Zip und Zap hüpften auf die Mitte des Treibholzes und verhielten sich ganz still. Sie ließen die Galeere vorbeitreiben, majestätisch, vom nächtens leuchtenden Plankton umgeben.
Die Sonne stand nun schon ganz tief über dem Horizont und hohe rosa Zirruswolken kündeten vom nächsten Wetter auf dem riesigen, riesigen Teich. „He, Zap, aufwachen!“ Zap erwachte und rieb sich mit seinen Flügelspitzen die Augen. Im ersten Moment wußte er gar nicht wo er war. „Abendbrot!“ rief Zip. Sie hatte einiges aus ihrem Rucksack ausgepackt: köstliche Weizenkörner, noch einen Rest im Rucksack plattgedrückte Schweinekartoffeln von der Geest und einen Schluck Spatzenbräu für jeden. Sie aßen und irgendwann sagte Zip: „Und jetzt Zap, was machen wir jetzt?“
„Ist doch klar, Zip, morgen fliegen wir weiter, was meinst du denn?“ Sie kuschelten sich aneinander und waren alsbald von dem sich in der aufkommenden Dünung sanft wiegenden Holzbrett in einen tiefen, traumlosen Schlaf geschaukelt. Zip wachte irgendwann auf und sah blaugrün leuchtendes Plankton um das Brett herumschwimmen, sie zupfte Zap an der Flügelspitze: „Schau mal, Zap, was ist das?“ Fasziniert betrachteten die beiden das Schauspiel. Myriaden von kleinen, winzigen, leuchtenden, das Sternenlicht reflektierenden Planktons ( Planktonten, ein Liter Seewasser kann mehr als 500 Millionen(!) Planktonlebewesen enthalten. ), soweit das Auge reichte, es wimmelte von Leben. Hier draußen im weiten Atlantik, fernab von jeder künstlichen Lichtquelle erschien das Licht der Sterne hell, heller als Tausend Straßenlaternen. Das Plankton widerspiegelte dieses Licht, und es war eine Einheit zwischen den Lebewesen im Wasser des Ozeans und dem ewigen Licht der Sterne. Die Freude zu leben, übertrug sich auf unsere beiden Reisenden, wenn sie sich nicht sowieso schon jede Minute ihres Daseins freuten. Im Wasser waren allerlei Fische zu sehen, in deren großen, schönen Augen (Ja, hat überhaupt mal jemand Fischaugen betrachtet - außer auf dem Teller? Wie sie durch das Wasser und darüber hinaus in den Himmel blicken, klar und voller Lebensfreude?) sich das Leuchten des Planktons spiegelte und die sich neugierig durch die Massen leuchtender Kleinsttiere hindurchbewegten, was diese noch mehr zum Leuchten brachte.
Ganz benommen von dem Anblick, den sie stundenlang genossen, schliefen sie wieder ein, dicht aneinander gedrängt.
Der Morgen kam und mit ihm der Wind und der Seegang. Das Wasser platschte über das Holz und riß unsere beiden Spatzen aus ihrem Schlummer. Sie richteten sich auf dem schwankenden Brett auf, reckten die Flügel und hoben ab. Die See steilte sich schon etwas auf, überall waren Schaumkronen zu sehen. Zap brauchte eine Weile, um sich zu orientieren, also wieder nach Westen. Die Sonne war schon drei, vier Flügelbreiten über dem Horizont. Der Wind wehte ihnen entgegen und sie ritten auf ihm immer höher und höher.
„Laaaand, Land in Sicht!“ Zip war ganz aufgeregt. Und tatsächlich, eben an Backbord ( Backbord ist links ) war eine große Insel zu sehen. Wie konnte das sein? Doch, das hatte Südhalbkugel ja gesagt: „Da sind Inseln, viele Inseln, dort kannst du dich ausruhen.“ Land, eine Insel. Zaps heimliche, ganz heimliche, kleine, aufkeimende und vor Zip sorgfältig durch strotzenden, trotzenden Optimismus verborgene Verzweifelung fiel von ihm ab wie Staub, den ein Spatz aus den Flügeln schüttelt. Land! Sie hatten es geschafft. Was war das nun für ein Land, dort vorne unter ihnen, schräg an Backbord? ( Backbord ist LINKS!!!! ) Na klar, na sicher, na selbstverständlich: die Azoren oder zumindest eine Azore, wenn auch nur eine kleine, aber immerhin, Land, eine Insel, eine AZORE. Mal gerade 800 Meilen von Kap Finisterre entfernt, eine Entfernung, die selbst der faulste Spatz in 20 Stunden schaffen kann. Mit dem nötigen Rückenwind natürlich. Der faulste Spatz? Mit stolzgeschwellter Brust flog Zap voran. Doch dauerte es noch, bis sie endlich auf Graciosa landeten. Der aufkommende Westwind machte ihnen arg zu schaffen. Graciosa, eine der kleinsten und nördlichsten Inseln der Azoren, mehr hügelig als gebirgig.
