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Das Buch des Dornenkönigs Yareth
von Caelen aep Ban-Caervael
Die Sammlung verlorener Schriften der Aensidhe
Vorwort
Auf meiner Suche nach verloren geglaubten Schriften der Völker des Alten Blutes war ich vor einigen Jahren in der Gestalt der Schreiberin Leandea auch ins verborgene Reich der letzten Waldelfen gekommen. Die reinblütigen Elfenrassen waren eine der letzten, die mein wahres Wesen erkannten und ehrten. Sie wussten, dass ich nicht nur in der Gestalt der Erdgöttin Gaea auftrat, sondern jegliche Lebensform annehmen konnte.
Caelen, seinerzeit Kämmerer des Locthars Yareth aep Ban-Caervael, legte mir höchstpersönlich sein selbsterfasstes Werk in die Hände. Er hatte die schmerzvollen Ereignisse niedergeschrieben, als sein geliebter Herrscher von einer zweiten Seele besessen worden war und zum Spielball eines vergessenen Gottes wurde. In schlaflosen Nächten erzählte ihm der Dornenkönig sein Leid und Caelen bannte diese Worte auf Pergamentrollen. Dieses Skript liegt nun neben mir auf dem Tisch und ich fertige davon eine Abschrift, um diese Kapitel in meiner Razer-Chronik unterzubringen - da sie die einzige Quelle waren, in der die Jugend des letzten großartigen Eiswolfes geschrieben steht. (Der Vollständigkeit halber lasse ich keines der Kapitel weg, auch wenn nur in zwei Teilen Razer persönlich erscheint. Denn der, der nach Wissen sucht, soll ruhig mehr über die Vergangenheit der Königreiche und die Dinge, die im Verborgenen geschehen sind, erfahren.)
Eines sei noch erwähnt: So wie mein uralter Erzfeind Therein in die Geschickte von Yareth eingriff, so habe auch ich hier meine Finger im Spiel des Lebens gehabt.
Den sexuellen Drang, den die Heilerin Vyctorea mit dem Soldaten Lancelt verspürte - diesen Impuls gab ich ihr ein. Obgleich Zauberinnen und Magier steril waren, schenkte ich dieser magisch begabten zierlichen Frau diese Gabe, auch wenn sie darüber weniger erfreut schien. Wie sonst erklärt sich, dass sie den süßen kleinen Jungen einsam seinem Schicksal überlassen hatte? Na ja, ich darf über ihre Beweggründe nicht richten, ich habe selbst mein eigenes Kind der Bruderschaft überantwortet.
Doch gab es ein kleines Geheimnis um den wahren Vater von Razer: er war nicht nur ein kleiner Hauptmann in einer Armee, die eine Reichsgrenze sichern musste und dabei sein Leben ließ, er wurde in der besagten Nacht, als Razer gezeugt wurde, vom Gott Daen beherrscht und so floss göttliches Blut in den Jungen, wie seinerzeit es auch bei Caladir geschehen war. Hatte ich bei meinem eigenen Sohn versagt, so wollte ich mir weiterhin einen Helden erschaffen, der in dieser Welt einzigartig sein sollte.
Handelte ich aus Eigennutz oder strebte ich höhere Ziele an? Und so mancher Schachzug von mir, mag in anderen Augen grausam und niederträchtig erscheinen.
Archivarin Leandea, Kloster der Gaea in Erryander
spätes Frühjahr 1252 n. G. D.
I Der Schrein des vergessenen Gottes
Die Menschen erhoben sich über das weite Land, teilten es in unterschiedliche Königreiche und setzten gekrönte grausame Herrscher auf protzige Throne. Auf den Ruinen der einst prächtigen Elfenstädten entstanden neue Siedlungen voller Trubel, Abfall und Lasterhaftigkeit. Irgendwo focht immer irgendwer Krieg gegen seinen Nachbarn und der Skrupelloseste ging meist als Sieger einher.
Irgendwann kehrten die meisten Elfen in die Städte zurück. Ausgezerrt von ihrem Stolz und Edelmut sperrte man sie in Ghettos. Behandelte man die einst erhabenen Aensidhe wie herrenlose Hunde, denen man in einer urinverseuchten Gasse einen Fußtritt verpasste. Die Spitzohren wurden geduldet, manche Menschen vermischten sich sogar mit ihnen und das einst machtvolle Alte Blut verdünnte sich immer weiter.
