Klaus Ulaszewski
Selbstverständlich Pistolen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Klaus Ulaszewski Selbstverständlich Pistolen Dieses ebook wurde erstellt bei
1 Der Auftrag
2 Klackklack
3 Musketiere
4 Essen, Trinken, Lächeln
5 Doch, ¡cómo no!
6 Hügelberg
7 Girl Called Alex
8 Die Sache
9 Walnuss
10 Tüte Heringspflöcke
11 Wolfgang
12 Harter Tobak
13 Kulissen
14 Dr. Midas
15 Grazien
16 Jetzt
17 Refugium
18 Bugwellen
19 Wow
20 Stift und Papier
21 Jeden Morgen
22 Zimmerkalt
23 Ein herrlicher Wagen
24 Elefanten
25 Beim dritten Mal
26 Argos
27 Glückten
28 Nachrichten
29 Junge Stare
30 Sommersprossen
31 Fallobst
32 Totenstille
Impressum neobooks
Ein heißer Sommermorgen also markiert den Beginn dieses ebenso unvermeidbaren wie auch lebensgefährlichen Vabanquespiels.
Endlich sieht er es vor sich, rational und klar, nicht mehr nur als Hirngespinst, wie für lange Zeit zuvor, sondern fest umrissen und absolut einleuchtend und sicher beherrschbar in all seinen Risiken. Kein Argument mehr, und sei es noch so stichhaltig, könnte ihn umstimmen, geschweige denn aufhalten. Weder würde er zurückschauen noch irgendeinem seinen Verstand verdunkelnden Zweifel nachgeben. Das Licht am Ende des Tunnels im Blick, würde er voranschreiten, unbeirrbar bis zum Schluss.
Zwei quälende Jahre lang war er versunken gewesen in Selbstmitleid, hatte er keinen Ausweg gefunden, aus dieser ihm über alle Maßen bedrückenden Situation. So konnte es, so durfte es nicht weitergehen, nicht, wenn er seiner Existenz noch etwas abgewinnen wollte, bevor sie als vollends verwirkt in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde. Er wird kämpfen, sich rehabilitieren müssen, um zu überleben, etwas von Grund auf Außergewöhnliches vollbringen müssen, um eine zweite Chance zu erhalten.
Der puren Verzweiflung entwuchs der Keim für die Idee, für die Lösung, die späte Rettung versprach, aus einem Dasein unerwarteten, aber auch folgerichtigen Leids. Wochenlang trug er sie in sich, wog das Für und Wider ab, bis er von der Richtigkeit - nein, Notwendigkeit! - überzeugt, eine Entscheidung traf. Eine Entscheidung, der Taten folgen mussten. Taten, derentwegen er jetzt hier steht.
In seinem Rücken das geschäftige Treiben der von der Sommersonne aufgeheizten Rittensteiner Straße. Vor seinen Augen die graue Fassade einer großbürgerlichen Häuserzeile, auf der der aufgesprühte Hinweis 'Agentur' in eine Durchfahrt zum Hof weist. Den ersten Schritt noch nicht bewältigt, erschreckt ihn das Hupen eines unmittelbar neben ihm vorbeipreschenden Wagens, der sogleich in der dunklen Öffnung verschwindet. Er folgt ihm in einen patiohaften Innenhof. Wirre Geflechte eines verwachsenen Efeus überziehen die maroden Umfassungsmauern. Aus den Fugen der altersblanken Pflastersteine wachsen Moose und kümmerliche Gräser. Im Schatten eines knorrigen Apfelbaums parkt der soeben auf den Hof gefahrene Wagen, ein hellgrauer Saab Cabrio älteren Baujahres. Punktförmige Lackschäden und der Kot der Baumbewohner teilen sich die Motorhaube. Gegenüber umstellen vier Stühle einen wettergegerbten Holztisch. In einer Mauerecke liegt ein aufgerollter Gummischlauch unter einem tropfenden Wasserhahn. Auf der verwitterten Klinkerfassade einer in die Jahre gekommenen Hofwerkstatt entziffert er den bis zur Unleserlichkeit verwitterten Schriftzug 'Bestattungsinstitut Delius'. Darunter endet ein gebäudelanges Fensterband an einer gläsernen Tür, dem einzigen Zugang.
Er drückt den Knopf der Sprechanlage.
»Ja bitte?«, fragt eine Frauenstimme umgehend.
