Genug.
Das Hologramm Caravaggios erlosch, als Rickman den Raum verließ.
Der Multimilliardär betrat wieder sein Büro und wies den Computer an, eine Karte des Museumsgeländes auf einer der Wandflächen zu zeigen. Augenblicklich erschien eine farbige 3D-Graphik, die aus der Vogelperspektive eine kreisrunde, offensichtlich künstlich angelegte Insel im Meer zeigte, die langsam um ihr Zentrum rotierte. Der eingeblendete Maßstab zeigte an, dass ihr Durchmesser etwa 600 Meter betrug.
Auf der Insel standen sechs Gebäude, die in leicht rötlicher Einfärbung von den anderen abgehoben waren. Eines, mit der Grundrissform eines lateinischen Kreuzes, brachte es auf stattliche 153 Meter Länge, ein zweites, mit verschachteltem Grundriss, stand ihm hierin deutlich nach. Drei weitere hatten hingegen nur die Ausmaße von Wohnhäusern, während ein weiteres, wieder etwas größer, von zwei Nebengebäuden flankiert wurde.
Bläulich eingefärbt waren das Verwaltungsgebäude mit dem angebauten Trakt der technischen Labors, das Wohnhaus des Personals, Hotel, Restaurant, Souvenirshop, Werkstätten und einige Lagerhäuser, die etwas abseits lagen.
Der Hubschrauberlandeplatz und die beiden Terminals mit den Landungsstegen am Ufer waren grün gekennzeichnet.
In fahlem Gelb stellte die Grafik die unterirdischen Anlagen dar, welche viele Stockwerke in den Meeresboden hinabreichten und die unglaublichen technischen Möglichkeiten des Museums erahnen ließen, über die bald weltweit Staunen herrschen würde.
Rickmans Blick verweilte zufrieden auf der Darstellung, dann sagte er mit leicht erhobener Stimme: „Die Cheops startklar machen. Wir fliegen nach Usedom.“
Die akustischen Sensoren des im Raum integrierten Computersystems erfassten seine Äußerung in Sekundenbruchteilen. Der Rechner erkannte sie als Befehl und gab sofort die entsprechenden Anweisungen. Fast augenblicklich erschien mitten im Raum ein Hologramm in Gestalt einer jungen, sehr attraktiven, schwarzhaarigen Asiatin und gab mit angenehm modulierter, leicht gutturaler Stimme die Bestätigung: „Die Cheops ist startklar, Sir. Die Flugzeit wird drei Stunden und 16 Minuten betragen.“
Die Startklar-Meldung war im Grunde überflüssig. Die Cheops war rund um die Uhr startklar. Dafür sorgten drei Pilotenteams, die sich alle acht Stunden abwechselten, ebenso wie ein halbes Dutzend Techniker und Servicepersonal.
Während Rickman mit dem Aufzug nach oben zum Hangar fuhr, liefen die Triebwerke einer fantastischen Maschine an - die der Cheops.
Sie war ein von ihm weitgehend selbst entwickelter Prototyp und mit der Bezeichnung „Flugzeug“ - oder in Rickmans Diktion „Flugschiff“ - nur unzureichend beschrieben. Sie war in vielerlei Hinsicht einzigartig. Kein Staat der Erde wäre finanziell und technisch in der Lage gewesen, ein solches Fluggerät zu bauen. Die Cheops konnte sogar Ausflüge bis in die Höhe der Van-Allen-Gürtel unternehmen und dabei deren Strahlung trotzen oder als U-Boot den Druck in Tiefen noch jenseits von 10.000 Metern standhalten.
Als sich die Lifttür öffnete, sah Rickman das mattschwarze Ungetüm vor sich. Obgleich - zumindest offiziell - ohne Bewaffnung, machte sie einen furchteinflößenden Eindruck und ihre Hülle aus Titan und speziellen Legierungen, die einer Panzerung gleichkam, hätte dem Bombardement modernster Kampfjets mühelos widerstehen können.
Sie glich einem riesigen, gleichseitigen Dreieck, das sich an einer Seite wie das gefräßige Maul eines Urzeittieres zur Mitte hin aufwölbte und dort die Triebwerke barg. Die Außenkanten schienen von weitem von beängstigender Schärfe zu sein, in Wirklichkeit jedoch immer noch gut einen Meter stark. Die Seitenlängen lagen bei jeweils 120 Metern, die Höhe bei beachtlichen 27 Metern. Die Oberfläche war nicht glatt, wie man auf den ersten Blick meinen konnte, sondern facettiert wie ein unregelmäßig geschliffener Brillant.
