Dutzende Überstunden verbrachte Jack damit, eine Spur des Virus zu finden. Seine Beziehung zu seiner Freundin Kathy ging in dieser Zeit in die Brüche, aber er hatte Erfolg. Jack war völlig fassungslos, als sich Stephen als Erfinder des Virus entpuppte.
Fünf Wochen nach Stephens Verhaftung erhielt Jack die schicksalhafte Nachricht. Er hatte gerade sein Büro betreten, als das Telefon klingelte.
„Jack? Hier ist Luther.“ Luther McNeill war der Anwalt , den Jack für Stephen besorgt hatte.
„Luther. Was gibt es denn? Haben Sie was Neues von Stephen gehört?“
„Nun, ich weiß nicht, wie ich es am besten sagen soll. Ich erhielt vor ein paar Minuten einen Anruf aus dem Staatsgefängnis in Orange County. Man hat dort Stephen in seiner Zelle gefunden. Er hat sich erhängt.“
Jacks Körper wurde vollkommen gefühllos. Die nächsten Tage und Wochen erlebte er wie durch eine Nebelwolke. Er organisierte zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit eine Beerdigung, da nur ein paar Wochen zuvor ihre Mutter an einem Tumor verstorben war. Und immer wieder hämmerte eine Frage in seinem Schädel.
Warum hast du nicht besser auf Stephen aufgepasst?
Eine Frage, die er nie mehr in seinem Leben würde endgültig beantworten können.
Vor der F-14 schwand das Tageslicht. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont versunken, als sie Europa erreichten. Ein heller Vollmond ging auf und hing weiß in der arktischen, klaren Luft.
Endlich erspähte Jack den Umriss von Land.
„Ist das die norwegische Küste?“, fragte Jack.
„So ist es“, antwortete der Pilot.
Als die F-14 mit der Nase nach unten ging, hatte Jack für einen kurzen Augenblick das Gefühl absoluter Schwerelosigkeit. Sie waren innerhalb kürzester Zeit über neunhundert Meter gesunken. Jack schaute auf das mondbeschienene Land herunter und entdeckte eine schneebedeckte Landschaft. In einiger Entfernung sah er die ersten Umrisse des Militärstützpunktes.
Starke Turbulenzen schüttelten die Tomcat bei ihrem Anflug auf den Stützpunkt in Narvik. Jack hörte, wie das Fahrwerk der F-14 ausfuhr und mit einem knackenden Geräusch einrastete. Jedoch konnte er noch keine Landebahn entdecken. Während der Pilot die rüttelnde Maschine unter Kontrolle zu halten versuchte, sah Jack plötzlich eine Reihe von Blinklichtern auftauchen, die eine nicht unbedingt vertrauenserweckende, vereiste Landebahn anzeigten.
„Sie wollen doch nicht etwa auf dieser Eisbahn landen?“
Ohne eine Antwort zu geben, manövrierte der Pilot die F-14 mit äußerster Konzentration durch die Turbulenzen. Jack spürte ein heftiges Aufbäumen seiner Eingeweide, als der Pilot Schub wegnahm und direkt auf die Landebahn zusteuerte. Die sich immer noch heftig wehrende Maschine glitt zusehends tiefer und Jack hatte große Befürchtungen, jemals wieder Boden unter den Füßen zu spüren. In diesem Augenblick setzte die Maschine auf.
Die Schubumkehr der Triebwerke brüllte auf und die F-14 wurde rapide langsamer. Ein paar hundert Meter weiter rollte die Maschine aus.
Jack blickte nach draußen und versuchte ein paar Einzelheiten des Stützpunktes zu erkennen, jedoch ohne Erfolg. Rechts sah er nur weites, flaches Land mit schneebedecktem Boden, links die Silhouette der Stützpunktgebäude.
Aus der Ferne hörte er ein Motorengeräusch näher kommen. Der Ton wurde deutlicher und Jack erkannte, dass sich ihnen ein Militärjeep näherte.
Schlitternd kam das Fahrzeug neben der F-14 zum Stehen. Die Tür schwang auf und ein in Uniform gekleideter Soldat stieg aus. Der Mann signalisierte dem Piloten, das Kabinendach zu öffnen.
Der Pilot folgte der Weisung und ein eisiger Windhauch fuhr ins Cockpit und ließ Jack bis ins Mark frösteln.
„Mister Reilly?“, rief der Soldat Jack zu. „Herzlich willkommen auf dem Militärstützpunkt in Narvik.“
Jack zitterte, als er dem Mann dankend zunickte.
