Maria packte die Tasche aus, allerlei Köstlichkeiten, die sie sogleich an die hungrigen Mäuler verteilte: Fliegen, Mückenlarven, ein paar Zip und Zap unbekannte Körner, etliche noch zappelnde Kaulquappen, einen großen flügelvoll Glibber oder Froschguppel, kleine Krabbenfüße, ein paar braune Bohnen, Kuchenreste, Brotrinden, zwei dicke, fette, sich windende Würmer, die Mutter Maria da Luz Gomez sogleich in sieben fast gleiche Stücke teilte und sofort an die Jungspatzenbande verfütterte, die sie, ohne zu kauen, herunterschlangen. Es dauerte keine drei Minuten und der Inhalt der großen Tasche war verfüttert. Joao hatte sich den Schweiß von Stirn und Schnabel gewischt, seine Frau hatte ihm einen großen Fingerhut Vino Verde gebracht. Jetzt erst hatte Joao Zeit, den Besuch näher zu betrachten. „So, nach Amerika wollt ihr, nur zu, nur zu. Ich wollte als junger Mann auch mal nach Amerika, habe es aber nie geschafft.“
Er nahm seine dicke Maria in den Flügel, mit dem anderen prostete er unseren beiden Abenteurern zu: „Aber ihr habt ja gar nichts zu trinken!“ Maria hüpfte zu ihrem großen, flügelgeschnitzten Vorratsschrank, holte eine Flasche Vino Verde dos Acores hervor sowie drei Fingerhüte mit filigran gearbeiteten Henkeln und schenkte ein. „Saludosch und bienvenudosch.“ Später tischte Maria etwas Wurstpelle, marinierte Mückenlarven und zwei große, getrocknete Hummeln und eine fette, in Fischsaft eingelegte Heuschrecke auf, dazu gab es reichlich Brotkrümel und -in Mengen - den besagten Vino Verde dos Acores. Es wurde ein schöner, lustiger Abend. Joao erzählte von seinen Flügen über die Inseln, von seiner Arbeit als Vorsitzender des örtlichen Spatzenvereins und von den jährlich zwei- bis dreimal fünf bis sieben Nachwuchsspatzen, die er und Maria, sich täglich ablösend, bestens versorgten. Zip und Zap erzählten von ihrer langen Reise von der Geest bis nach Santa Cruz. „Nun“, sagte Joao, „die Strecke zum Festland zu meiner Familie nach Lissabon und zurück habe ich schon ein paar Mal gemacht, das ist nicht das Ding, aber weiter nach Westen, oh, oh, da müßt ihr euch aber anstrengen!“ Zip und Zap bekamen einen kuscheligen Schlafplatz in dem großen Vier-Zimmer-Nest zugewiesen und schliefen auch alsbald ein. Eine ruhige Nacht, nur unterbrochen von Joaos polterigen Einflügen und dem hungrigen Getschilpe seines Nachwuchses. Tatsächlich mussten Tag und Nacht Versorgungsflüge unternommen werden. Was für ein Job!
Island-Hopping 1 - also Insel-Hüpfen
Zip und Zap waren schon etliche Tage, wenn nicht gar schon zwei Wochen bei Joao und Maria da Luz Gomez und ihrer lärmenden Brut. Sie hatten schon ein klein wenig schlechtes Gewissen, weil sie dem reizenden Paar auf der Tasche lagen - obwohl man das kaum einem diebischen, frechen Spatzen zutrauen mag -, aber: Auch Spatzen haben ihren Stolz! Und außerdem wurden ihnen die abendlichen Vino-Verde-dos-Acores-Gelage langsam zuviel. An einem Montagmorgen verabschiedeten sie sich. Sie wollten einfach die Umgebung erkunden und einen Tagestrip nach Süden unternehmen. Maria umflügelte Zip: „Paß auf dich auf und kommt auf dem Rückweg wieder vorbei.“ Joao war wieder auf Futterbeschaffungstour und ließ herzlich grüßen. Zip und Zap winkten der schon wieder mit weit geöffneten Schnäbeln im Jungennest hockenden Brut zu und schoben sich durch die Lücke zwischen den beiden Ziegeln. Ein strahlender Morgen, laue Luft, blauer Himmel und up and away. Richtung Westen. Sie wollten gerade abheben, als Joao, schwer beladen, einflog:
„He, Leute, wo wollt ihr hin? Ich habe uns einen wunderbaren Verde mitgebracht …“ „Nein, danke“, sagte Zap, „wir wollen einen Ausflug machen, nach Süden, so wie du gesagt hast!“ Joao hatte es ihnen genau erklärt: „Also abheben von Santa Cruz ( er hatte natürlich SCHANTA CRUSZCH gesagt ) und direkt nach Süden, wenn ihr morgens fliegt, also die Sonne links, wenn ihr mittags fliegt, die Sonne voraus.“
