Ihre wallende, kastanienbraune Haarmähne – die Lockenpracht hatte sie von mir und meiner Mutter geerbt, nur dass sie bei ihr noch viel ausgeprägter war als bei uns – fasste sie sehr oft lieblos mit einer Haarklammer zusammen.
Und natürlich war sie auch beziehungsmäßig nicht so unterwegs, wie ich es mir für meine Kinder wünschte. Keiner ihrer Flirts hatte bisher so lange gehalten, dass sie es für passend erachtet hätte, uns einen Kerl einmal vorzustellen.
Was mich auch störte, war der Umstand, dass sie noch immer keine eigene Wohnung besaß und sich in einer Art WG eine zugegebenermaßen schöne, geräumige Altbauwohnung im Zentrum der Stadt mit einem arbeitslosen Langzeitstudenten namens Jan, der seit sechzehn Semestern Italienisch und Geschichte studierte, teilte. Obwohl dieses „Reich“ Jans betuchten Eltern gehörte, war es Nele gelungen, das größte und schönste Zimmer für sich zu beanspruchen, und ihr Mitbewohner hatte auch nichts dagegen, dass der geräumige Vorraum von meiner Tochter als Atelier genutzt wurde.
Im Vergleich zu Cornelia waren meine anderen beiden Töchter einfach „Vorzeigekinder“.
Sonja war ohnedies nur seriös, arbeitete nach einem Studium, das sie in Mindestzeit absolviert hatte, als Lehrerin für Französisch und Englisch in einem Gymnasium südlich der Stadt und lebte seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr mit ihrer Jugendliebe Stefan, der ebenfalls Lehrer – für Mathematik und Physik – geworden und fast so seriös wie meine Tochter war, in einem Reihenhaus am Stadtrand, das die beiden schon käuflich erworben hatten.
Und Margit, genannt Maggy, war mit ihren dreiunddreißig Jahren die Älteste meiner drei Töchter. Sie hatte – nicht in Mindestzeit, aber auch recht flott – Medizin studiert, arbeitete in einem kleinen Krankenhaus als Assistenzärztin und lebte mit Hannes, einem etwas langweiligen Maschinenbauingenieur, im Südwesten der Stadt in einer geräumigen, hellen Eigentumswohnung. Sie wollte einmal in die Fußstapfen ihres Vaters treten und nach dessen Pensionierung seine Praxis übernehmen.
Ich trat, einen dicken Keks mampfend – ich esse nämlich immer, wenn ich das Gefühl habe, irgendetwas entgleitet meiner Kontrolle – und das Mobiltelefon in meiner Hand haltend, noch einmal auf meinen mit Primeln bestückten, ebenfalls vorösterlich geschmückten Balkon, zupfte an den Blumen herum und hakte nach: „ Was will Nele mir sagen?“
„Das musst du sie schon selber fragen“, war Sonjas nüchterne Antwort und ihre Stimme hatte wieder den für sie so typischen seriösen Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Bis später, Mama“, sagte sie noch, und schon war das Gespräch beendet.
So blieb mir also nichts anderes übrig, als mich bis zum Treffen mit den jungen Damen zu gedulden, was allerdings überhaupt nicht meinem Naturell entsprach. Ich bin nämlich ziemlich neugierig und kann unangenehm nervös werden, wenn eine neue Nachricht nicht in jenem Tempo, das ich mir vorstelle, zu mir durchdringt.
Weil so ein schöner, sonniger Frühlingstag war, wollte ich mir meine Laune aber nicht verderben lassen und beschloss, mich in Gelassenheit zu üben.
Um meine Stimmung wieder anzuheizen, drehte ich das Radio ab und schob eine CD von Konstantin Wecker in den Player. „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ passte viel besser zu so einem lauen, sonnigen Tag als der Weltschmerz von Sting.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich langsam herrichten musste. Hurtig begab ich mich in mein Schlafgemach, trällerte fröhlich den Wecker-Song mit und öffnete meinen Kleiderschrank. Was sollte ich anziehen? Das Treffen mit meinen drei Töchtern war immer auch eine kleine Modeschau. – Nele in ihren sackartigen Kleidern machte dabei klarerweise nicht mit.
Nachdem ich zwei Hosenanzüge, ein Kostüm, drei Kleider und zwei Röcke mit Blusen auf mein vereinsamtes Doppelbett geworfen hatte, entschied ich mich – zunächst – für ein Dirndl, und das nur, weil ich es schon zwei Jahre nicht mehr getragen hatte und weil das freundliche Wetter so „dirndlmäßig einladend“ war. Doch gleich bereute ich es, dass ich schon zwei Kekse „vorgefrühstückt“ hatte, und nahm mir vor, wieder regelmäßig joggen zu gehen, denn das Kleid war unbequem eng.
