1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Peter öffnete es. Zum Vorschein kam eine Streichholzschachtel.
„Was soll das denn?“, fragte Ulli.
„So haben wir früher geheime Botschaften übermittelt“, erklärte Peter. Er zog die Schachtel auf. Darin lagen ein kleiner, mehrfach gefalteter Zettel und drei Streichhölzer.
Peter holte den Zettel hervor, entfaltete ihn und las vor.
„ Ich werde dir alles erklären, wenn ich zurück bin .“
„Was soll das denn bedeuten?“, fragte Ulli, „meinst du, das hat etwas mit Roberts Tod zu tun?“
Peters Miene verriet, dass er genauso ratlos war. „Ist dir im Zusammenhang mit Frank und Robert heute Abend irgendetwas aufgefallen?“
„Nichts Besonderes“, bestätigte Ulli. „Allerdings haben sie sich lange und intensiv unterhalten und Robert war irgendwie schlecht drauf.“
„Wie meinst du das? Schlecht drauf?“
Ulli zuckte die Schultern. „Introvertiert. Gestresst. Ich weiß nicht. Frank meinte, es läge daran, dass Robert seine Sommergrippe nicht los wird.“
Peter sah Ulli nachdenklich an, dann nahm er eines der Streichhölzer und entzündete die Botschaft.
„Was machst du da?“, fragte Ulli.
„Das gehört zum Ritual“, erklärte Peter, „wenn man die Nachricht gelesen hat, wird sie vernichtet.“ Er ließ das Papier auf die Straße gleiten, wo es verbrannte. Dann fiel ihm noch etwas ein. „Verdammt“, rief er, „wir müssen Husoll anrufen!”
Sie hatten völlig vergessen, den Chefredakteur zu informieren. Roberts Tod würde für die NZ einen erheblichen Einschnitt bedeuten. Seine populäre Rubrik stellte nicht nur für viele Leser einen Anreiz zum Kauf der NZ dar, sondern schaffte es auch immer wieder, durch geschickte „Hofberichterstattung” neue Werbekunden für das Blatt zu gewinnen.
Peter hatte Husolls Privatnummer auf seinem Handy gespeichert. Nach viermaligem Klingeln nahm der Chef ab. Peter entschuldigte sich für die nächtliche Störung und fragte Husoll, ob er schon von Robert gehört habe. Immerhin konnte es sein, dass der Chef bereits über andere Quellen informiert worden war.
„Nein. Was ist mit ihm?"
Peter holte tief Luft. „Robert hatte auf dem Rückweg von Beaulieus Fest einen Unfall. Er ist tot.“
Für einen Moment herrschte am anderen Ende Schweigen. Als sich Husolls Stimme wieder meldete, klang sie mühsam gefasst. „Was ist passiert?"
Peter berichtete in kurzen Worten von dem Unfall, den frustranen Rettungsversuchen in der Ambulanz, von Roberts engen Pupillen und von dem Ergebnis der Analyse. Wegen fehlender Bremsspuren sollte Roberts Porsche gleich am nächsten Morgen kriminaltechnisch untersucht werden.
„Eine böse Sache." Husolls Stimme klang erschüttert. „Ist Ulli noch bei Ihnen?”
„Ja.”
„Wie viel Uhr ist es jetzt?”
Peter sah auf seine Uhr. „Halb vier.”
Husoll dachte kurz nach. „Dann legen Sie sich noch ein paar Stunden aufs Ohr”, entschied er, „wir treffen uns um elf in der Redaktion. Gute Nacht.”
„Gute Nacht.”
Peter hatte nur wenig geschlafen und fühlte sich wie in Trance, als er an diesem Sonntagmorgen zum Verlagsgebäude fuhr. Es fiel ihm schwer, zu realisieren, dass sein bester Freund Robert tatsächlich nicht mehr lebte.
Robert und er waren ein fast unzertrennliches Duo gewesen. Sie hatten alles geteilt: die Schule, ihre Studienzeit in München und bis vor drei Jahren auch die Einstellung praktizierender Junggesellen gegenüber hübschen Mädchen. Sie konnten einfach nicht „Nein“ sagen.
Der Dritte im Bunde war ihr Freund Frank, den sie im Rahmen ihres Studentenjobs bei der NZ kennengelernt hatten und der ihnen in den Boxclub gefolgt war.
Nachdem die drei ihr Examen abgelegt hatten, beendete Frank erwartungsgemäß seinen Job bei der Zeitung und kümmerte sich um seine ärztliche Karriere.
