An einem Samstagabend finden wir uns wieder in der Friedrich-Herschel-Straße ein. Beim Eindringen in die Vagina hat Fides wieder Schmerzen. Für mich ist es lustvoll.
Fides darf nicht nach Mitternacht nach Hause kommen. Wir sind gerade wieder angezogen und haben das Bett gemacht, als die Tür aufgeht und der Hausmeister in der Tür steht.
Ich denke er hatte uns kommen sehen und solange gewartet bis er sicher war uns im Bett anzutreffen.
Er war sichtlich enttäuscht.
Von jetzt ab wird es ganz schwer Fides in die Friedrich-Herschel-Straße zu lotsen.
Manchmal gelingt es aber doch. Wir schleichen uns dann, ohne Licht zu machen, in das Büro und in das im hinteren Teil liegende Zimmer mit dem Bett und dem Bad. Unsere Liebesakte sind nur auf meiner Seite lustvoll. Für Fides aber jetzt zumindest schmerzfrei. Ich habe es jetzt gelernt, wie man ein Präservativ richtig anlegt und befeuchtet.
Fides muss für das Abitur lernen. Ich mache nur das nötigste für die Schule und lese viel.
Für den Roman “Stiller“ von Max Frisch entwickle ich eine wahre Leidenschaft. Ich schreibe Fides lange Briefe über das Buch, weil sie im Café immer so gelangweilt schaut, wenn ich über den Roman doziere.
Es war das Liebespaar Julika/Stiller das mich so stark berührt hat. Vermutlich war es das von Anfang an absehbare Scheitern der Beziehung.
Ich übertrug dieses Scheitern auf unsere Beziehung und litt unter der Angst, die dieses befürchtete Scheitern bei mir verursachte.
Auch die seitenlangen Briefe führen nicht dazu, dass meine Freundin sich für den Roman interessiert.
Ich versuche sie fast zwanghaft dazu bewegen den Roman zu lesen, ohne Erfolg.
Ich hatte gehofft von ihr einen Hinweis zu erhalten, dass unsere Beziehung nicht scheitert.
Mit meinem Freund Hans Schuster, er ist ein paar Jahre älter und studiert Germanistik und Englisch, diskutiere ich nächtelang über das „Rätsel Weib“. Wir machen nur sehr geringe Fortschritte in der Erkenntnis über dieses Phänomen. Hans hatte noch weniger praktische Erfahrung hinsichtlich unseres Untersuchungsgegenstandes als ich, hat aber ein breites literarisches und philosophisches Wissen zu diesem Thema.
Neben dem Rätsel Weib diskutieren wir auch über das Rätsel Liebe.
Hier eine Auswahl der Zitate die Hans gerne anführte:
Schopenhauer:
„Liebe ist Objektwahl, wobei nicht das Individuum im Vordergrund steht, sondern die Spezies. Also eine übergeordnete über dem individuellen Rahmen hinausgreifende Instanz. Es geht um die Zusammensetzung der neuen Generation“.
Ortega y Gasset:
„Liebe ist eine Form des Strebens, eine Begierde, sie ist eine ewige Unbefriedigtheit, ein Strömen aus Seelenmaterie, ein Fluss, der ohne Unterbrechung, wie aus einer Quelle hervorsprudelt, erotisches Gefühl regt sich in uns nur beim Anblick von etwas, was uns als Vollkommenheit gilt. Individualität zu zweit. Liebe ist ihrem eigenen Wesen nach Wahl. Und da sie aus dem Kern der Person, aus der Seelentiefe aufsteigt, sind die Auswahlprinzipien, die über sie entscheiden, zugleich die innersten und geheimsten Wertungen, die unseren individuellen Charakter formen“.
von Keyserling:
„Wie wir nichts sehen können, das einem Menschenantlitz im entferntesten ähnlich ist, ohne auch einen Ausdruck zu sehen, so können wir nicht den Körper begehren, ohne auch das Seelische, von dem er durchtränkt ist, dessen Regungen er in jedem Augenblick ausdrückt, zu begehren.“
Das Zitat von Keyserling stammt aus einem Aufsatz mit den Titel „Über die Liebe“ den Hans mir zum Lesen gab und der mich sehr bewegt hat.
Der Aufsatz öffnete mir das Verständnis für die Wechselwirkung von Körper und Geist in der Liebe. Ich war bewegt von der körperlichen Schönheit von Fides. Gleichzeit war ich auch berührt von der Skepsis, der Klarheit und Ehrlichkeit mit der sie ihre Gefühle zum Ausdruck brachte.