Also wählte ich, nachdem ich mich aus diesem Panzer befreit, noch einmal meinen Schrank durchwühlt und zwei weitere Kleider und einen Rock aufs Bett geworfen hatte, meinen neuen dunkelblauen Hosenanzug und eine weiße Bluse als Outfit für den Vormittag mit meinen Kindern. So sah ich wenigstens seriös genug aus, um meiner störrischen Tochter – falls es nötig werden sollte – gehörig den Kopf zu waschen.
Das Chaos auf meinem Bett musste – wie so oft – aus Zeitmangel noch eine Weile darauf warten, wieder von mir beseitigt zu werden. Und auch im Wohnzimmer, wo ich gestern Abend noch ein paar Zeitschriften durchgeblättert und dazu ein Glas Wein getrunken hatte, sah es aus, als hätte ich es soeben erst verlassen, um schlafen zu gehen.
Ich nahm einen weinroten Schal aus dem Schrank, bändigte meine Lockenmähne mit einem im gleichen Ton gehaltenen Haarband, schlüpfte in meine farblich dazu passenden High Heels, schnappte mir meine Handtasche und wollte gerade meine Wohnung verlassen, als neuerlich das Telefon klingelte.
Zum zweiten Mal an diesem Vormittag kramte ich dieses unverzichtbare Gerät hervor und ziemlich genervt, weil ich wieder einmal recht spät dran war, meldete ich mich:
„Geiger, wer stört schon wieder?“
„Hier auch Geiger“, flötete Heinz, mein Ex, ins Telefon. „Hast du die Mädels heute schon getroffen?“
Ich rollte die Augen: Er wusste doch, dass wir uns samstags immer um halb zehn Uhr trafen. Was sollte daher diese dämliche Frage?
„Nein, aber ich bin gerade unterwegs zu unserem gemeinsamen Frühstück und spät dran, also fass dich kurz!“, motzte ich ihn wenig freundlich an, während ich mit meiner freien, also nicht das Handy umklammernden Hand meine Wohnungstüre schließen wollte, durch ein Exemplar der achtlos herumliegenden Schuhe aber daran gehindert war. Ich gab der störenden Fußbekleidung einen Tritt, dass sie ins Innere der Wohnung zurück segelte, und sperrte zu.
„Ach so, dann weißt du also noch nichts“, tat er geheimnisvoll.
„Was soll ich wissen? Sonja hat schon während ihres Anrufs so eine eigenartige Anspielung gemacht, dass mir Nele etwas sagen möchte. Also spuck aus, was ich wissen sollte! Ich hab’s nämlich eilig“, herrschte ich ihn ungeduldig an, während ich auf den Lift wartete, der mich nach unten befördern sollte.
„Wieso Nele? Alle drei wissen es schon, aber …. nun ja … ich wollte ja sowieso, dass du es von mir erfährst und nicht von den Kindern…. aber…. ich werde …. also …. ich muss …. also …. ich will …. also …. Tanja und ich …. naja, vielleicht hätte ich es dir persönlich sagen sollen ... aber irgendwie hat es nie gepasst … also … du bist ja auch immer so schnell draußen aus der Praxis …. aber wurscht, irgendwann musst du es ja doch erfahren.“
Er räusperte sich.
„Kannst du jetzt bitte endlich zur Sache kommen?“, sagte ich scharf. „Ich habe dir schon gesagt, ich bin in Eile.“
„Also …. also Tanja und ich …. also …. also wir werden im Sommer …. also …. also wahrscheinlich Ende August …. also heiraten“, brachte er mühsam hervor.
Das war ja eine großartige Nachricht! Dabei hatte der Tag so schön und freundlich angefangen! Schon war ich in Versuchung, noch einmal zurück in die Küche zu eilen und mir einen weiteren Keks in den Mund zu stopfen. Aber da fiel mir zum einen mein enges Dirndlkleid ein, zum anderen war der Lift endlich da, deshalb verzichtete ich darauf.
Ich empfand wirklich nichts mehr für meinen Exmann, rein gar nichts, um genau zu sein. Uns verbanden nur die berufliche Nähe und der Umstand, dass wir Eltern dreier großartiger Töchter waren. Aber dass er jetzt diese Tussi ehelichen wollte, die nur um drei Jahre älter als Maggy war, empfand ich einfach als geschmacklos und unsagbar peinlich.
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