Körner werden auch von Hühnern gegessen. Auf dem Bauernhof mit den paar Kühen und den paar Schweinen bekommen die Hühner sogar die besten Körner, die ein Huhn sich nur wünschen würde, wenn es Wünsche hätte. Und weil es den ganzen Tag im Boden nach Käfern und Würmern scharren darf, fehlt es dem Huhn im Grunde an nichts. Abends müssen die Hühner in den Hühnerstall, der dann vom Bauern verschlossen wird, damit der Fuchs oder der Iltis oder sonst ein Hühnerräuber den armen Hühnern keine Angst machen kann. Irgendwann fällt so ein Huhn nach einem langen glücklichen Leben um oder landet im Suppentopf, wenn es vorher nicht doch der Fuchs geholt hat, weil der Bauer mal vergessen hat, den Hühnerstall zu schließen.
Wenn man zu diesem Bauernhof möchte, um vielleicht ein Ei zu kaufen oder Milch von glücklichen Kühen, dann muss man zuerst zu der kleinen Stadt in der Nähe. Und dann die zweite Straße links, immer geradeaus. An der Ecke findet man auch den Metzger, der sich netterweise der Schweine von unserem Bauernhof annimmt, um ihnen den Speck zu nehmen.
Das Leben hier auf dem Land ist so normal, so beschaulich, dass es bereits nicht mehr normal ist. Hier laufen Hunde herum die noch nicht mal bellen, und alte Omas können sich lange Zeit lassen beim Überqueren der Hauptstraße. Die einzigen Fahrzeuge, die hier gelegentlich die Ruhe stören, sind der Trecker von Bauer Hein und seiner Frau Gerda und der Wagen vom Metzger. Gut, ganz ruhig und still ist es hier auch nicht. Gelegentlich fährt der Schulbus durch die Straßen und spuckt ein paar lärmende Kinder aus. Die sieht man dann eine ganze Zeit nicht mehr, bis sie irgendwann am Nachmittag anfangen, auf den Straßen und den Feldern zu spielen.
Bauer Hein versorgt auch die meisten Leute des Dorfes mit frischer Milch und Schweinespeck. Die paar Eier, die seine Hühner geben, die braucht er meist selbst. Hein liebt Spiegelei mit Speck. Spiegelei mit Speck ist seine allerliebste Frühstücksspeise. Seine Gerda ist aber auch eine wahre Könnerin, wenn es um das Braten von Spiegelei mit Speck geht. Dazu noch eine Scheibe Schwarzbrot aus dem Getreide vom Nachbarhof, 5 km entfernt, etwas Butter aus der Milch von Heins Kühen, und der Tag kann kommen.
Nur ein Hahn fehlt auf Heins Hof. Hein hatte schon oft überlegt, einen Hahn für seine Hennen zu besorgen. Man sagt ja, dass Hühner glücklicher sind und mehr Eier legen, wenn ein Hahn sich um sie kümmert. Aber irgendwie ist es bei dem Darüber-Nachdenken geblieben. Und solange sich kein Huhn beschwert…
Hein und Gerda sind jetzt schon lange ein Paar. Damals hatte Hein mit seiner Gerda sozusagen den Vogel abgeschossen. Und weil das ganze Dorf auf dem Schützenfest dabei war, als er seine Gerda zum ersten mal küsste, bekam ein Jeder glückliche Augen, wenn er sich an diese romantischen Momente erinnerte.
Jetzt hört man schon mal die Gerda mit ihrem Hein schimpfen. Aber das eher selten, denn der Hof der beiden liegt ja recht weit draußen, außerhalb des Dorfes hinter dem kleinen Wäldchen. Und würde man nicht wissen, dass da hinten der Bauernhof liegt, man käme nie auf die Idee, die zweite Straße links an der Ecke mit dem Metzger abzubiegen.
Wenn man es jedoch trotzdem tut, kommt man nach ein paar Minuten zu einem Hoftor, das, da es eigentlich nur ein Torbogen ist, ohne Tor (wozu auch, hier wüsste man nicht wen man aussperren sollte) den Blick freigibt auf einen typischen Bauernhofinnenhof, der auf der einen Seite die Stallungen hat, geradeaus die Scheune und auf der anderen Seite das Wohnhaus. Hinter der Scheune stinkt der Misthaufen, auf dem untypischerweise kein Hahn kräht. Den Grund hierfür kennen wir ja schon.
Wer genau hinsieht, bemerkt jedoch die Gardinchen an den Fenstern des Hühnerstalls, oder dass er nicht schmutzig ist, wie normalerweise Hühnerställe zu sein pflegen. Auch benehmen sich die Hühner recht seltsam. Für all das kennen wir den Grund jedoch noch nicht.