Dass Robert und Peter entgegen ihrer ursprünglichen Lebensplanung bei der NZ hängen geblieben waren, hatte auch damit zu tun, dass sie ihre journalistische Tätigkeit und die lockere Atmosphäre in der Redaktion zu schätzen gelernt hatten. Aber vor allem waren es äußere Umstände, die sie von ihrem eigentlich angestrebten Beruf abhielten.
Bei Robert lag es an dem Zerwürfnis mit seinem Bruder, das einer gemeinsamen Tätigkeit in der väterlichen Firma im Wege stand.
Bei Peter, der auf Lehramt studiert hatte und eigentlich Studienrat werden wollte, war es purer Frust über den Lehrerberuf. Wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil ihn die Freiheiten des Journalismus für einen Beruf nach Stundenplan verdorben hatten. Auf jeden Fall hatte er bereits nach einem kurzen Gastspiel als Referendar an einem bayrischen Gymnasium von dem nach seiner Ansicht „erzkonservativen und spießigen bayrischen Schulbetrieb“ so die Nase voll, dass er mit fliegenden Fahnen zur NZ zurückgekehrt war.
Dann geschah etwas, das die Struktur der jungen Zeitung bis in ihre Grundfesten erschütterte. Jimmy, der populäre Gesellschaftsreporter der NZ , der für die vielbeachtete Klatschspalte zuständig war, wurde schwer krank. Jimmy war ein charmanter Bursche, der die Rolle des Gesellschaftsreporters perfekt ausfüllte und dem sich in München alle Türen öffneten. Vor allem die der Damenwelt. Und eine dieser Türen führte Jimmy in sein Verhängnis. Er infizierte sich mit AIDS und trotz Ausschöpfung aller damals bestehenden Therapiemöglichkeiten ging es mit ihm rapide bergab. Robert und Peter, die mit Jimmy befreundet waren und viel zusammen mit ihm unternommen hatten, besuchten ihn regelmäßig im Krankenhaus. Zum Schluss war der einst so attraktive und kraftstrotzende Mann zu einem Skelett abgemagert und so schwach, dass er nicht einmal mehr ohne fremde Hilfe aus seiner Schnabeltasse trinken konnte.
Als Robert und Peter den sterbenden Jimmy einen Tag vor seinem Tod das letzte Mal besuchten, war dies nach ihrer einhelligen Ansicht das traumatischste Erlebnis ihres bisherigen Lebens.
Zwei Tage nach Jimmys Beerdigung bot Husoll Robert die vakante Stelle des Gesellschaftsreporters an. Robert sah gut aus, war charmant, parkettsicher und konnte unterhaltsam formulieren. Außerdem hatte er Jimmy oft begleitet und war in der Szene kein Unbekannter mehr. Für Robert war es der Traumjob schlechthin und er nahm ohne zu zögern an. Tatsächlich gelang es Robert in kurzer Zeit, nicht nur an Jimmys Popularität anzuknüpfen, sondern der Klatschspalte der NZ noch mehr Beachtung zu verschaffen und zu der unangefochtenen Nummer eins unter Münchens Gesellschaftsreportern zu werden.
Allerdings fehlte Robert ein Fotograf, der ihn auf seinen Streifzügen durch die Schickeria begleitete und der ein Gespür dafür hatte, wann er auf den Auslöser drücken musste.
In dieser Situation erinnerte sich Robert daran, dass sein Boxtrainer Ulli Petzold hauptberuflich für eine Detektei arbeitete und nach eigenem Bekunden vorwiegend mit Observationen beschäftigt war. Also konnte er mit einer Kamera umgehen. Robert erzählte Ulli von seiner Idee, als Fotograf für ihn und die NZ zu arbeiten und lud ihn ein, probeweise einmal zu einem Event der Schickeria mitzukommen und Bilder zu machen. Der Testlauf wurde ein voller Erfolg. Ulli schoss hervorragende Bilder und die Arbeit gefiel ihm.
Zwei Tage später wurde Ulli von Husoll als neuer Bildreporter der NZ eingestellt und ihm zugesagt, dass er seine Nebentätigkeit als Boxtrainer unverändert ausüben konnte.
Als Peter an diesem Sonntagvormittag im Redaktionsgebäude Ullis Fotostudio betrat, blickte ihn der Freund trübsinnig an.
„Was für eine unglaubliche Scheisse!“, sagte Ulli.
„Ja“, bestätigte Peter, „ich bin gespannt, was der Alte dazu sagt.“
Zeitungsleser erwarten von ihrem Blatt am Montag die gleiche Aktualität wie an den anderen Tagen. Deshalb wird in Verlagshäusern auch am Sonntag gearbeitet.
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