„Nun mach schon …, lass endlich deinen Hintern nieder.“
Dann sagte er zu seinem Bruder, der gerade einen Holzklotz herbeischaffte als eigene Sitzgelegenheit:
„War es notwendig etwas von Wilden zu erwähnen?“ Glaubst du, dass sie eine Ahnung davon hat, was man im Tal über uns erzählt? Schau sie dir an …, wilder als sie ..., dann bist du ein toter Mann.“
In der Behausung der Brüder Garcia entspannte sich nach und nach die Atmosphäre. Sie merkten rasch, dass ihr Gast regen Appetit hatte, worüber sie eher erfreut reagierten.
„Gib ihr doch noch ein Ei.“ Sagte der Große mit einem erfreuten Grinsen.
Es war bereits das vierte Ei, das sie schlürfte. Die beiden vergnügten sich köstlich. Jedes Mal wenn sie hastig mit dem Nagel ihres Zeigefingers, ein schnabelförmiges Gebilde, die Schale durchstach, erschallte ein vergnügtes Lachen in der Hütte.
Dass ihre neue Freundin weder taub noch stumm war, hatten sie schon bemerkt, doch von dem was die Bloundino sagte verstanden die beiden kein Wort. Spanisch war es nicht, das war ihnen schon klar, aber außer ein paar Happen dieser Sprache hatten sie keine Ahnung von Fremdsprachen.
Mehrere Monate lang verbrachte die Bloundino im Lager der Brüder Garcia, doch manchmal verschwand sie auch für ein oder zwei Tage. Scheinbar machte sie sich auf um neue Horizonte zu erkunden. Sie näherte sich auch den Orrys im Tal von Artigue. Im Allgemeinen, waren die Hirten die dort den Sommer verbrachten gastlich. Wenige gab es doch die nicht besonders, oder gar überhaupt nicht erfreut über den Besuch einer solch schamlosen Kreatur waren. Dann und wann kam es sogar zu unangenehmen Übergriffen. So stark und flink sie auch war, in jedem Orrys gab es genügend Gegenstände um ein wütendes Monstrum zu bändigen.
Die Garcias konnten nur lächeln, wenn ihre „Frau“ nach einem solch abenteuerlichen Ausflug mit gestreiftem Hinterteil zurückkehrte.
„Ha, ha, ha! So siehst du gut aus!“ Lachte der Lahme, als er sie schweigend vorbei huschen sah.
„Hast du es nötig zu diesen Idioten zu gehen?“ Meinte der Große. „Was fehlt dir hier bei uns?“
„Kann passieren, wenn man schnüffeln geht, wo man nicht soll.“
Wahrscheinlich hätte sie den bevorstehenden Winter warm und sorgenlos mit den Brüdern Garcia verbringen können, doch sie hatte sich anders entschieden.
Als der Sommer dem Ende zu ging, kehrte sie nach Soulcem zurück um Vorräte für den Winter zu sammeln. Bis zum Abstieg der Herden besuchte sie wieder regelmäßig ihre alten Freunde Josef und Sylvain.
Dann verschwand nach und nach das Grün der Wiesen wieder unter einer dicken Schneedecke.
Es war ganz zu Beginn des Winters 1804 -1805. An diesem Tag waren die Temperaturen fast frühlingshaft, sodass der frische Schnee der noch in der Nacht gefallen war, zu schmelzen begann. Die Bloundino nutzte diese vielleicht letzte Gelegenheit, um noch einige Nahrungsmittel einzusammeln.
Gesättigt und beide Hände beladen mit einigen Vorräten kehrte sie am Spätnachmittag in ihr Winterquartier zurück. Nachdem sie die Ernte in ihrer Vorratsecke verstaut hatte, legte sie sich auf ihre frisch gepolsterte Liege und schlief bald ein.
Erschrocken wachte sie plötzlich auf. In der totalen Dunkelheit hatte sie den Eindruck einer Anwesenheit. Als sie einen Augenblick später wieder Herr ihrer Sinne war, vernahm sie ein Geräusch wie ein tiefes Atmen und verspürte in regelmäßigen Abständen einen warmen Luftzug auf der Haut. Als sie dann behutsam ihren Arm ausstreckte, fühlte sie genau neben ihr einen gewaltigen, pelzigen Hügel, welcher dann auch ein leises, scheinbar zufriedenes Grunzen erzeugte. Dieser Eindringling konnte nur ein Bär sein. Bloundino konnte ihn nicht sehen, aber es schien so, als hätte sich das Ungetüm komfortabel eingerichtet und seinen Winterschlaf begonnen. Eine höllische Angst überfiel sie, und sie wäre geflüchtet, wenn diese haarige Masse ihr nicht den Weg versperrt hätte. Die Bloundino war wie eingemauert in ihrer Ecke.
