Von der Wohnung von Fides war es nur ein kurzer Weg in die Au, deshalb gingen wir öfters in einen Wirtshaussaal in die Au, in dem am Sonntag am Nachmittag, Jazz gespielt wurde.
Die Musiker und der überwiegende Teil der Besucher waren amerikanische, meist schwarze, Soldaten. Fides mochte die Atmosphäre, blieb aber auch hier unberührt von der Musik.
Was ihr in diesem Wirtshaus großen Spaß machte, war zu beobachten, wie sich die einsamen amerikanischen Soldaten etwas von dem Duft und der Nähe der anwesenden Damen holten.
Das ging so: vor der Damentoilette bildeten sie eine enge tief gestaffelte Reihe. Wenn eine Dame die Toilette aufsuchte und sich einer Lücke in Ihren Reihen näherte, verschoben Sie blitzschnell, unter dem Vorwand nur auf die Musik zu achten, die Reihe, so dass sie mit den Damen in Körperkontakt kamen.
Einmal beobachtete ich, als Fides die Toilette aufsuchte, dass die Soldaten noch eine neue Reihe hinten anfügten.
Fides kam jedes Mal lachend aus der Toilette.
Wir gehen zusammen mit Schelly, das ist Fides beste Freundin, groß aus und zwar in das angesagte Nachtlokal Tabu.
Wir treffen uns am Marienplatz und gehen zu Fuß. Der Weg zum Tabu in einer Seitenstraße zur Leopoldstraße ist sehr geradlinig.
Fides besteht aber auf einem Zickzackkurs. An den unmöglichsten Stellen will sie abbiegen. Sie sagt dann „Crossen wir hier“. Das ist nicht als Frage, sondern als Aufforderung gemeint. Schelly und ich folgen etwas missmutig diesen Anweisungen.
Schließlich kommen wir trotz aller Umwege im Tabu an.
Schelly ist ein großes selbstsicheres Mädchen. Nicht hübsch, aber sympathisch. Der Vater betreibt eine Fabrik für Aufzugsanlagen.
Ich tanze abwechselnd mit Fides und Schelly. Kurze Zeit nach unserer Ankunft erscheint Fabian.
Sehr herzlich begrüßt von beiden Mädchen.
Er tanzt nur mit Fides. Ich tanze etwas verkrampft mit Schelly.
Das Tabu schließt um 3:00. Um 2:00 flüstert mir Fides zu, sie würde mit Fabian gehen, um dessen Auto zu holen. Sie käme aber zurück. Sie fragt noch „bist du jetzt böse?“.
Ich tanze weiter etwas verkrampft mit Schelly und tu so, als ob es mir nichts ausmacht, dass sie mit Fabian verschwindet. Die Unterhaltung mit Schelly kommt auch nicht wirklich in Fluss. Pünktlich um 3:00 hört die Kapelle auf zu spielen. Schelly und ich gehen zum Ausgang.
Auf der Straße steht Fides zusammen mit Fabian vor dessen Auto, einer eleganten Limusine.
Fabian fährt zuerst Schelly nach Hause, sie wohnt in Freimann, dann Fides, das ist in der Gegenrichtung. Am Odeons Platz lässt er mich aussteigen. Fides versucht, als ich aussteige, nett zu mir zu sein und wispert mir zu „ich ruf dich an“.
Sie winkt mir fröhlich zu als Fabian wieder losbraust.
Ich hab noch einen langen Weg nach Bogenhausen.
Ich bin verärgert über die Art wie sie mit Fabian flirtet und gleichzeitig versucht auch nett zu mir zu sein. Ich gestehe mir aber ein, dass sie auch heute Abend einfach hinreißend aussah.
Sie hatte ein sehr kurzes hochgeschlossenes dunkelblaues, sehr mädchenhaftes, kurzärmeliges Kleid mit hohen Absätzen an. Das Kleid hat einen weißen Kragen, weiße Knöpfen und einen weißen Besatz an den Ärmelenden. Ihre Haare trägt sie an diesem Abend offen. Sie fallen ihr lange über die Schulter. Sie hat ihre Haare seit ein paar Tagen hell blond gefärbt.
Wenn Sie am Tisch sitzt, rutscht ihr Kleid nach oben und ihre Beine sind in voller Länge sichtbar. Es ist ein warmer Sommerabend und sie hat keine Strümpfe an. Besonders reizvoll ist ihr Busen der sich deutlich unter dem hochgeschlossenen Kleid abzeichnet.
Sie wurde von allen Männern, denen wir an diesem Abend begegnet sind mit bewundernden Blicken beäugt.
Sie hat an diesem Abend mit mir gespielt. Mir wird klar, dass sie mich sehr verletzen kann.
