Heinz war ein seriöser, fast sechzigjähriger Mann, bereits ergraut, und seine ehemals dichten dunklen Haare waren so schütter geworden, dass er sie nur ganz kurz tragen konnte. Er hatte ein Wohlstandsbäuchlein, und das, obwohl er allen seinen etwas fülligeren Patienten einreden wollte, sie seien „zu klein“ geraten für ihr Gewicht. Und er hatte drei erwachsene Töchter!
Und jetzt wollte er tatsächlich diese Tussi …. diese sechsunddreißigjährige Tussi, die locker seine Tochter sein könnte …. heiraten! Ich konnte es einfach nicht fassen!
Zudem mochte ich diese unmögliche Person überhaupt nicht. Sie war schon seit einigen Jahren, um genau zu sein seit neun Jahren die Sprechstundenhilfe und gleichzeitig die neue Flamme von Heinz und deshalb – also aus dem ersten Grund – hatte ich mit ihr natürlich auch immer wieder zu tun.
Heinz war praktischer Arzt und wir hatten so etwas wie eine Praxisgemeinschaft: Ich arbeitete im selben Gebäude, in dem er ordinierte, als Physiotherapeutin und bekam auch die meisten Patienten von ihm überwiesen. Diese berufliche Nähe erwies sich aber nach der Scheidung immer wieder als problematisch, vor allem, weil mir die Tussi dadurch zwangsläufig jeden Tag mehrmals über den Weg lief. Und so wenig, wie ich sie mochte, so wenig mochte sie mich. Und sie machte vor allem keinen Hehl daraus, dass sie mich unsympathisch fand.
Besonders störte sie der Umstand, dass ich noch Geiger hieß, sie aber (noch) nicht.
Sie hieß Tanja Siharsch. Also, Siharsch würde ich um nichts in der Welt heißen mögen. Wenn sie sich irgendwo vorstellte oder in der Ordination das Telefon bediente und sagte: „Guten Tag, hier Praxis Doktor Geiger, Sie sprechen mit Frau Siharsch“, dann musste sie immer das „H“ in ihrem Namen ganz besonders betonen, um nicht unhöflich zu wirken.
Ich an ihrer Stelle hätte meinen Namen schon längst auf Sicharsch oder Sischarsch oder am besten Meier oder Müller oder Schmied ändern lassen, um solche Peinlichkeiten zu vermeiden. Noch besser wäre natürlich Sitzarsch oder gleich Spitzarsch. Der Name würde doch tatsächlich zu ihrem spitz zusammenlaufenden Hinterteil passen,
Irgendwie musste ich jetzt jedoch auf das pikante Geständnis meines Exmannes reagieren. Ich bemühte mich, mir meinen Unmut über diese Angelegenheit nicht anmerken zu lassen, als ich sagte:
„Na, dann wünsche ich euch beiden recht viel Glück!“
Einen sarkastischen Unterton dabei zu vermeiden, gelang mir freilich nicht.
Ich drückte Heinz missmutig weg, öffnete die große Eingangstüre im Erdgeschoss und ging zu meinem Smart, denn um ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen oder mit dem Rad zu fahren, war ich definitiv zu spät dran. Dabei ging mir noch einmal mein Telefonat mit Heinz durch den Kopf:
Wieso hatte er gesagt, >ich muss< ? War die Tussi am Ende gar schwanger? Das wäre ja noch peinlicher! Da hatte der Mann drei erwachsene Töchter im Alter von dreiunddreißig, dreißig und achtundzwanzig Jahren und wurde womöglich noch einmal Vater! Musste er sich so zum Affen machen? Mir konnte es ja egal sein, aber unsere Töchter könnten daran Anstoß nehmen. Zumindest das sollte ihm zu denken geben.
Und warum hatte Sunny gemeint, Nele müsse mir etwas sagen? Dass Heinz die Siharsch heiraten wollte, hätte mir Sunny ebenso gut sagen können. Heinz hatte doch behauptet, alle drei Mädels wüssten Bescheid. Irgendwie kam mir das alles sehr seltsam vor.
Kapitel 2: Heißer Kaffee und wirre Träume
Als ich das Café um zehn nach halb zehn betrat, saßen meine drei Sprösslinge bereits an einem Tisch. Auf den Tellern, die vor ihnen standen, türmten sich Brötchen, Schinken, Käse und Eier, und auf einer weiteren Platte, die in der Mitte des Tisches stand, waren leckere Mehlspeisen aufgeladen. Daneben dampfte Kaffee in bauchigen Tassen und drei Gläser, gefüllt mit Orangenjuice, befanden sich ebenfalls auf der reichlich gedeckten Tafel. Dass sie an mich gedacht und den von mir so begehrten Tomatensaft organisiert und bereit gestellt hatten, empfand ich als besonders liebenswürdig.
