Der Wind hier oben auf der Klippe wehte stark, Zip und Zap konnten sich kaum auf ihren kleinen, gelben Füßen halten und sie mußten ständig mit den Flügeln balancieren, um nicht einfach umzukippen und davongeweht zu werden. Und es war ein starker Westwind, der ihnen schon auf dem Weg von Brion zur Küste zu schaffen gemacht hatte und stetig stärker geworden war. „Das wird heute nichts, Zip!“
Nach einigen Tagen hatte sich der Wind gelegt, ein Hochdruckgebiet breitete sich aus und brachte endlich den erforderlichen Ostwind. Sie hatten sich ein wenig mit einer Sturmmöwe angefreundet, die es von der fernen, fernen Ostsee hierher verschlagen hatte und die nicht so recht mit den einheimischen Möwen klarkam, hausten ihrer doch Tausende und Abertausende in den Klippen von Kap Finsterre. „Leute, nun müsst ihr aber los“, sagte die Möwe, nachdem sich Zip und Zap fast eine Woche lang unter ihrem Schutz auf den Klippen aufgehalten hatten, unterbrochen von kurzen Flügen ins Inland auf der immer erfolgreichen Suche nach etwas Eßbarem, spanische Frühlingswürmer, ein paar vergessene Weizenkörner, jede Menge Weißbrotkrümel von den Tischen der vielen kleinen Cafés in den Dörfern rings um das Kap.
„Den Wind ausnutzen und geht so hoch wie möglich!“ Zip und Zap machten sich startklar, überprüften noch einmal ihre Ausrüstung, zogen die Schnallen ihrer Rücksäcke nach und auf ging’s. Der Ostwind griff unter ihre Flügel und sie stiegen höher und höher. Das Kap verschwand im Licht der aufgehenden Sonne. War da gestern Abend ein Zögern, ein wenig Angst in Zips Stimme gewesen? „Zap, sollen wir wirklich? Wer weiß, was uns erwartet?“ „Ach, Zip, hör auf, das haben wir doch schon hundertmal besprochen. Wir ziehen das jetzt eben durch!“ Zap war nach wie vor zuversichtlich, besonders nach dem gelungenen Flug über die südliche Biskaya. „Hab nur keine Angst, Zip, wir schaffen das schon, wir sind Spatzen, wir haben vor nichts Angst!“ – und nach einer Pause: „Und wie würden wir wohl dastehen, wenn wir auf die Geest zurückkehren? Amerika? Haben wir leider nicht geschafft, wir hatten Angst. Nee, Zip da wartet ein wunderbares Abenteuer auf uns!“
Der große Teich und eine Azore
Sie flogen Stunde um Stunde vor dem Wind, mit dem Wind, die Sonne wanderte langsam nach Süden. Rundherum um sie war nur Blau. Der blaue Ozean, die blaue Luft und mitten drin die weiß-gelbe Sonne. Der Ostwind hatte sie hoch und höher getragen. Es gab keinen Horizont mehr. Wie hatte Südhalbkugel gesagt? „Du kannst dich gar nicht verirren, Zap, astronomische Navigation ist ganz einfach: Also, wenn du im Frühling auf der Nordhalbkugel nach Westen fliegst, dann kulminiert die Sonne im Süden, ist doch klar? Das heißt“, fügte er hinzu , „die Sonne kulminiert immer im Süden, das gilt aber nur für die Nordhalbkugel..!. “ „Ja“, hatte Zap geantwortet, „das ist klar!“ „Das bedeutet also …“ Der Albatros hatte sich nachdenklich mit der linken Flügelspitze am Kopf gekratzt, während er den kleinen Zap in seinem rechten Flügel hielt. „Das bedeutet also, wenn die Sonne morgens im Osten aufgeht, was sie ja immer macht, mußt du sie dir im Rücken halten bis so gegen 9 Uhr, so ein bißchen schräg im Rücken hinter der linken Flügelspitze bis mittags, um Mittag steht die Sonne dann genau im Süden und du mußt eben so fliegen, dass du langsam immer mehr auf sie zuhältst. Und am Abend, wenn sie untergeht, muß sie genau vor dir stehen, und so bist du dann, mehr oder weniger genau, nach Westen geflogen. Mit so einigen kleinen Schlenkern um die Kurslinie. Genauso hat Kolumbus das gemacht und meine Vorväter sowieso schon vor Abertausendjahren.“ Zap erinnerte sich an jedes Wort und er änderte den Kurs entsprechend dem Stand der Sonne. „Was machen wir eigentlich, wenn die Sonne mal nicht scheint?“ fragte Zip. Gute Frage und Zap antwortete erst gar nicht. Es war kälter geworden, sie waren eben schon sehr hoch, außerdem hatte er Hunger. Und es war während des Fluges sehr schwierig, nein, unmöglich, an den Reiseproviant im Rucksack zu gelangen. An ein paar fette Insekten in dieser Höhe war auch nicht zu denken. Auch Zip begann, ein wenig zu frieren. Nach einer Weile sagte Zap: „Ich glaube, so hoch war noch nie ein Spatz.“ Wenn er das eine Auge etwas zukniff, vermeinte er, schon die Rundung der Erde erkennen zu können. Sie waren in der Tat schon sehr, sehr hoch, die Luft wurde langsam dünner und Zip bemerkte, wie sich Eis an ihren Flügelspitzen bildete. Sie spürten allerdings nicht, daß der Wind immer stärker wurde und daß sie mit weit über 100 Stundenkilometern, dem Spatzenjetstream, - oder english correct „the sparrows jetstream“ - nach Westen rasten.
