Ein alter Mann, der abseits allein saß, dem Aussehen nach der Dorfschmied, mischte sich mit grobem und rechthaberischem Gebaren in das Gespräch. Er erklärte, dass in seinen Augen jeder, der noch an Gespenster glaubte, ein ausgemachte Dummkopf und Pinkel sei. Man sollte nur den Knecht fragen, der jetzt mit seinem liederlichen Weibsbilde im Hause wohne; der werde Bescheid wissen. Man brauche nur manchmal ein wenig Petroleum in das Viehfutter zu gießen, so könne man das ganze Vieh zugrunde richten. Der Knecht habe sich eine billige Wohnung verschaffen wollen; das sei ihm gelungen… Früher – das sei sicher – habe sich allerdings verschiedenes Gespensterzeug auf der Welt herumgetrieben. Noch zu seines Großvaters Zeiten sei oft um Mitternacht von Strehlen herüber ein Feuermann gekommen; seitdem aber der Papst Gregor das Gesindel in den Bann getan, lasse sich kein Unding, kein graues Männel, kein dreibeiniger Hase, kein Hund mit feurigen Augen, kein Feuermann und kein Drache mehr blicken.
Die Unterhaltung wurde fesselnder, und ich hätte gern noch lange zugehört; doch ein junger, blau geschürzter Mensch kam und gebot uns knurrend, ihm zu folgen. Wir erhoben uns sogleich, waren ihm jedoch nicht schnell genug. Von der Tür aus rief er uns unwirsch zu: seinetwegen könnten wir noch sitzen bleiben und nachher im Straßengraben schlafen. Wir folgten ihm in den Pferdestall.
Gruselige Geschichten hatte ich von jeher gern erzählen gehört, und wenn auch mein Gespensterglaube schon von allerlei Zweifeln und Erwägungen zernagt war, besaß er doch in seinem Kerne noch immer die alte Zaubergewalt. Er ängstigte mich manchmal in finsteren Nachstunden, so dass ich im Bette nicht zu atmen, mich nicht zu rühren wagte; er lähmte mir oft den Fuß, wenn ich nachts auf Wegen gehen musste, die mir nicht geheuer erschienen; er zwang mich manchmal auch am lichten Tage, scheu umher zu blicken und die Schritte zu beschleunigen, wenn ich über gewisse, von Buschwerk umwucherte Grenzgräben schreiten musste, die das Feldgebiet des Dorfes von den Feldern eines andern Dorfes schieden. Einige Male wollte es meinem Erkenntnisdrange beinah gelingen, die Herrschaft zu gewinnen über die beklemmende Furcht, über das seelenlähmende Grauen vor einem unfassbar Unbekannten. Mit Gebetbuch und Rosenkranz bewehrt, forderte ich dann die Grenzgespenster gebieterisch und tapfer zum Kampfe heraus. Um sie zur Rache aufzureizen und ihr Erscheinen gewaltsam zu erzwingen, verfluchte und verspottete ich sie und beschwor sie gar zuletzt in Gottes und Beelzebubs Namen; dabei zitterten mir aber jedes Mal die Glieder in Todesangst – und sicher wäre ich vor Schrecken umgekommen, wenn sich mir wirklich eines der Gespenster zum Kampfe gestellt hätte. Hinterher war ich mir dann nie im Klaren, ob es in Wahrheit keine Gespenster gebe, oder ob am Ende nur der Rosenkranz und das Gebetsbuch ihr Erscheinen gehindert. So ist mein Wissensdurst ungestillt geblieben.
Die Geschichte von dem verhexten Hause, die wir in der Gaststube vernommen, beschäftigte nun stark meinen Geist, und hauptsächlich aus dem Grunde, weil sich in meinem Heimatsdorfe auch ein verlassenes Haus befand, dessen Bewohner einst durch ein Gespenst vertrieben worden. Ich erzählte diese Begebenheit, als wir im Stahl auf der Streu lagen, kam jedoch nicht weit, da meine Kameraden schon nach wenigen Minuten schnarchten. Mein Ärger über diese grobe Missachtung einer spannenden Gespenstergeschichte war nur von kurze Dauer; auch meine Seele kam bald durch Schlaf zum Schweigen. Traumlos, wunschlos verharrte ich, wie tot, bis zum andern Morgen.
Am andern Morgen wurden wir zeitig geweckt durch das Geräusch, das der Pferdeknecht beim Füttern und Putzen der Pferde verursachte. Wir standen auf, wuschen an der Pumpe im Hofe unsere Gesichter und waren schnell fertig. Die Luft ging kalt und mich fror; das goldene Morgenrot aber entzündete in meinem Gemüt das Feuer einer goldenen Zuversicht.
