„Und ich denk noch: ‚ Das muss Liebe sein ‘, so wie er dich auf dem Prospekt angesehen hat“, spottet sie. „Dazu dein verträumter Gesichtsausdruck mit diesem Hauch: ‚ Dich knack ich auch noch ‘. Herrlich“, kommt sie aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus.
„Ich beginne, eine innere Abneigung gegen Marketing in jeglicher Form zu entwickeln.“
„Und ich sag noch, zieh die Lederstiefeletten an und hol ihn aus seiner Finanzblase“, wendet sie ein.
„Sieht so aus, als wär ich jetzt wieder zu haben – kreditinstitutstechnisch gesehen“, verlautbare ich.
„Naja, passt dann wenigstens zu deinem Beziehungsstatus. Hättest du Freunde, würd sich sogar ein Facebook-Eintrag lohnen“, erwidert sie schulterzuckend.
Hab ich schon erwähnt, dass Linda so eine Gabe hat, dich mit der schonungslosen Realität immer weiter runterzuziehen. Krankerweise hab ich die verrückte Schmonzette trotzdem liebgewonnen, was mich wohl zu einem Sadisten macht.
„Und was hast du jetzt vor?“, wühlt sie weiter in meinem Kram rum.
„Scheiße, keine Ahnung. Ich dachte, ich komm bei Elitepartner rein, aber die nehmen da nur Singles mit Niveau.“
„Wegen dem Geld, mein ich“, stellt sie klar.
„Erkennst du denn die direkte Abhängigkeit nicht?“, stoße ich mürrisch aus.
„Du brauchst keinen Mann, um unglücklich zu sein. Das kriegst du auch so hin.“
„Ich weiß auch nicht. Wenn ich gewusst hätte, wie sich das Leben später entwickelt, wär ich im Sandkasten sitzen geblieben. Naja, vielleicht mach ich ein freiwilliges asoziales Jahr oder kauf mir doch ’nen Krabbenkutter und steig bei Greenpeace als Walattrappe ein.“
„Egal was du vorhast, ich steh neben mir. Obwohl, du und ein Deck schrubben, neeeee. Erzähl. Wie wars im Krankenhaus?“, will sie wissen und schafft es erneut, meine Stimmung, die bereits auf dem Tiefpunkt angelangt war, zu senken.
Das hatte ich schon fast vergessen. Da war ich, bevor ich zur Bank bin. Heute ist nämlich Tag der beschissenen Termine. Muss ja schließlich auch mal sein.
„Parkinson ist es nicht“, antworte ich.
„Das ist doch gut, oder?“, mutmaßt sie.
„Naja, ich dachte auch immer, Humor wär etwas Gutartiges“, antworte ich schulterzuckend. „Zumindest bis ich dich getroffen habe.“
„Was ist ihre nächste Vermutung?“, will Linda wissen.
„Creutzfeldt-Jakob.“
„Was ist das?“, hakt sie nach.
„Keine Ahnung, aber er geht mir jetzt schon auf den Sack.“
„Wie stellt man das fest?“
„Gar nicht, ich bin raus“, verkünde ich niedergeschlagen.
„Wie meinst du das, du bist raus?“, hinterfragt sie meine Worte.
„Das ist eine Metapher aus dem Glücksspieljargon. Man benutzt sie kurz bevor man die Karten auf den Tisch feuert, um auf das Scheitern eines Bluffs hinzuweisen oder in meinem Fall: Du kennst doch diese kleinen, grünen Scheinchen mit den toten Präsidenten drauf, die man einwerfen muss, damit Untersuchungen rauskommen. Krebs, Gehirntumor, Multiple Sklerose, Demenz und Parkinson haben meinen Geldspeicher ganz schön geleert.
Was soll ich sagen, nachdem Dagobert Duck , der Penner, alles bei Mister Green verzockt hat, geht Creutzfeldt-Jakob leer aus.“
„Aber“, will Linda schon protestieren, da unterbreche ich sie mit den Worten: „Hör zu, Linda. In den letzten zwei Jahren hab ich praktisch im Krankenhaus gewohnt. Die haben mir Körperflüssigkeiten abgezapft, von deren Existenz ich nicht mal wusste. Die kriegens einfach nicht raus, was mir fehlt. Vielleicht muss ich mich endlich damit abfinden, dass ich …“ „Wage es nicht, das laut auszusprechen“, herrscht sie mich an. „Du wirst doch nicht so kurz vorm Ziel aufgeben. Naja, du hast doch jetzt diesen neuen Arzt. Wie hieß der noch mal?“
„Nein, der ist auch schon abgesprungen. Doktor Turner hat letzten Monat das Stethoskop geworfen und jetzt haben sie mir so einen jungen Musterschüler-Universitätsabgänger untergejubelt, der mich schon stresst, da hat er noch nicht mal das Zimmer betreten.