Sie landeten elegant mitten auf der Plaza von Santa Cruz, der Hauptstadt - eigentlich dem Hauptdorf - der Insel. Wie nicht anders zu erwarten, fanden sie sich sogleich in einem ganzen Pulk von Spatzen, Stadtspatzen allerdings, wieder. „Maisch ficasch musch maisch, moito bem, bamosch ou Bao Baopappaschtapp“, sagte ein unglaublich dicker Spatz zu ihnen. Oder es klang zumindest so - Zip und Zap verstanden nichts, rein gar nichts! Egal, sie waren froh, endlich wieder festen, steinernen Boden unter ihren kleinen Spatzenfüßen zu haben.
Es war ein Zwitschern und Tschilpen, ein Schieben und Drücken, ein sich Umarmen, ein Lärmen und einfach eine große Freude, wieder unter ihresgleichen zu sein, wenngleich es durch die Bank Stadtspatzen waren und so dauerte es auch nicht lange, bis sie auffielen.
„Hej, de donde basch?“ zwitscherte sie eine unglaublich dicke Spätzin an. ( Die waren hier alle ordentlich beleibt. ) Sie trug eng um den Kopf ein schwarzes Tuch, welches unter dem Schnabel festgeknotet war. „Was seid ihr denn für welche?“ „Wir sind Zip und Zap aus Deutschland und wir sind auf dem Weg nach Amerika!“
„Oh, dann habt ihr ja noch ein Stück Wegs vor euch, mein Name ist übrigens Maria da Luz Gomez, ich bin hier die Chefin. Herzlich willkommen in Santa Cruz!“ Eigentlich sagte sie: „BIENVENUDOSCH EN SANTA CRUSCH.“ Aber das ist eben einer der unglaublichen Vorteile des Spatzseins, spatz ( man ) versteht fast alle Sprachen, nicht immer auf Anhieb und spatz muß schon mal nachfragen und genauer hinhören … aber! Und sie ergriff Zaps Flügelspitze und schüttelte sie kräftig. „Ihr habt doch sicher Hunger!“ Sie drängte einige Spatzen beiseite, die sich um einen Pizzarest stritten. „Hier, erst mal eine kleine Stärkung für euch.“ Respektvoll machten die anderen Spatzen Platz.
Zip und Zap genossen den festen Boden unter ihren filigranen Füßen. Zip konnte gar nicht genug Staubbäder nehmen. Maria da Luz Gomez lud die beiden zu sich nach Hause ein: „Vamusch, kommt mit zu mir, da habt ihr einen schönen Platz zum Schlafen.“ Maria da Luz flog erstaunlich wendig und behende für ihre doch äußerst üppige Taille, Figur. Zip und Zap folgten ihr. Sie überflogen den schönen, malerischen Ort, eng aneinander gedrängte, kleine Häuser in bunten Farben bemalt, mit Tonziegeldächern und großen Balkons auf der Südseite. Überall hing Wäsche auf den kreuz und quer gespannten Leinen. Auf den Brüstungen der Balkons lehnten meist schwarz gekleidete Frauen, die ihre Haare unter ebenfalls schwarzen Kopftüchern verborgen hatten und schwatzten miteinander. Auf den Straßen vor den bunten Häusern saßen alte Männer, zu zweit, zu dritt, manche spielten Karten, rauchten, tranken aus dickwandigen, blauen Tassen starken Kaffee oder hauptsächlich Vino Verde dos Acores aus kleinen Gläsern und hingen ihrer verflogenen Jugend nach. Maria landete elegant auf einem Erker eines dunkelblau gestrichenen Hauses. Durch eine Lücke zwischen zwei verschobenen Dachziegeln kletterten sie in das überraschend geräumige Nest: Sieben junge Spatzen hockten darin und rissen hungrig ihre Schnäbel auf. Zip und Zap wunderten sich, daß Maria da Luz Gomez so ganz ohne Leckerlies für ihre lärmende Brut heimgeflogen war. Maria bemerkte Zips kritischen Blick: „Oh, keine Sorge, heute ist mein Mann dran, Joao, er müßte eigentlich gleich wiederkommen.“
Kaum hatte sie das gesagt, als mit schwerem Poltern ein mit einem prallen Rucksack beladener kräftiger Spatz das Nest betrat. „Boa tarde“, keuchte er ganz außer Atem. „Boa tarde, queridusch“ (sollte QUERIDO, Geliebter heißen), antwortete Maria da Luz und half ihrem Mann, den schweren Rucksack abzunehmen. Erst jetzt sah er die beiden Besucher. Maria stellte sie vor. „Schipp und Schapp, Alemaosch, auf der Reise nach Amerika“ (Zip und Zap, Allemagnes).
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