Es war im Juni 1806, so gegen Ende der letzten Woche des Monats, als die alte Dedieu, eine der bekannten klatschsüchtigen aus Goulier, sichtlich erregt nach Vicdessos kam:
„Ich weiß das der Herrgott mir verzeiht dir hier an diesem Ort darüber zu sprechen …“, überfiel sie etwas plötzlich in einem emphatischen Ton Pauline Denjean. Es war eine ihrer alten Bekannten und eben so geschwätzig wie sie selbst. Sie gab sich den Anschein etwas Unkraut längs der Kirchenmauer zu beseitigen.
„Ahhh ...!“Schrie und fuchtelte die Pauline erschrocken hoch als hätte sie irgendeine himmlische Stimme vernommen, oder als wäre sie von einem aus dem Friedhof Erwachten angesprochen worden.
„Oh mein Herz …! Mein Gott hast du mich erschrocken!“
„Dein Herz …, dein Herz …, und das Meine denn! Ich wäre da oben fast in Ohnmacht gefallen!“
„Ho! Was ist dir denn so Schlimmes passiert?“
„Ja, du wirst es mir nicht glauben, diese Frau …, die da oben von der man immer spricht …, ich hab sie gesehen!“
„Oh mein Gott! Existiert sie wirklich? Und du bist ganz sicher, dass du sie gesehen hast?“
„Ohh ja! Das war sie, ganz sicher, grauenvoll, scheußlich! Und …“ sie näherte sich Pauline und flüsterte ihr weiteres geheimnisvoll ins Ohr.
„Ho!“ Machte Pauline entrüstet, nachdem sie interessiert zugehört hatte. „Das ist ja skandalös ...! Wie kann sie es wagen?“
„Du sagst es. So was kann man doch nicht zulassen.“
„Stell dir nur mal vor, Kinder würden sie so herumlaufen sehen …, das wäre ja eine Katastrophe. Oder …, oder sogar der Herr Pfarrer …, stell dir mal vor!“
„Großer Gott, der arme Mann!“
Als dann plötzlich der Pfarrer um die Ecke bog und sich den beiden näherte, wurde die geheimnisvolle Unterhaltung geh unterbrochen.
„Der Herr segne euch meine Damen.“
„Oh! Der Herr Pfarrer …!“Kam es wie aus einem Mund und als hätten sie ihn nicht kommen sehen.
„Schöner Tag, nicht wahr,“
„Oh ja! Herr Pfarrer …!“. Und falls er zufälligerweise ihre Aktivität nicht bemerkt haben sollte, fügte die Pauline hinzu: „Bei diesem schönen Wetter nach dem vielen Regen der letzten Wochen, da wächst auch das Unkraut. Ich war eben dabei ein wenig davon zu entfernen, hier der Mauer entlang, als meine Freundin zu mir kam.“
„Ah ja, gute Anregung. Es sind ja auch immer dieselben, die sich bemühen das Haus unseres Herrn sauber zu halten. Das freut mich. Sagen sie Pauline, ich, habe den Eindruck diese Dame, ihre Freundin zu kennen, ich habe nur einige Schwierigkeit mich zu erinnern …“
„Oh bestimmt …, oh sie kennen mich bestimmt Herr Pfarrer, ich bin Helene Dedieu aus Goulier.“
„Ach ja! Das ist es ...! Frau Dedieu aus Goulier. Jetzt wo sie es sagen. Wie geht es Pater Maury? Ich habe ihn mindestens, seit zwei oder sogar drei Monaten nicht mehr getroffen.“
„Oh, es geht ihm sehr gut …, immer in bester Form.“
„Na also, das freut mich. Wenn sie ihn sehen, überbringen sie ihm meine Grüße.“
„Selbstverständlich Herr Pfarrer, ich werde es nicht versäumen.“
„Na dann, meine Damen, ich will dann mal weiter. Man hat mich wieder mal ans Bett des alten Peter Amiel gebeten. Na ja, es scheint so, als ginge es mit dem Ärmsten so langsam dem Ende zu.“
„Ist es denn wirklich schon weit?“
„Oh ja …, ja …, es sieht so aus. Es ist leider nicht mehr viel zu erhoffen, in seinem Alter. Was will man machen, es kommt nun mal für uns alle das Ende unseres Weges hier auf Erden.
Der Herr segne Euch.“
„Auf wieder sehen, Herr Pfarrer“
Kaum war der Pfarrer am Ende des Gemäuers verschwunden, war der Alte Amiel und das Unkraut wieder vergessen und die wie viel interessantere Geschichte der Helene Dedieu hatte wieder den Vorrang.
