Tina tauschte noch Telefonnummern mit den beiden aus und verabschiedete sich mit dem Kommentar: „Hey, Tati, aber warte nicht mehr so lange mit dem Baby, sonst bist du zu alt, und es klappt dann oft nicht mehr!“ Dabei zwinkerte sie mit einem Auge Tatjana zu.
Das gab Tatjana den Rest, sie drehte sich schnell um und merkte, wie ihr Tränen übers Gesicht rollten, sie konnte sie einfach nicht mehr stoppen.
„Ach Tati, sei nicht so traurig. Lass diese Vollblutmama doch schwatzen, hast du gesehen, wie ausgemergelt und faltig sie aussah? Du bist dagegen ein wahrer Jungbrunnen!“ Kati kniff ihrer Freundin liebevoll in die Hüfte und versuchte sie aufzuheitern.
Am Abend erzählte Tatjana Lars von ihrer schrecklichen Begegnung mit Tina. Lars machte sich Sorgen um sie, er merkte, wie verzweifelt Tatjana wegen des unerfüllten Kinderwunsches war, und er überlegte, wie er sie auf andere Gedanken bringen könnte. Er schlug Tatjana vor, mit ihm zum Lieblingsitaliener zu gehen und lecker zu Abend zu essen. Tatjana knurrte sowieso der Magen, und essen gehen war immer eine gute Idee, vor allem, wenn sie mit Lars allein war. Sie konnten sich so gut unterhalten. Sie ging ins Schlafzimmer und überlegte, was sie am besten anziehen sollte.
Sie nahm ihren Lieblingsrock, schwarz mit großen Blumen in Türkis bedruckt, der etwas ausgestellt war und bis leicht über die Knie ging, dazu streifte sie sich ihr enges, schwarzes Oberteil mit tiefen Ausschnitt über und legte sich ihre türkisfarbene Häkelstola um, dann schlüpfte sie noch in ihre schwarzen Ballerinas.
Tatjana sah sehr weiblich aus, und das gefiel Lars sehr an ihr. Sie konnte jeden Mann mit ihrem Charme verführen, sie hatte einfach eine unglaubliche Ausstrahlung. „Du siehst bezaubernd aus, mein Schatz! Ich liebe dich!“, flüsterte Lars auch gleich in Tatjanas Ohr hinein.
„Ich dich viel mehr!“, schmeichelte Tatjana ihm.
Der Abend tat den beiden gut und Tatjana erzählte Lars von ihren Träumen und Wünschen.
Aber ein Wunsch wurde ihr immer wichtiger. Sie wollte unbedingt einmal mit ihrem Teenieschwarm Morten Harket zusammentreffen. Das wünschte sie sich schon, seit sie 15 gewesen war, mehr als alles andere auf der Welt, und nun hatte sie wieder ganz stark das Gefühl, dass ihr dieser Wunsch unbedingt in Erfüllung gehen müsse. Als sie ihre damalige Freundin Tina heute wieder getroffen hatte, wurde sie noch entschlossener, wenigstens diesen einen Wunsch zu realisieren, wenn sie schon nicht das Glück hatte, Mutter werden zu können. Sie erinnerte sich an die Worte von Morten, die er vor Kurzem in einem Interview gesagt hatte: „Ich bin davon überzeugt, das Träume umsetzbar sind!“
„Also“, dachte Tatjana, „dann werde ich jetzt meinen Traum umsetzen.“ Sie erzählte auch Lars davon, denn sie wollte nicht, dass er denken könnte, sie hätte Geheimnisse vor ihm.
Lars war erst mal nicht so begeistert von Tatjanas Vorstellungen, aber er schätzte an ihr, dass sie ihm alles so offen erzählte und ihn nicht anlog.
Die Reise nach Oslo beginnt
… move to Memphis (Oslo) that's what I'll do
going to move to Memphis (Oslo) and follow you
trace that highway down to your doorway
going to move to Memphis (Oslo) and be with you
Die Tage vergingen immer schneller, der Sommer näherte sich langsam dem Ende, jetzt war es endlich soweit – nur noch ein paar Stunden bis zum großen Start, um Tatjanas Traum wahr werden zu lassen. Sie packte ihren Koffer und hörte dabei Musik, als Lars von der Arbeit nach Hause kam.
„Hi Schatz!“ Lars gab ihr einen flüchtigen Kuss. „Ich muss gleich wieder weg, bin verabredet mit Arbeitskollegen.“ Er hastete Richtung Bad.
