.
Das Klima ist in Humanien meist angenehm und mild. Der Luftdruck ist erträglich. Es kann heiter werden, ohne sonnig zu sein. Die Sonne scheint nicht immer und verkriecht sich häufig hinter Wolken. Gewitter, Donner oder Wetterleuchten sind jedoch nicht häufiger als anderswo. Oft wehen die Winde aus allen Himmelsrichtungen zugleich. Das Aufziehen von Dunstschleiern kann unerwartet kommen. Ein anhaltendes Hoch ist seltener als nasskalte Nieselregen und plötzliche Hagelschauer. Es gibt ein gelegentliches Aufklaren ohne Fernsicht. Die schwül-feuchte Luft löst nicht selten Atemnot, Kopfdruck und Herzbeschwerden aus. Häufiger wird das ganze Land von dichtem Nebel eingehüllt, der Sichtweiten von nur wenigen Metern zulässt. Es kommt auch vor, dass die Temperaturen unter die Frostgrenze sinken. Der Barometer steht gewöhnlich unverändert auf veränderlich. Die Stimmung schwankt bei denen, die im Überfluss leben, zwischen Niedergeschlagenheit und Lebensüberdruss, und bei denen, die Mangel leiden, zwischen Gelassenheit und Gleichmut.
Der weit über Humanien hinaus bekannte Klimaforscher, Professor Dr. Frosch, konnte in seinen neuesten Untersuchungen nachweisen, dass die überall verbreitete Furcht vor einer Erwärmung der Atmosphäre als unbegründet zurückgewiesen werden muss, weil alle Anzeichen dafür sprechen, dass mit dem Ansteigen des Konsums die Kälte zunimmt und das Klima bald in eine Eiszeit übergeht. Er warnt vor der Gefahr einer geistigen Klimakatastrophe, wenn der Werteverfall und die geistige Luftverschmutzung weiter den Lebensraum vergiften. Aber die Bewohner hoffen, dass das Ozonloch niemand zu einer Änderung seiner Lebensführung zwingt und sich so lange nicht erweitert, bis die Mittel gefunden wurden, mit denen man es wieder kleiner machen kann.
Wetterkarte mit Langzeitprognose:
Austria:Laue Winde aus allen Richtungen. Im Raum Salzburg, Kufstein und Bregenz muss bei der Einreise mit einem starken Pickerl-Regen gerechnet werden. Da die Autobahnen und Bundestraßen wegen Reparaturarbeiten nur einspurig befahrbar sind, ist mit zähflüssigem Verkehr und anhaltenden Staus zu rechnen. - Es wird empfohlen, die noch nicht reparierten Straßen zu benützen.
Italia:Eine aus Rom heranziehende vatikanische Warmluftfront kommt nur langsam über dem Alpenhauptkamm voran. Nach Eintritt in die nördlichen Breitengrade kann es unter der katholischen Bevölkerung zu einem vorübergehenden Temperaturanstieg kommen.
Helvetia:In allen Kantonen weiterhin Windstille. Für die Jahreszeit zu mild.
Britannia:Die BSE-Eintrübung, die sich von den britischen Inseln nach Osten vorgeschoben hat, wird das Festlandklima noch einige Zeit beherrschen.
Belgia:Durch den sintflutartigen Papierregen aus Brüssel wurden weite Teile Europas überschwemmt. Die dringend nötigen Aufräumarbeiten werden noch geraume Zeit in Anspruch nehmen.
Читать дальше