„Hallo, Mama“, sagten alle drei im Chor und Nele, die trotz ihrer Exaltiertheit die Herzlichste von allen war, stand auf und küsste mich, „Mamilein, mein liebes Mamilein, schön, dass du hier bist“ murmelnd, zuerst auf die linke, dann auf die rechte Backe und drückte mich ganz fest an sich.
Sunny und Maggy schienen in ein Gespräch vertieft zu sein, denn außer ihrem flüchtig hingeworfenen „Hallo, Mama“ nahmen sie keine Notiz von mir. Wahrscheinlich überlegten sie schon, was sie zu der dämlichen Hochzeit ihres Vaters anziehen sollten.
Ich nahm Platz, nippte an meinem Tomatengetränk und beobachtete meine Töchter. Ich war stolz auf sie, denn sie waren wirklich gut geraten und hübsche junge Frauen geworden.
Nele hatte wieder – wie könnte es anders sein – ein weites, buntes Kleid an und trug ihre kaum zu bändigende Lockenmähne zur Abwechslung offen. Ihr Gesicht hatte an diesem Tag einen ganz besonderen Glanz und ihre Wangen waren leicht gerötet.
Sunny war wie immer wie aus dem Ei gepellt. Sie trug ein mintgrünes Kostüm mit weißer Bluse und hatte ihre dichten, glatten, brauen Haare wie gewohnt zu einem kunstvollen Knoten im Nacken drapiert, was ihr seriöses Wesen noch unterstrich. Sie und Nele sahen einander sehr ähnlich. Beide hatten ein schmales Gesicht mit hohen Backenknochen, ein kleines Näschen und große, mandelförmige, dunkle Augen.
Natürlich war auch Maggy ein hübsches Persönchen, sie hatte aber etwas härtere Gesichtszüge als ihre jüngeren Schwestern. Sie trug ihr ebenfalls dunkelbraunes Haar, seit ich zurück denken konnte, als Pagenkopf frisiert. Heute war sie mit Jeans, einer orangen Bluse und einem creme-weißen Blazer bekleidet.
Maggy war ein äußerst praktisch denkender Mensch, den nichts aus der Ruhe bringen konnte. Sie liebte ihren Beruf und ihren langweiligen Hannes und stand mit beiden Beinen im Leben. Ein Laster hatte sie allerdings, und das, obwohl sie Medizinerin war: Sie war eine leidenschaftliche Raucherin.
Ich stand auf, holte mir eine Tasse Kaffee und bestaunte das wirklich großartige Buffet. Allerdings hatte mir die Neuigkeit, die Heinz mir aufgetischt hatte, irgendwie den Appetit verdorben. Lustlos klatschte ich ein Brötchen und etwas Schinken auf meinen Teller und nahm mir ein weiches Ei.
Sunny und Maggy tuschelten geheimnisvoll, als ich wieder auf unseren Tisch zusteuerte. Und nachdem ich mich gesetzt hatte, grinsten sie mich an, als würden sie für ein Werbeplakat für Zahncreme posieren.
„Was ist los mit euch beiden?“, fragte ich, während ich vorsichtig mein Ei köpfte.
„Mit uns ist gar nichts los“, antworteten sie im Chor, als ob sie es eingeübt hätten, „aber Nele muss dir etwas sagen.“
„Nele muss mir gar nichts sagen“, erwiderte ich, und nun war ich es, die breit grinste und ganz langsam, indem ich mir jedes Wort förmlich auf der Zunge zergehen ließ, hinzufügte: „Ich weiß es nämlich schon.“
„Du weißt es schon? Aber woher?“, staunten sie, und weg war ihr Zahnpasta-Grinsen. Jetzt rissen sie nur noch Augen und Münder auf.
„Heinz hat es mir gesagt“, erwiderte ich. „Er hat angerufen, als ich gerade losfahren wollte. Er wollte mir diese Hiobsbotschaft persönlich überbringen.“
„Was hat Papa dir gesagt?“, fragte nun Nele, die sich zum ersten Mal an diesem freundlichen Morgen ins Gespräch einbrachte. Bisher war sie, abgesehen von ihrer herzlichen Begrüßung, nur damit beschäftigt gewesen, den Berg von Nahrungsmitteln, den sie auf ihrem Teller aufgetürmt hatte, zu vertilgen. Momentan biss sie genüsslich in ein Schokoladencroissant und knabberte dazu ein Essiggurkerl. Naja, über Geschmack ließ sich bekanntlich streiten; das bewies meine Nele ja auch, was ihren Kleidungsstil betraf.
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