Doch die Zeit war noch nicht angebrochen für den Bären in seinen lethargischen Schlaf zu versinken, welcher wahrscheinlich dann bis zum Frühling gedauert hätte. So erwachte Bloundinos Mitbewohner noch von Zeit zu Zeit, drehte in der Höhle herum und machte sogar noch kurze Ausflüge bis ins Freie.
Zunächst hatte sie in diesen Momenten mehrmals versucht ihre Unterkunft dem Bären zu überlassen, doch ihr Freund entfernte sich immer nur unweit des Eingangs. Sobald sie sich der Öffnung näherte, sah er auf, zeigte jedoch keinerlei Aggressivität ihr gegenüber. Vielleicht waren es die kläglichen Laute, die sie in ihrer Angst von sich gab, die ihn an ein Junges seiner Spezies erinnerten.
Nach einigen Tagen stellte sich ein gegenseitiges Vertrauen ein und man beschloss sich für ein friedliches Zusammenwohnen.
Wenn auch der dickste Einwohner fast die ganze Lagerstätte in Anspruch nahm, blieb genügend Material umher um das Schlafgemach ein wenig zu vergrößern.
Für die Bloundino war die Situation ein nicht zu verachtendes Geschäft und es schien so, als hätte auch der Bär Gefallen an diesem idealen Winterquartier. Eine solch komfortabel ausgestattete Liege hätte er wohl kaum in anderen Höhlen gefunden und versank bald in seinen natürlichen Tiefschlaf. So ausgestattet blieb der Bloundino auch noch genügend Platz und sie konnte sich obendrein in einen wärmenden Pelz vergraben.
Während der Wintermonate hatte die Bloundino reichlich Zeit über das Benehmen ihres tief schlafenden Mitbewohners nachzudenken. Sie stellte sich die irgendwie beunruhigende Frage, ob er sich wohl beim Erwachen im Frühling noch genauso verhalten würde wie vor dem Einschlafen. Doch alles verlief mehr oder weniger reibungslos.
Nur überfiel die Bloundino ein etwas mulmiges Gefühl, als er begann, die Frühlingsluft zu schnuppern, schnaufend hin und her tobte, und begann kleine Bäumchen zu knickten. Was die Bloundino nicht ahnte, war dieses hektische Benehmen keine Aggressivität ihr gegenüber, sondern lediglich eine imposante Demonstration seiner Manneskraft. Dieses Erlebnis hätte trotz allem tragisch enden können, wenn da nicht unerwartet eine junge Bärendame aufgetaucht wäre.
Im Laufe dieses Sommers 1805 verringerte die Bloundino ihre Besuche bei dem Einen und Andern ihrer Freunde im Soulcem und im Tal von Artigue. Sie schien nun mehr angezogen von den Wäldern von Auzat und dem Tal von Vicdessos. Wen der Bär auch die meiste Zeit als Einzelgänger herum trollte, begegneten sie sich doch manchmal wenn auch zufällig für ein kurzes Spielchen oder einen ausgedehnten Spaziergang. So entdeckten sie an den Hängen von Saleix, versteckt im Unterholz eine andere Höhle, welche die Bloundino nun als neues Winterquartier einrichtete.
Der folgende Winter war eher mild. Freilich gab es Schnee in Mengen, doch er blieb schwer und feucht. Während ihr haariger Begleiter seelenruhig schlummerte, nutzte die Bloundino die milde Atmosphäre um hier oder da, ein paar Eier zu entwenden oder gar einem Hühnchen den Hals umzudrehen. Es ergab sich, dass einige höchst erstaunte Einwohner, der abgelegenen Weiler beobachtet hatten, wie eine nur mit ihrem üppigen Haar bekleidete Frau im tiefen Schnee davon eilte.
Wen auch schon Einige früher, mehr oder weniger diskret, das Dasein einer mysteriösen Frau in den Bergen erwähnt hatten, verbreitete sich erst die Erscheinung dieser außerordentlichen Gestalt im Sommer 1806.
Bis zu diesem Zeitpunkt, außer denjenigen die behaupteten die Frau flüchtig gesehen zu haben, glaubte keiner wirklich an ihrer Existenz. Und selbst, wenn alles was man so erzählte, der Wahrheit entsprechen sollte, meinte die Mehrzahl, man sollte ihre Gegenwart eher mit Humor betrachten und sie dort oben in Ruhe lassen. Solange jedenfalls, sie sich nicht den Behausungen näherte würde.
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