Vor der Tür zum Wohnhaus liegt Kurt, der alte Hofhund, und wenn man das Haus betritt, fällt der Blick auf die Treppe, die steil nach oben in die erste Etage führt. Direkt rechts von der Haustür befindet sich die Tür zur Küche, aus der es verführerisch nach gebratenem Speck duftet.
Nichts deutet in dieser friedlichen Idylle darauf hin (abgesehen von den Gardinchen und dem fehlenden Hühnerdreck), was hier vor einiger Zeit Seltsames passiert ist.
Hein, Gerda und Schokolade
In der Küche am Herd stand Gerda. Gerda war fast einen ganzen Kopf größer als ihr Mann, dafür aber auch mindestens doppelt so schwer wie er.
Also, Gerda stand da, wie jeden Morgen, am Herd und wartete auf die Eier, die Hein aus dem Hühnerstall holte, eben auch wie jeden Morgen.
„Moin, moin, mein kleiner Schmetterling“. Die Tür zur Küche wurde langsam geöffnet und Heins roter Kopf schob sich langsam durch den Türspalt.
Nun sind Schmetterlinge für gewöhnlich zarte leichte Wesen, die einen mit ihrer Anmut verzaubern. Gerda war allerdings weder leicht noch anmutig.
Es weiß ja ein jeder, dass sich Dinge schon mal ändern. Als Hein seine Gerda voller Liebe zum Traualtar führte und heiratete, da wog sie etwa so viel wie die Ferkelchen in Bauer Heins Stall.
Bauer Hein liebte seine Ferkelchen und er liebte seine Gerda.
Und weil Hein seine Ferkelchen so sehr lieb hatte, gab er ihnen jeden Tag das Leckerste zu essen, das Schweine sich so vorstellen können.
Und weil Hein seine Gerda so sehr lieb hatte, schenkte er ihr oft Sachen, die sie besonders gerne mochte. Schokolade, Limonade, Pralinen und auch gute fette Wurst aus eigener Produktion, also auch schon mal ein Schweinchen.
Und mit jedem Schwein das Bauer Hein für seine Gerda schlachtete um daraus für sie Wurst zu machen, wurde sein Schmetterling eben immer ein Stückchen breiter.
Aber das hatte Bauer Hein gar nicht bemerkt. Er ist eben nicht der Schnellmerker, der Hein. Oder es ist ihm egal, weil er seine Gerda eben lieb hat, so wie sie eben nun mal gerade ist.
„Du, Gerda!“ Hein schaute seinen Schmetterling liebevoll an. „Du, die Hertha hat wieder kein Ei gelegt und die anderen Hühner legen auch immer weniger. Aber das kann uns doch egal sein, solange es für uns reicht!“
Gerda nahm Hein den Korb mit den Eiern ab und besah sich den Inhalt abschätzend. „Wenn deine blöden Hühner keine Eier mehr legen, dann kommen sie eben in die Suppe. Dann sind sie wenigstens noch für etwas gut.“
Jaja, manchmal konnte Gerda auch ganz schön hart sein und sich gar nicht benehmen wie ein Schmetterling.
Hein liebte aber nicht nur seine Ferkelchen und Gerda, sondern auch seine Hühner. „Neenee, lass mal, die legen doch noch genug Eier. Und die Hertha hat gerade eben mal ihre Menopause. Das wird schon wieder.“
Heins Kopf wurde jetzt noch roter. Seine Augen schauten jetzt etwas ängstlich. Schlurfend setzte er sich an den Frühstückstisch und wartete auf sein allmorgendliches Spiegelei mit gebratenem Speck.
Es musste eine Lösung her. Unbedingt, sonst müsste er seine geliebten Hühner zu Suppenhuhn verarbeiten. Und wenn er es nicht machte, dann würde es Gerda tun.
An diesem Morgen gab es kein Spiegelei. „Wenn deine Hühner keine Eier legen, gibt es auch kein Frühstücksei. Also, guck, dass neue Hühner rankommen und schlachte die alten!“, sagte Gerda böse, und ließ damit keinen Zweifel aufkommen, dass sie es ernst meinte.
Ein Tag später - Hühnerfrikassee ?
„Moin, moin, mein kleiner Schmetterling.“ Die Tür zur Küche wurde langsam geöffnet und Heins roter Kopf schob sich langsam durch den Türspalt.
Schweigend reichte Hein seinem Schmetterling den Korb mit den Eiern. Er sagte nicht, dass es wieder 2 Eier weniger waren als am Tag zuvor.
Als Hein vor einer halben Stunde in den Hühnerstall ging um die Eier aus den Nestern zu holen, waren da nur Eier im Nest von Lisa, Rebecca, Josephine und Helmuth.
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