Doch bald empfing das morgenfrohe Herz eine betrübende Lehre – die Lehre, dass ein Handwerksbursch sich seinen Stecken aus der Hecke schneiden, aber keinen zierlichen Spazierstock mit auf die Reise nehmen soll. Mein kunstvoll gearbeitetes Stöckchen, das ich mit Hilfe eines mir befreundeten Bildhauerlehrlings aus verschiedenartigen seltenen Hölzern gefertigt hatte, war zur Nachtzeit in fremden Besitz übergegangen. Wahrscheinlich hatte der Pferdeknecht Gefallen daran gefunden. Ich erinnerte mich, dass er am Abend den Stock begehrlich betrachtet hatte. Vergebens suchte und fragte ich nach dem hübschen Kunstwerke, das mir lieb und teuer war, und als ich meinen Verdacht äußerte, wurde der Mensch entsetzlich grob. Er nannte uns „dreckiges Bettelpack“, pfiff nach den Hunden und drohte, uns die Kläffer auf den Hals zu hetzen. Da keine Aussicht vorhanden schien, den Stock wieder zu erlangen, gingen wir fort, ohne uns mit dem Kerl in einen Kampf eingelassen zu haben. Meine Morgenfreude war erloschen.
Nach mehrstündigem Wandern erstand ich in einem Wirtshaus ein reichliches Frühstück aus Brot, Butter und Salz. Mir war nämlich die Kriegskasse anvertraut worden, weil ich die tiefste Hosentasche besaß. Hinter dem Dorfe suchten wir am Wegrande ein Halbwegs trockenes Plätzchen, frühstückten und ließen uns von der Frühsonne bescheinen. Johann meinte, es sei eine Schande, dass wir uns Brot kauften. Wir seien gar keine richtigen Handwerksburschen. Franz und ich geben ihm Recht, und aus dieser Erkenntnis heraus beschlossen wir, in der nächsten Ortschaft zu fechten.
Stolz und siegesgewiss, wie kühne Helden, marschierten wir alsbald auf das bedrohte Dorf los. Mit roten Ziegeldächern, weißen Mauern, schwarzen Scheuntoren und einem hohen Kirchturm sah es unserer Ankunft entgegen. Da die Häuser massiv gebaut waren, nahmen wir an, dass sie von wohlhabenden Menschen bewohnt seien, und dass wir auf reiche Beute zu rechnen hätten. Am Eingange des Dorfes spielte eine Schar Kinder um einen schon halb zerschmolzenen Schneemann; auch Erwachsenen begegneten wir, doch schenkten sie uns keine Beachtung. Nur ein zottiger Hund, dem ein Knüppel um den Hals gebunden war, schien zu ahnen, was dem Dorfe bevorstand; mit rasender Wut bellte er auf uns ein.
„Jetzt fechte, Julius! Du musst anfangen!“
„Warum denn ich? Gehen wir doch alle zusammen in ein Haus!“
„Du bist wohl verrückt? Hast Du schon gesehen, dass drei Handwerksburschen auf einmal in ein Haus fechten gehen?“
„So geh Du zuerst!“
„Der Jüngste fängt an! Mach’ keene Faxen und schieb los!“
Johann stieß mich auf ein Gehöft zu. Ich sträubte mich und bat, das Fechten bis zum nächsten Dorfe aufzuschieben, da jetzt, am frühen Vormittag, noch kein Mensch einen Handwerksburschen erwarte. Aber er blieb unerbittlich, wurde rau, schimpfte und drohte. Es sei schon acht oder gar neun; ich sollt nicht so blödsinnig sein und sagen, zu Fechten wäre es zu früh. Wenn ich nicht wollte, verlange er den auf ihn fallenden dritten Teil des Geldes und gehe allein weiter – ohne uns. Mit solchen Schlappschwänzen, wie wir, mache ihm das Wandern keinen Spaß.
Bei Streitigkeiten zwischen Johann und mir nahm Franz immer die Partei meines Gegners, weil dieser der Stärkere war. So zeigte er mir auch jetzt eine feindliche Miene, obgleich er ebenfalls gescholten wurde. An Johannes Gunst war ihm viel gelegen; an der meinigen weniger. Wenn Johann den Vorschlag gemacht hätte, mich zu verstoßen, wäre Franz ohne Zaudern dazu bereit gewesen. Ich war mir der ständigen Gefahr bewusst, in der ich mich befand, und um die Eintracht zu erhalten, überwand ich oft meinen trotzigen Unmut, gab nach und befestigte durch gütliches Zureden immer aufs Neue das gelockerte Verhältnis. Sie waren ja doch beide, wenn sie sich in guter Laune befanden, recht gute Menschen, und wenn sie auch unterwegs nichts vom Dichten wissen wollten so gab’s doch immer recht unterhaltende Plaudereien. Des Friedens wegen ließ ich auch diesmal locker und zeige mich bereit, im nächsten Bauerhase zu fechten.
Читать дальше