Ich bin eifersüchtig auf Fabian.
Ich beschließe sie nicht mehr um eine Verabredung zu bitten. Ich denke sie hat sich in Fabian verliebt.
Sie ruft aber wie versprochen an und wir treffen uns wieder an jedem Mittwoch und auch an den Wochenenden.
Meine Zuneigung zu Fides schwächt sich etwas ab. Der Flirt mit Fabian wirkt nach. Ich interessiere mich sogar für ein anderes Mädchen.
Einen Monat später gehen wir auf eine Party bei einem Freund von mir, der in einem Vorort wohnt.
Auf der Anreise erzählt sie mir, sie hätte erfahren, dass ich in meinem Freundeskreis erzählen würde, sie hätte, beeinflusst durch den Freund ihrer Schwester, eine Hinwendung zu einer pessimistischen Lebenseinstellung vollzogen und ich würde mir Sorgen über diese Entwicklung machen.
Ich bin beschämt über meine Schwatzhaftigkeit. Ich hatte mit meinem Freund Hans Schuster über sie gesprochen und diese Bedenken zum Ausdruck gebracht. Fides hat schon vor Wochen von diesem Gespräch erfahren. Sie hat meine Schwatzhaftigkeit als Kränkung empfunden.
Ich muss anerkennen, dass sie sich großzügig verhalten hat und sich trotz dieser Kränkung mit mir getroffen hat.
Sie teilt mir mit, dass sie denkt, dass ich vor allem ihr Äußeres mögen würde, nicht aber ihr inneres Wesen.
Sie wirft mir vor oberflächlich und kleinlich zu sein.
Als Beweis führt sie meine Schwatzhaftigkeit und mein voreiliges Urteil über den Freund ihrer Schwester an.
Ich hatte ihren Freund Udo als jemand geschildert, der
nur den naturwissenschaftlich geschulten Intellektuellen gelten lässt und den ganzen Rest der Menschheit und ganz besonders alle Geisteswissenschaftler verachtet.
Fides erzählt, dass sie sich zu einer pessimistischen Einstellung stark hingezogen fühlt. Sie glaubt, dass jedes Nachdenken über das menschliche Leben, zwangsläufig zu einer pessimistischen Einstellung führen muss und leitet davon ab, dass die nachdenklichen Menschen, die sind, die pessimistisch über das Leben denken und die, die eine optimistische Einstellung zum Leben haben, eben die sind, die nicht nachdenken.
Sie führt Schriftsteller wie Sartre oder Camus für eine pessimistische Grundeinstellung an. Sie führt aus: „In einer Welt in der so Abscheulichkeiten, wie die Ermordung der Juden durch uns Deutsche oder die Ermordung von Frauen und Kindern durch die Amerikaner in Vietnam passieren, ist eine optimistische Einstellung zum Leben purer Provinzialismus“.
Mir unterstellt sie eine Einstellung nach der sich letztlich doch alles zum Guten wendet. Diese Einstellung hält sie für naiv und durch die Entwicklung der Menschheit wiederlegt.
Am Ende schwächt sie ihre Aussage über den Provinzialismus, den sie mir unterstellt etwas ab, indem sie sich selbst auch der Oberflächlichkeit bezichtigt.
Sie sagt von sich, sie wäre viel zu phlegmatisch, um gründlich über intellektuelle Dinge nachzudenken.
Der Vorwurf des Provinzlers trifft mich hart. Ich versuche mit allerlei Argumenten zu parieren. Merke aber selbst, dass diese Argumente nicht stechen.
Als ich davon spreche, dass Pessimismus ein Zustand ist, der überwunden werden muss und letztlich zur Reife führt, bittet sie mich aufzuhören. Sie könne so einen Quatsch nicht ertragen.
Ich bin sehr berührt von der Ernsthaftigkeit Ihre Ausführungen. Ich hatte mich in unserer Beziehung als den Intellektuellen und sie als die Schöne gesehen.
Mir wird aber klar, dass ich in dieser Diskussion der Verlierer war.
Auf der Party ist sie arrogant zu meinen Provinzler Freunden.
Meine Zuneigung zu ihr wächst wieder. Die Erkenntnis, dass sie ihre Einstellung zum Leben so trefflich und knapp begründet hat, flößt mir Respekt ein.
Fides mag keine Weltanschaulichen Gespräche. Wir führen keine Gespräche zu diesem Thema mehr. Sie hat Ihre Einstellung begründet. Jede weitere Diskussion zu diesem Thema ist überflüssig. Mich wurmt das. Ich bin unsicher und schwanke, je nach Lektüre, in meinen Ansichten.
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