Tatjana wunderte sich, wie gleichgültig er mit ihr sprach. Sie hatte ein komisches Gefühl in der Bauchgegend, das hatte sie immer, wenn etwas passierte. „Lars!“, rief Tatjana ins Badezimmer. „Sehen wir uns heute Abend noch? Morgen früh gegen fünf Uhr holt mich Kati ab!“
„Ich weiß noch nicht, wie spät es wird, aber wir werden uns bestimmt noch sehen!“
Tatjana war auf einmal sehr enttäuscht von Lars, sie wollte aber nicht am letzten Abend streiten, also schluckte sie ihre Traurigkeit hinunter. Lars sah gut aus, als er ging, er hatte seine gut sitzenden Jeans und ein sportliches schwarzes Hemd an. Er trug seine coole Sonnenbrille und hatte sein Lieblingsparfum aufgelegt, das ihm Tatjana zu Weihnachten geschenkt hatte. Tatjana war erschrocken, als Lars ihren Abschiedskuss kaum erwiderte.
Sie machte sich große Sorgen, ob er sich wirklich mit seinen Kollegen treffen würde. Sie beschloss daher, ihm hinterherzufahren, um zu erfahren, was er vorhatte. Lars blieb an einer Straßenecke stehen, und Tatjana traute ihren Augen kaum, als sie eine Blondine in sein Auto einsteigen sah. Sie überlegte, wer das nur sein könnte. Sie wurde eifersüchtig und wäre am liebsten mit quietschenden Reifen Lars hinterhergefahren, doch das schaffte ihre Ente nicht. Auch durfte sie nun nichts überstürzen, sie wollte noch mehr Beweise sammeln und Lars auf frischer Tat ertappen. In ihrer Wut und ihrer Verletztheit stiegen Tatjana Tränen in die Augen, sie konnte teilweise die Verkehrsschilder gar nicht mehr erkennen. Irgendwann fuhr Lars rechts ab, direkt auf einen Parkplatz vor einem 5-Sterne-Hotel. „Nein, das ist jetzt nicht wahr!“, schrie Tatjana auf, also waren ihre Vermutungen richtig? Sie konnte den Anblick nicht ertragen, als Lars der großen Blonden den Arm reichte, damit diese sich bei ihm einhaken konnte. Sie fuhr los, nach Hause, so schnell sie konnte. Tatjana weinte und war total fertig. Sie machte sich Vorwürfe.
Vielleicht hatte sich Lars einen Ersatz gesucht, weil sie allein in den Urlaub fuhr. „Er muss ganz schön deprimiert deswegen sein“, dachte Tatjana. Als sie nach Hause kam, klemmte sie sich gleich das Telefon ans Ohr, um mit Kati zu reden.
Sie erzählte ihr alles und beschloss, dass Kati sie in einer Stunde mit dem Wohnmobil abholen sollte. Sie wollte nur noch weg und schrieb Lars einen kurzen Brief, in dem stand: Bin schon früher weggefahren, wirst mich ja nicht besonders vermissen! Bis in zehn Tagen, Tatjana. Ach ja, ich melde mich, wenn ich in Oslo angekommen bin – kümmere dich bitte gut um Gregor!
Kati stand wenige Minuten später vor dem Haus. Das bunte Wohnmobil war kaum zu übersehen. Tatjana nahm ihren Koffer und ihren Rucksack und verabschiedete sich noch von Gregor. Katrin umarmte Tatjana fest und nahm ihr das Gepäck ab. Sie stellte ihr Navigationsgerät an und ließ sich die Route nach Norwegen bis Oslo berechnen. Es waren genau 1.326 Kilometer bis zu ihrem Glück, jedenfalls eine lange Strecke. Tatjana begutachtete erst einmal das Wohnmobil von innen.
Es war echter Siebziger-Jahre-Style, in orange-braunen Farbtönen. Katrins Eltern waren in den 68ern stehengeblieben, totale Spät-Hippies. Tatjana war sich sicher, dass irgendwo unter dem Bett oder hinter dem Kühlschrank noch ein Joint rumliegen würde. Aber all das empfand Tatjana nicht als schlimm, sondern eher als befreiend. Katrin übernahm dann das Steuer, sie merkte, dass ihre Freundin mit den Gedanken noch ganz woanders war. Tatjana legte sich auf das runde, große Bett mit den weißen Lammfellen und hörte ihr Lieblingslied „With you, with me“ von Mortens neuer CD.
Sie dachte dabei an Lars, ob er sich bald bei ihr melden würde und wie es wohl mit ihnen beiden weitergehen sollte. Sie wusste nicht, ob sie ihm einen Seitensprung jemals verzeihen könnte, aber sie liebte ihn doch so sehr und spürte Wut und Angst gleichzeitig in sich. Ihre Gedanken drehten sich in ihrem Kopf wie ein Kettenkarussell. Um sich ein wenig abzulenken, nahm sie sich eine Frauenzeitschrift von dem Stapel, den Kati ihr zum Lesen neben das Bett gelegt hatte. Prompt stand doch gleich auf der ersten Seite ein Interview mit Morten Harket, und das konnte sich Tatjana natürlich nicht entgehen lassen und las es konzentriert. Morten meinte, wenn er eine Frau sehen würde, schaue er, ob sie gesund aussähe und im Gleichgewicht mit sich selbst sei. Das wäre für ihn attraktiv. Dieser Satz imponierte Tatjana sehr.
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