„Lösen Sie bitte den Gurt und legen den Helm ins Cockpit. Sie werden bereits erwartet.“
Im Weißen Haus
Rachel Anderson hatte sich in Gegenwart von Nathan Spencer bisher immer sehr wohl gefühlt. Zum ersten Mal, seit sie den Präsidenten kannte, war dies nicht der Fall.
Spencer saß zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch und taxierte Rachel mit festem Blick.
„Wie ich schon sagte, war mein Besuch in Camp David rein privater Natur. Ein alter Freund rief mich in einer für ihn etwas heiklen Angelegenheit an und bat mich um ein Treffen.“
„Und du hast natürlich nichts Besseres zu tun, als dich mit diesem Freund zu treffen. Wer ist es überhaupt?“
Spencer blickte Rachel ärgerlich an. „Erstens wüsste ich nicht, was es dich angeht und zweitens würde ich gerne wissen, wer dir das Recht gibt, so mit mir zu reden?“
„Es ist ja nicht nur dein überstürzter Ausflug nach Camp David, der mir Sorgen bereitet.“
„Ach nein? Was denn sonst noch?“
„Ich habe gehört, dass eine F-14 dort gewartet haben soll. Wohin musste denn dein unheimlicher Besucher so dringend, dass du ihm eine Maschine zur Verfügung gestellt hast? Außerdem habe ich in Erfahrung gebracht, dass eine Einheit der Marines auf unseren Stützpunkt in Narvik verlegt wurde. Denkst du immer noch, dass du mir keine Erklärung schuldig bist?“
Präsident Spencer sah Rachel durchdringend an.
„Woher weißt du das alles?“
Der aggressive Tonfall machte Rachel hellhörig.
„Dann steckt also mehr dahinter?“
„Hör zu, Rachel. Es sind ein paar Dinge passiert, die eine bestimmte Art Entscheidung erforderten. Diese Entscheidungen habe ich heute Morgen mit einem alten Freund getroffen.“
„Und du hältst es nicht für erforderlich, mich über die näheren Umstände aufzuklären? Vielleicht hättest du, wenn du schon niemanden ins Vertrauen ziehen willst, etwas diskreter vorgehen sollen. Aber immerhin hat deine nächtliche Aktion so viel Staub aufgewirbelt, dass mich Bob Roberts heute Morgen mit diesen Informationen konfrontiert hat.“ Rachel blickte den Präsidenten herausfordernd an.
„Bob Roberts hat dich darauf aufmerksam gemacht?“ Rachel erkannte, dass Spencers Stimme einen nervösen Tonfall angenommen hatte. In kurzen Worten berichtete sie von dem Telefonat, das sie vor ein paar Stunden mit dem Reporter geführt hatte.
„Du weißt“, fuhr Rachel fort, „dass Bob immer sehr ausgewogen über deine Politik berichtet hat. Wenn wir ihm jetzt nicht ein paar Informationen zukommen lassen, wird er selber anfangen nachzuforschen. Und ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass er über genügend gute Kontakte verfügt, um etwas herauszufinden. Ich bitte dich nochmals, Nathan. Sag mir, was passiert ist. Dann können wir gemeinsam nach einer Lösung suchen.“
Rachel war um Spencers Tisch herumgegangen und legte dem Präsidenten freundschaftlich eine Hand auf die linke Schulter.
Nathan Spencer atmete tief durch, bevor er sich erhob und zu einem der großen Panoramafenster ging.
„Vielleicht hast du recht, Rachel.“
Rachel atmete erleichtert auf, wusste aber gleichzeitig, dass ihr die nächsten Worte des Präsidenten nicht unbedingt gefallen würden.
Nathan Spencer ging zu einem Wandsafe, der hinter einem Gemälde von Albrecht Dürer versteckt war, gab den Zahlencode ein und öffnete das Metallgehäuse. Er nahm einen braunen Hefter heraus und legte ihn vor Rachel auf den Schreibtisch.
„Dies sind Unterlagen über eine geheime Militärbasis, die wir im europäischen Nordmeer betreiben. Nach dem letzten Irakkrieg war mein Vorgänger der Ansicht, dass wir vermehrt auch einen Blick auf die Ölquellen in Europa haben sollten. Aus diesem Grund richtete er eine Basis auf einer stillgelegten Plattform im Europäischen Nordmeer ein.“
„Aber wir haben doch bereits in Narvik einen Stützpunkt. Warum wurde in unmittelbarer Nähe eine weitere Basis errichtet?“
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