„Sag mal Helene ..., unter uns ..., könnte diese Frau …, nicht doch, eine Fado, eine Wahnsinnige s ein?“
„Man kann nie wissen. Ich frage mich, ob es nicht eher eine " Encatado" (Hexe) ist. Was meinst du? Jedenfalls sieht sie so aus.“
„Wenn du es sagst. Du hast sie ja gesehen. Warum auch nicht, demnach was man so hört. Um so herumzulaufen …, so wie du sagtest, das ist jedenfalls nicht geheuer. Meiner Meinung nach riecht das Ganze nach Schwefel. Verstehst du was ich sagen will …? Der Teufel ...!“
Das Geklatsche war von Neuem entfacht, sogar zog es sich noch eine Weile in den Nachmittag hinaus, und es blieb nicht dabei. Nun breitete sich die Geschichte wie ein Lauffeuer im ganzen Tal aus. In wenigen Wochen entstanden mehrere Versionen der Erzählung von Helene Dedieu und auch, der Beschreibung der Unbekannten. Für die Geistesgegenwärtigen war diese Frau nicht mehr als eine Unschuldige, vielleicht mehr oder weniger Geistesgestörte, die dabei ihren Spaß hatte. Für Andere war es eine Geisteskranke wahrscheinlich ungefährliche, welche irgendwo aus einem Heim ausgebrochen war. Dann gab es noch diejenigen, die das Böse, das Übel und somit die Gefahr, an jedem Ort und in jeder Situation vermuteten.
An einem Abend, es war im Hochsommer. Einige lustige Gesellen hatten sich zufällig in der Taverne bei Eduard getroffen. In der nahen Umgebung hörte man die die Stimmen und das Gelächter, welches mit der voranschreitenden Uhrzeit, immer lautstärker erklang. „Da sind noch Verschiedene, die wieder in einem schönen Zustand nach Hause kommen.“ Dachten schon die Nachbarn.
Die gewöhnliche Unterhaltung über Kühe, Schafe, Ziegen und dergleichen, schien abgehakt, als einer oder der andere anfing, das neueste Thema zu erwähnen: „Die nackte Frau in den Bergen!“ Wen auch in der allgemeinen Sprachweise, ähnliche Ausdrücke vermieden wurden. Hier bei Eduard, unter Männer, sprach man doch weniger verschleiert, zumindest, wen das aïgourdent (Schnaps) und der Wein, anfingen das gute Benehmen zu unterspülen.
Niemand wusste eigentlich, aus welchem Grund, der Marcel Estebe, an diesem Abend von Orus herunter gekommen war. Aber er war da. Der Marcel war ein komischer Vogel, und bekannt als Erzähler von außergewöhnlichen Geschichten. Er hatte die Gabe zu improvisieren wie kein Anderer. Es war vorzuziehen, seinem Sagen nicht zu viel Glauben zu schenken.
„Hört mir doch mal zu, Freunde!" Schrie Marcel plötzlich.
Zunächst hatte er einige Schwierigkeiten sich bemerkbar zu machen in diesem ganzen Krach, doch dann stand er auf und schrie noch lauter als die Andern.
„Hört mir mal zu ...! Ihr sprecht alle von dieser Frau, ohne etwas zu wissen. Ich …! Kann euch erzählen, was mir persönlich passiert ist. Diese Frau ist eine Hexe, eine richtige. Das kann ich euch sagen und ihr könnt mir glauben.“
„Ich wette, dass du versuchst, uns weiszumachen, dass sie dich geküsst hat.“ Hörte man im Wortgemenge.
„Aber nein …! Wer würde denn so was glauben?“ Ich bin sogar froh, dass es nicht so war. Nein …, aber ich habe sie mit eigenen Augen gesehen.“
„He …! Hört doch mal ...!“Rief einer in der Menge. „Hört doch mal dem Marcel zu ..., er sagt, er hätte sie gesehen.“
Als Marcel merkte, dass es ihm gelungen war, sich bemerkbar zu machen, setzte er sich wieder an seinen Tisch und goss sich zunächst einen heftigen Schluck Rotwein in die Kehle.
„Was nun Marcel? Auf was wartest du noch? Fang endlich an!“
„Nun ..., nicht später als letzte Woche ist es geschehen. Ich war mit meiner Herde da oben am Querquéou …“
„He! Marcel, seit wann hast du den eine Herde?“
„Ja, eigentlich …“
„Ich nehme an, dass es die vier Geißen vom alten Garcya waren.“
„Ja, selbstverständlich. Jeder weiß das doch. Ich sag das nur so, es ist so als ob es meine wären … Und? Dann eben seine Geißen, wenn du willst … Also, da so ein wunderbares Wetter war, sagte ich mir: warum nicht ein paar Tage hier bleiben? Es war am ersten Abend, ich hatte meine Tiere zusammengetrieben und hatte mich am Fuße eines Felsens eingerichtet.
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