Vieles geriet in Vergessenheit oder wurde nur noch in romantischen Liedern fehlinterpretiert. Tausend Jahre gingen ins Land, in denen die Dekadenz der Menschen auf alles einen verschlingenden Schatten warf, dass einst voller anmutiger Magie gewesen war. Selbst die langlebigsten Wesen vergaßen irgendwann und vergingen unbemerkt.
Herzog Roderick war ein kleiner Mann mit breiten Muskeln, das ihm eher das Aussehen eines zu großgeratenen Zwergs verlieh. Sein buschiger, graumelierter Vollbart tat sein übriges. Er herrschte über das kleine Land Castros, das nördlich des Tawardorn - dem Dryadenwald - lag und seine vorwitzige Spitze ins Meer hinein streckte. Weil er nicht sonderlich beeindruckend aussah und nur ein kleines Reich besaß, hatte sich das Herz des Herzogs zu einem grausamen Tyrannen gewandelt, der seine autonome Macht gerne an den Schwachen und Armen seines Landes ausließ.
Roderick neigte zu harten Strafen für schon kleinste Vergehen und er war dem Weiberschoß in jeglicher Form zugetan. So kam es, dass seine Leibgarde auf einer Jagd nahe dem Tawardorn eine vermeintliche Dryade einfingen, die sich jedoch als blonde Elfin herausstellte.
Indrail war schwerverletzt und ohne Gedächtnis von den Waldnymphen gefunden und geheilt worden. Eines Tages verlor sie den Anschluss an ihre Jagdtruppe und irrte drei Tage durstend durch den Wald, bevor sie hinausfand und unerwartet zur Jagdbeute des Herzogs von Castros wurde. Da Indrail aber eine magere, blonde Schönheit war und Roderick ein besonderes Faible für Elfinnen hatte, nahm er die verwirrte Frau mit sich in die Hauptstadt.
Eine Zeitlang wurde die Elfin zu seiner Bettgespielin, bis sie schwanger wurde und Roderick allmählich das Interesse an ihr verlor.
Man schrieb inzwischen das Jahr 1.109 n. G. D., als der Herzog von Castros wieder einmal mit einer speichelleckenden Gesellschaft für einige Tage zur Jagd ritt, wanderte Indrail, die kurz vor ihrer Niederkunft stand, suchend durch die weiten Flure der Regentenburg in Aedd-Castros. Die Elfin wusste nicht, was sie antrieb und wonach sie überhaupt suchte, aber der innere Zwang die Schritte immer schneller werden zu lassen, konnte sie nicht abschütteln.
Der Nachmittag war vorangeschritten und neigte sich dem Abend zu. Einige höfliche Dienerinnen hatten die Hochschwangere angehalten und nach ihren Wünschen befragt. Aber Indrail hatte sie abgeschüttelt, Unverständliches auf elfisch gemurmelt.
Plötzlich durchstach sie ein rasender Schmerz im Bauch, der so unerwartet und heftig war, dass sie strauchelte. Zu allem Unglück stand sie oberhalb einer steinernen Treppe, verfehlte eine Stufe und stürzte hinab. Die Elfin wollte sich noch mit den Händen abfangen, doch ihr zartes Handgelenk brach unter der harten Steinkante. Ihr feingliedriger, hochgewachsener Körper überschlug sich mehrmals und sie rollte schreiend die Stufen hinab. Wimmernd blieb sie am Fuße auf den kalten Steinfließen liegen.
Vom Ende des Flurs hatte ein Wachsoldat ihren Sturz bemerkt und eilte bereits herbei. Indrail hielt sich den Unterleib, aller Schmerz schien sich in ihrem Innern auf ihr Kind zu konzentrieren. "Mein Baby", rief sie verzweifelt und der Soldat rannte Hilfe holend den Korridor zurück.
Nach kurzer Zeit eilten Diener herbei und eine Hofdame ließ nach dem Zauberer und einer Heilerin rufen. Sie trugen die Elfin in ihr Gemach - einem kleinen Zimmer in der Burgkemenate von Rodericks achtköpfigem Harem. Äußerlich konnten nur Prellungen, Abschürfungen und ein gebrochenes Handgelenk diagnostiziert werden. Der stets griesgrämige Hofzauberer Dermund und die junge Brünette Heilerin Alisan aus der Stadt kümmerten sich bald um die jammernde Frau.
"Das Kind lebt noch und sie hat keine inneren Blutungen", maulte der Zauberer und wusch sich die bleichen Hände in einer Schüssel. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die andersartigen Frauen seines Königs missachtete. "Jetzt wo ihr da seid, Frau Alisan, könnt ihr euch um sie kümmern."
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