„Joao“, sagte Zap, „ Joao, vielen Dank für alles, aber wir müssen los, wir kommen auch nicht zurück, vielleicht auf der Rückreise von Amerika, aber jetzt wollen wir wirklich los!“
„Na gut“, Joao umflügelte Zap, „aber ihr müßt mir einen Gefallen tun: Hier ist eine Flasche Vino Verde dos Acores (vin..verd dosch aschoresch) , die bringt ihr meinem Bruder Joaquin, der wohnt auf der Insel Flores ( er sagte Floresch ) ganz nahe bei dem Dorf Faja Grande ( er sagte Faisch Graau ). Der wird sich freuen. Und ihr müßt ja ohnehin noch irgendwo Rast machen, bevor ihr über den großen, den schrecklich großen Teich fliegt … Ihr seid wirklich mutige Spatzen!“ Sie umarmten, pardon, umflügelten Maria und Joao und bedankten sich für die liebevolle Aufnahme. Maria da Luz Gomez verdrückte eine Träne und rieb sich die Augen mit der Flügelspitze: „Paßt auf euch auf Kinder, und laßt mal was von euch hören!“ „Ganz bestimmt, ganz bestimmt tun wir das“, sagte Zap. Er verstaute die Weinflasche sorgfältig in seinem Rucksack, ein letzter Blick auch auf die ewig hungrig die Schnäbel der Nestdecke entgegenstreckende Brut.
Ein stiller Tag und es waren mal gerade knapp 40 Kilometer bis zur Insel Sao Jorge, ein Klacks für unsere beiden Weltenbummler, zumal eine kleine Nordbrise sie auf ihren Schwingen gen Süden trug. Kaum waren sie über Santa Cruz aufgestiegen und hatten einige Hundert Meter an Höhe gewonnen, sahen sie im Sonnenglast bereits die blaugrün schimmernden Berge von Sao Jorge. Keine 20 Minuten Flug und sie landeten an der Nordküste der Insel. Sao Jorge, eine grüne, bergige Insel. Nach einer kurzen Verschnaufpause, die jäh von einer böse blickenden, dicken Möwe unterbrochen wurde, die ihren großen, gelben Schnabel, in dem das gubbelige Innere einer sich windenden Muschel hing, drohend in Richtung unserer beiden kleinen Reisenden erhob und ein klickerndes Meckern aus dem zugekniffenen Schnabel ertönen ließ, waren die beiden wieder in der Luft. Ein jäher Aufwind trug sie ganz schnell nach oben bis über den Krater des Pico de Esperanca, des Gipfels der Hoffnung, und dann in einem Abwind an die Südküste. Dort landeten sie, hoch überm Meer, auf den Klippen, für einen kurzen Imbiß. „Irgendwie nichts los hier, Zip, laß uns weiter nach Süden!“ „Okay“, sagte Zap und schwang sich in die Luft. Wieder übers Meer, aber nur sehr kurz, sie konnten schon die nächste Insel sehen, Faial, mal gerade eine halbe Flugstunde entfernt. Sie steuerten den schon von weitem zu sehenden Cabeco gordo, den Dicken Kopf an. Es dauerte keine 20 Minuten und sie landeten mit dem Wind, ungeschickt und sich überschlagend in einem riesigen Hortensienfeld. Blumen eben. Es gab weder Larven noch Würmer, keine Mücken und keine Libellen. Irgendein Schweinestall war auch nicht in der Nähe und Komposthaufen gab es schon gar nicht. Südhalbkugel hatte recht gehabt, es war etwas karg für Spatzen! Es war ein Tag wie nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Froschfett und nicht Dampfkartoffel aus dem Schweinetrog. Es fiel ihnen auf, daß kaum andere Vögel in der Luft waren, irgendwie war es hier vogellos! Ab und zu eine einsame Möwe, keine Krähe, kein Rabe, Spatzen schon gar nicht, aber sicherlich auch kein Sperber! Es war ihnen etwas unheimlich zumute. Sie setzten sich unter einen der Hortensienbüsche, Zip packte etwas Proviant aus: „Jetzt sag mir mal, Zap, was das nun soll, ich dachte, wir wollten nach Amerika, und jetzt fliegen wir hier herum, ohne Ziel und Plan, so geht das nicht!“ Zip reckte energisch ihren zierlichen Schnabel in die Luft. Zap mochte nun gar nicht sein leises Unbehagen vor dem Ritt über den großen Teich, den wirklich großen Teich, zugeben. Seine kleinen, großen Zweifel. Sie könnten doch auch hier bleiben, in Santa Cruz vielleicht, eine Familie gründen und ein Nest bauen. Und irgendwann mal mit einer Westwetterlage wieder zurück fliegen?!
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