Captain Janette de St.Fleur sah Rickman über die unsichtbar integrierten Außenkameras kommen, denn selbst das Cockpit war ohne Fenster. Ihre Crew hatte längst die Plätze eingenommen. Fast alle trugen schwarze, elegant geschnittene Overalls mit einem goldenen, gleichseitigen Dreieck auf der rechten Brustseite. Der berühmte italienische Modeschöpfer Gianlorenzo Albertinelli hatte die Uniformen exklusiv für die Cheops-Besatzung entworfen. Eine weiße Lederkombination mit schwarzem Dreieck war dem jeweiligen Kommandanten vorbehalten.
Den Amerikanern hatte Rickman über seine unerschöpflichen Verbindungen, die in alle Kreise der Politik, des Militärs und der Geheimdienste reichten, die neusten Entwicklungen der Stealth-Technologie abgekauft und in das Konzept seines Flugschiffs integriert. In vielen Fällen flog die Cheops daher außerhalb der Erfassbarkeit durch Radar oder auch durch das menschliche Auge, denn durch eine neuartige Lackierung auf der Grundlage von Carbonyl-Eisen-Ferrit und einer zusätzlichen Plasmaschicht, die es ermöglichte, die Farbe der Hülle beliebig zu wechseln und dem jeweiligen Hintergrund anzugleichen, konnte sie sich auch optisch nahezu unsichtbar machen.
Die Cheops war auf der ganzen Welt bekannt und wo immer sie bei Starts oder Landungen kurz im sichtbaren Bereich auftauchte, verrenkten sich die Leute die Hälse, um sie für Sekunden zu bestaunen, bevor sie in den Wolken oder am Boden in speziellen Hangars verschwand, die auf den großen Flughäfen der Welt eigens für sie gebaut worden waren. Natürlich wurden die zuständigen Behörden über die meisten Flüge der Cheops informiert, denn entlang ihrer Routen gab es stets vermehrt Meldungen über angebliche UFO-Sichtungen - die aufgeregten Anrufer wurden von den offiziellen Stellen jedoch nur nachsichtig über ihren Irrtum aufgeklärt.
Die meisten Menschen kannten die inzwischen legendäre Maschine aus vielen Dokumentarsendungen des Fernsehens oder aus dem Internet. Sie war der Star in Comics und Zeichentrickfilmen und fast jedes Kind hatte ein 3D-Modell oder ein Hologramm von ihr im Zimmer und träumte davon, einmal mit ihr zu fliegen oder sie gar als Pilot selbst zu steuern. Allerdings war das Kommando über die Cheops weniger romantisch und abenteuerlich, als viele es sich vorstellten, denn die meisten Vorgänge wurden von einem Autopiloten erledigt. Ein Triebwerksschub von mehr als 500 kN wäre von einem Menschen allein nicht mehr zu beherrschen gewesen. Die genaue Art der manuellen Steuerung blieb jedoch Rickmans Geheimnis – nicht das einzige der Cheops. Speziell entwickelte, computergesteuerte Andruckabsorber sorgten für das Wohlbefinden der Passagiere auch bei extremen Beschleunigungen und Geschwindigkeiten weit über der Mach-Grenze. Wie weit darüber, wussten nur Rickman und einige Techniker von Rimania City.
Sie war nicht nur ein technisches Wunder - sie war auch sein zweites Zuhause. Ohne jemandem zu begegnen, suchte Rickman seinen privaten Raum an Bord auf. Hier erinnerte nichts daran, dass man sich in einem Flugschiff befand. Der großzügig bemessene, hohe Raum mit seiner hölzernen Kassettendecke war mit dunklen Mahagonimöbeln und Bücherregalen ausgestattet, auf denen erlesene Kunstwerke und wertvolle Antiquitäten, darunter ein Fernrohr aus dem Besitz von Galilei, standen. An der Wand hingen einige zauberhaft leichte Pastell-Skizzen von Degas. Eine Gruppe heller Lederfauteuils versank geradezu in dem dicken Teppich, der jedes Geräusch angenehm dämpfte. Gegen den Maschinenlärm waren alle Räume ohnehin absolut schalldicht isoliert. Man hätte meinen können, sich auf einem abgelegenen englischen Landsitz zu befinden. Wenn Rickman es gewollt hätte, würden die Wandbildschirme sogar die Illusion von großen Fenstern erzeugen, die den Ausblick in eine weite, sonnige Parklandschaft freigaben.
Die Medienbibliothek des Schiffes konnte nahezu alle je gedrehten Kinofilme auf Zuruf abspielen sowie Millionen Musikstücke jeglichen Genres. Sie verfügte über ein umfassendes Archiv mit Hunderttausenden von Fernsehsendungen weltweit und konnte auf alle jemals digitalisierten Bücher oder Schriftstücke zugreifen und diese sogar akustisch präsentieren.
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