»Ich möchte ein dringendes Anliegen besprechen«, erklärt der Mann und steht nach einem kurz darauffolgenden Summen im Foyer der Agentur 'DSCHINN & JEANNIES', wie die grünlich leuchtenden Buchstaben über dem Empfangstresen am Ende des Raumes verkünden.
»Augenblick bitte, ich bin gleich bei Ihnen«, ruft eine Frau vom Tresen aus herüber. Den Kopf zum Monitor geneigt, fliegen ihre Hände über eine Tastatur, bis sie ein letztes Mal kontrapunktisch in die Tasten trommelt und gewandt aus ihrem Stuhl hüpft. Sie streift ihren Rock glatt, zieht die hochgerutschte Bluse über ihr Bauchnabelpiercing und schlendert dem Mann entgegen.
Er mustert sie. Elegant wie schlaksig, charmant wie resolut zugleich erscheint sie ihm. Unter der knappen Bluse zeichnen sich die winzigen Erhebungen ihrer flachen Brüste ab. Sie trägt einen blassgrünen Leinenrock, der eine Handbreit über dem Knie endet, und läuft barfuß. Der unprätentiöse Kurzschnitt ihrer dunkelbraunen, zu einem scharfen Seitenscheitel gelegten Haare, lässt ihr ohnehin schon schmales Gesicht noch zarter erscheinen. Vielleicht deshalb wirken ihre dunklen aber vergnügt dreinblickenden Augen ebenso einnehmend wie dominant. Ihrer strengen, knabenhaften Gestalt setzt sie eine Gestik unbeschwerter Leichtigkeit entgegen. Er schätzt sie auf Anfang Dreißig.
»Hola, Señor. Ich heiße Caren Gonzalez. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Sie zeigt ein Gute-Laune-Lächeln und streckt ihre Hand entgegen.
»Angenehm, von Ketteler, Hans von Ketteler«, erwidert er mit gewichtigem Tonfall, beugt den Kopf herunter und ergreift eine zierliche, um den Daumen herum mit einem dezenten Rosentattoo verzierte Hand. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich einfach so ..., ohne Anmeldung ...«
»Das ist kein Problem«, unterbricht Frau Gonzalez, während sie eine einladende Armbewegung vollführt.
»Danke, sehr freundlich«, entgegnet von Ketteler und leitet mit auf dem kahlen Hinterkopf rotierender Hand sein Anliegen ein. »Nun, ...«, beginnt er stockend, »der Grund meines Besuches beruht auf einem Vorhaben, das ihnen vermutlich - formulieren wir es einmal so - etwas unkonventionell erscheinenden mag. Aber wer sonst, wenn nicht Ihre Agentur, wäre der Herausforderung gewachsen, mich bei der Erfüllung meines Wunsches zu unterstützen. Ihr Portfolio, ihre Referenzen ... Na ja, und wenn es auch noch menschlich passt ...« Er schaut Frau Gonzales in die Augen und lächelt. »Doch an diesen vagen Zweifel verschwende ich schon jetzt keinen einzigen Gedanken mehr.«
»Danke für die Blumen«, erwidert Frau Gonzales grinsend.
»Leider, so befürchte ich«, erklärt von Ketteler wieder ernsthaft, »wird mein Wunsch sogar Spezialisten wie Sie vor eine heikle Aufgabe stellen.« Dabei wirft er einen prüfenden Blick in die Räumlichkeiten, als könne er dadurch erkennen, ob dem wirklich so sei.
»Si, Si, das kennen wir«, antwortet Frau Gonzales. »Nicht wenige unserer Auftraggeber halten ihr Anliegen für unerfüllbar. Ihre Bedenken sind verständlich - aber auch hilfreich. Sie vermeiden utopische Vorstellungen, verstehen Sie. Die Aufgabe erhält ein solides Fundament. Kein Grund zur Sorge also, denn bisher ....« Frau Gonzalez unterbricht sich, schaut in Richtung eines Mannes, der jenseits einer den Raum teilenden Glaswand vor einem Schreibtisch sitzt, und fährt fort. »Bisher konnten wir alle an uns gestellten Aufgaben erfolgreich lösen und glückliche Auftraggeber verabschieden«, erklärt sie, ohne dass es anmaßend klingt. »Nehmen Sie einen Augenblick Platz, por favor. Herr Delius wird Sie gleich zu einem Gespräch bitten.« Sie deutet auf eine Sitzecke neben dem Eingang - abgesehen vom Tresen die einzige Möblierung des hallenartigen Empfangs. »Möchten Sie Kaffee, Tee, ein Wasser?«
»Gerne einen Tee. Schwarz, bitte.«
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