Die Sonne beeilte sich, in ihr kühles Nachtlager im Atlantik zu entrinnen, was man ja auch verstehen kann, glüh’ mal den ganzen Tag, da freut man sich doch auf das nächtlich kühle Bett …! Langsam versank sie im Westen, der Himmel erglühte in einem furiosen Feuerwerk aus allen nur denkbaren Rot-, Blau- und Violetttönen. Der eisiger wehende Wind und unsere kleinen, mutigen Spatzen mitten drin, nicht im Entferntesten ahnend, worauf sie sich eingelassen hatten. Es wurde Nacht, Zip und Zap flogen ganz eng aneinander gedrängt, Zaps Nase triefte schon und Zip zitterte vor Kälte. Irgendwie nahmen sie kaum noch wahr, was um sie herum geschah. Mit einem Mal, gegen Morgen, es wurde im Osten schon ganz zaghaft heller, sahen sie im noch dunklen Westen den Sternenhimmel in seiner ganzen Pracht. Die hohen Schleierwolken hatten sich verzogen. Es wurde stiller, ganz hoch im Himmel zog ein Flugzeug seine Bahn, unter ihnen war nur die Schwärze des nächtlichen Wassers, nur eben geahnt.
Sie waren ein wenig müde, aber eigentlich nur gewohnheitsmäßig, hatte der starke Ostwind ihnen doch die meiste Arbeit abgenommen. Es wurde Tag, die Sonne ging hinter ihnen in aller Pracht auf und sie sahen den riesigen Ozean unter sich. Weit und breit kein Land, keine Insel, und ihnen wurde jetzt zum ersten Mal bang ums Herz. Der Wind hatte nachgelassen und sie verloren langsam an Höhe. Sie mussten immer mehr Flügelarbeit leisten, um Höhe zu halten. Sie flogen noch mühsam, sehr, sehr mühsam einige Stunden weiter nach Westen. Sie waren nun schon mehr als 20 Stunden in der Luft, ein einsamer Rekord für Spatzen.
„Zap, Zap, ich kann nicht mehr, ich muß mich ausruhen.“ „Ruhig, nur ruhig, Zip!“
Zap war gar nicht wohl ums Herz. Weit und breit kein Landeplatz, nur Wasser, unendlich viel Wasser. Was jetzt? Sie flogen weiter, was hätten sie auch tun sollen? Im Wasser landen? Dafür sind Spatzen nicht konstruiert, sie halten es im Wasser nicht lange aus.
Das Spatzengefieder ist nicht so wohlgefettet wie bei einer Ente oder gar einer Möwe, von einem Albatros ganz zu schweigen, der tagelang bramsig auf dem salzigen Wasser sitzen, und dabei sogar tief und fest schlafen kann - zumindest in haifreien Wassern. Nein, sie würden nach wenigen Minuten elendig absaufen! Und schließlich waren sie ja keine Wasservögel, das hätten sie sich auch verbeten! Was also tun? Sie wurden müder und müder, das Wasser kam näher, spiegelglattes Wasser, spiegelglatte See, das würde eine Glaswasserlandung
werden …!
Im letzten, wirklich im allerletzten Moment erspähte Zip ein Brett, ein Holzbrett, was sonst, schwimmt vielleicht ein Steinbrett oder eine Eisenstange? Nein, ein dickes Brett, ein wunderschönes, ausgebleichtes Stück Holz, vielleicht schon seit 100 Jahren im Wasser treibend…! „ZAAAAAAAPPPPP, hiiiiiieeeeerheeeer, hierher!!!“ Zip flog eine Steilkurve und landete punktgenau auf dem Holz. Zap war noch zu schnell, schoß etwas über das Ziel hinaus und landete, pardon, wasserte mit einem lauten PLATSCH im Ozean. Ein paar kräftige Züge und er erklomm das Treibholz. „Was für ein Glück, Zip!“ Zap setzte sich, stützte sich mit einem Flügel ab, erschöpft und glücklich, einen trockenen Landeplatz gefunden zu haben! Zip holte ein paar Körner und getrocknete Mückenlarven aus ihrem Rucksack hervor. Sie aßen und fielen alsbald in einen tiefen festen Schlaf voller süßer Träume, das leise Schwanken des Holzes wiegte sie sanft. Nach einigen Stunden erwachte Zip, es war etwas dunkler geworden und ein wenig Wind war aufgekommen. Das glatte Wasser kräuselte sich. Eine riesige Portugiesische Galeere trieb ganz dicht unter der Wasseroberfläche vorbei, ihre Tentakel streiften um das Stückchen Treibholz, welches für Zip und Zap eine sichere Insel war. Zip stieß Zap in die Seite! Zap war sofort hellwach: „Paß auf, Zip, keine Flügelspitze und keinen Schnabel ins Wasser, jetzt wird’s gefährlich!“ Zap erinnerte sich ganz, ganz genau an Südhalbkugels Worte…. „und hüte dich vor den Portugiesischen Galeeren, das sind ganz fürchterlich gefährliche, giftige Quallen. Der Kopf ist nur 30 Zentimeter lang, aber die giftigen Tentakel können bis zu 50 Meter lang werden. Das Biest ist hochgiftig, sogar, wenn sie gar nicht mehr lebt, fast so giftig wie eine Kobraschlange!!!!“ „Was ist eine Schlagge?“ hatte Zap gefragt. „Gott, du weißt nicht mal was eine Schlange ist?“ Vater Gustav polterte: „Spatz, Zap, Schlange, kennst du doch, unsere Kreuzottern und Rimngelnattern, das sind Schlangen!“ „Klar, Kreuzottern sind Schlaggen, jetzt weiß ich’s!“ hatte Zap gesagt.
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