Kennst du das, wenn man einen Hund mit dem Wort ‚ Spazieren ‘ anlockt und dann nicht mit ihm rausgeht? Das ist er.“
„Vielleicht ist er Scheidungskind, dann darf er das“, mutmaßt Linda.
„Wo ist eigentlich Doktor House , wenn man ihn braucht? Vielleicht hat der ja eine Idee. Ob der bloß twittert?“
Linda seufzt laut auf. „Ich weiß genau, was du jetzt brauchst.“
„Mach keinen Scheiß, Linda. Sei ehrlich, wie gut kennst du mich mittlerweile?“
„Sagen wir mal so, ich würde von einem obszönen Anruf von dir nicht empört sein. Aber genug der sexuellen Gefälligkeiten. Hör zu Ruby, dreh jetzt nicht durch, aber ich hab da kürzlich so eine Zeitungsannonce gesehen und vielleicht hab ich dort angerufen.“
„Oh, oh. Ich ahne Schlimmes“, raune ich.
„Jetzt lass mich doch erst mal ausreden. Das ist so ein Typ, der dir die Hand auflegt – ein Wunderheiler sozusagen – aber für Paranormales.“ Meine Fresse. „Da stand, er hat schon hunderten Opfern geholfen, bei denen die Schulmedizin versagt hat. Das ist doch als hätten die dir aus der Seele gesprochen.“ Das nennt man Marketing. Ich hasse Marketing.
„Stand da auch, ob die nachher noch alle Organe hatten?“, will ich wissen.
„Jetzt geh doch nicht immer vom Schlimmsten aus“, wirft sie mir vor.
Ich schüttle genervt den Kopf. „Das sind Quacksalber, die dir das Geld aus der Socke ziehen. Glaub doch nicht immer alles, was in der Zeitung steht“, raune ich. „Das ist ein Rückfall, oder? Ich dachte, du hättest die Zeitungsannoncen-Obsession bereits überwunden. Darf ich dich in diesem Zusammenhang an meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag erinnern.“
„Jetzt wirfst du mir das immer noch vor – nach all den Jahren“, prustet sie entrüstet.
„Das war letztes Jahr“, informiere ich sie.
„Der Tippfehler in der Einladung an meine Freunde – du hast ja keine eigenen – war ein Versehen. Wie oft soll ich dich noch anlügen?“
„Da stand: ‚ Es wird Tote geben ‘“, mache ich sie aufmerksam.
„Dafür waren doch jede Menge Leute da“, redet sie sich raus.
„Eigentlich ist nur der Stripper gekommen, den du aus ’ner Annonce hattest.“
„Okay, ich gebe zu, der war ein Griff ins Klo“, gesteht Linda.
„Der war achtzig. Wir haben ihn bezahlt, damit er die Klamotten anbehält“, rufe ich ihr die Szenen ins Gedächtnis, die mich heute noch schweißgebadet aufwachen lassen.
„Der hatte aber gute Tipps. Sex ist gesund und verlängert das Leben – zum Beispiel.“
„Schon, aber du musstest ja unbedingt: ‚ Dann komm und mach mich unsterblich ‘ brüllen.“
„Hey, aber die Wahrsagerin war doch ganz unterhaltsam.“
„Du meinst die, die unseren Fernseher mitgehen hat lassen und von mir verlangt hat, ich solle ihr meinen Astralkörper zeigen. Ich weiß immer noch nicht, ob sie mich bloß anmachen oder in meiner Aura rumstochern wollte.“
„Naja, überall gibt’s ‘ne Dunkelziffer. Aber die Annonce ist seriös – das hab ich im Uterus.“ Igitt. „Da stand, man bezahlt nur bei erfolgreicher Heilung. Ja, umarmen und küssen kannst du mich später, aber fass bloß nicht meine Haare an. Beeil dich lieber, sonst kommst du noch zu spät zu dem Termin.“
Ich raufe mir die kurzen, braunen Locken. „ Ich hab schon einen Termin? Sag mir, dass das nicht wahr ist“, taste ich an.
„Das war so ein Zufall. Heute ist jemand ausgefallen und der Typ konnte dich dazwischenschieben. Normalerweise muss man töten, um bei ihm so schnell einen Termin zu bekommen. Wenn das kein Wink des Schicksals ist, weiß ich auch nicht mehr“, erklärt sie freudestrahlend. Und das Schlimmste ist, sie glaubt den Scheiß auch noch.
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