Bei unseren Café Besuchen und auf Spaziergängen berichte ich Fides über den jeweiligen Stand der Erkenntnisse von Hans und von mir zum Thema Liebe und Frauen. Sie belächelt unsere Gespräche und ich bin oft eingeschnappt, weil sie unsere Gespräche nicht ernst nimmt. Unsere Treffen laufen nach einem fast unveränderten Schema ab. Zu Beginn berichte ich emotional bewegt von literarischen und philosophischen Erfahrungen die ich gemacht habe. Fides hört eher uninteressiert zu. Mein Elan stirbt ab. Ich beginne zu schmollen. Fides lenkt unser Gespräch auf praktische Dinge die für das Abitur hilfreich sein könnten. Etwas wiederwillig folge ich ihr. An Abenden schmusen wir zum Abschluss an den leeren Ständen des Viktualienmarkts oder gehen in die Friedrich-Herschel-Straße. Es gibt nur ein philosophisches Thema das Ihr ungeteiltes Interesse findet und über das wir immer wieder kontrovers diskutieren, das ist das Scheitern der Liebe. Ich bin hinsichtlich der Liebe Optimist, ich glaube dran, dass es die Liebe gibt und dass sie auch von Dauer sein kann. Meine Freundin ist eher skeptisch und hält die Liebe für ein flüchtiges Ding. Sie zitiert gerne einen Ausspruch von Rochefoucault: „Mit der Liebe ist es wie mit den Gespenstern alle reden davon, aber keiner hat sie je gesehen.“ Dass sie so skeptisch über die Liebe denkt macht mir Angst. Die Vorstellung, dass unsere Liebe flüchtig sein könnte quält mich. Es ist jetzt nicht mehr nur Ihre Schönheit und ihre Zärtlichkeit die mich berührt. Es ist auch die Lust, die sie mir im Liebesakt schenkt. Diese Lust umhüllt mich noch Tagelang. Ich lebe dann auf einer rosigen Wolke und finde das Leben herrlich. Fides ist sehr zärtlich in der Liebe aber sie bleibt immer am Boden. Meine Höhenflüge beobachtet sie wohlwollend, schreibt sie aber meinen Temperament und meiner Unerfahrenheit zu. Manchmal macht sie sich auch lustig über meinen Überschwang an Gefühlen. Hinsichtlich der Liebe war eine der Lieblings Thesen meines Vaters ein Zitat von Schopenhauer „Liebe ist der Lebenswille des zukünftigen Geschlechts“.
Seit Fides mit mir schläft habe ich Zweifel, dass mein Vater Recht hatte. Zu großartig ist das Gefühl das ich dabei empfinde. Es kann nicht nur zum Zwecke der Fortpflanzung entstanden sein.
Aus unseren Diskussionen zum Thema Liebe geht Fides immer als Sieger hervor. Meine Argumentation steht auf schwachen Beinen. Ich plädiere für die dauerhafte Liebe weil ich fühle, dass meine Liebe zu Fides von Dauer ist.
Fides argumentiert immer mit praktischen Beispielen.
Sie fragt zum Beispiel „wie war das bei Deinen Eltern, war das eine dauerhafte Liebe?“
Im Fall meiner Eltern muss ich klein beigeben. Das war keine dauerhafte Liebe. Mein Vater war ein gut aussehender sportlicher Mann und hatte lange Zeit eine Freundin, mit der er, nahezu jedes Wochenende, zum Bergsteigen ins Gebirge fuhr. Die Freundin war Buchhändlerin in der Kleinstadt in der wir lebten. Ihr Laden und die Kanzlei meines Vaters waren am Marktplatz. Mein Vater hat nie versucht seine Liaison geheimzuhalte. Er hat meine Mutter aufgefordert sich auch einen Liebhaber zu nehmen.
Meine Großeltern hatten am selben Marktplatz eine Bäckerei mit einem Café. Meine Großmutter war eine große stattliche Frau. Sie hat einmal die eher zierliche Buchhändlerin aufgelauert und geohrfeigt. Mein Vater hat daraufhin getobt und von meiner Großmutter gefordert, dass sie sich entschuldigt. Ich glaube nicht, dass meine Großmutter das getan hat.
Mein Vater hat auch mit unserem Dienstmädchen geschlafen. Meine Mutter hat das entdeckt, weil sie in der Unterhose meines Vaters Blutspuren fand und wusste, dass das Dienstmädchen ihre Periode hatte. Der Beischlaf mit dem Dienstmädchen fand im Keller statt. Mein Vater pflegte am Morgen zum Schuhputzen den Keller aufzusuchen.
Als ich 12 Jahre alt war durfte ich einmal an einem Wochenende mit ins Gebirge. Mein Vater nahm auch seine Freundin mit. Es war nicht mehr die Buchhändlerin, die hatte sich von ihm getrennt und war weggezogen, nachdem er sich nicht scheiden lassen wollte.
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