Sie unterbrach ihn abrupt. „ Hast du das Geld gestohlen?“
„Nicht gestohlen. Ich habe es nur nicht weitergeben können.“
Ranias Geduld schien sich dem Ende zu nähern. Die Hände auf die Hüften gestemmt hatte sie den Kopf geschüttelt. Den Mund dabei zu einem bitteren Grinsen verzogen. „Malik, was denkst du dir dabei? Soll ich jetzt froh sein, dass du einen riesen Batzen Kohle stiehlst?“
„Sonst haben dir die Sachen, die ich dir mitgebracht habe doch auch gefallen“, entgegnete er defensiv.
„Denkst du das ist mir wichtig? Denkst du, dass du mir Schmuck schenken musst, damit ich dich liebe? Ich mag dich wirklich, aber kaufen lasse ich mich nicht!“
Malik war zum heulen zumute. War er der einzige, der hier eine Chance für sie sah? Niedergeschlagen hatte er die Bündel auf der Kommode abgelegt.
„Denkst du das wirklich? Ich meine, das kann doch nicht wahr sein!“ Wie um ihre Wut zu untermauern hatte sie ihn an den Oberarmen gepackt und heftig geschüttelt. „Dann behandelst du mich, als wäre ich deine Nutte!“
Da hatte er ihre Hände beiseite geschoben und ihr eine gescheuert.
Resigniert schüttelte Krauser den Kopf und blickte zum Kollegen Laarsen hinüber. Der, gerade dabei, den Kopfhörer abzusetzen, schaute mit zusammengepressten Lippen durch die verdunkelten Scheiben des Vans hinaus. Beide waren wütend. Seit sieben Uhr saßen sie in dem engen Wagen, warteten und lauschten. All das Equipment um sie herum, und wozu der ganze Aufwand? Absolut nutzlos , dachte Krauser genervt, während er einen letzten Schluck aus der abgestandenen Fanta-Flasche nahm. Was war es für eine Aktion gewesen, neben der Razzia vom Richter auch noch den Beschluss zur Observation von Schlossers Geschäft zu bekommen. Nun hatten sie ihn und alles was sie hörten, war polternde Marschmusik, mit der sie ein Tonband nach dem anderen bespielten. Auch die Kameras erwiesen sich als obsolet. Der Laden war dunkel und in dem Büro darüber waren seit ihrem gestrigen Besuch die Vorhänge zugezogen. Krauser streckte seine eingeschlafenen Beine und schaute auf den zäh vorbeifließenden Verkehr. Wie sehr er diese Observationen hasste. Beinahe hätte er wieder vergessen, wie quälend diese Schichten werden konnten.
Aber er hatte es sich ja so ausgesucht.
Der auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellte Lieferwagen fiel dem Mann sofort auf. Das sie sich nicht mehr Mühe mit der Tarnung gaben. Er musste lächeln und ging wieder über den Hof zu Schlossers Geschäft. Dieses Mal fand er die Tür jedoch verschlossen vor. Er schaute sich um. Verlassen lag der Hof hinter ihm. Dann drückte er auf die Türklingel. Nachdem sich eine Weile nichts tat, klingelte er erneut. Dann trat er ein paar Schritte zurück und schaute zum Büro im ersten Stock auf. Für einen Moment teilten sich die dichten Vorhänge und Schlosser spähte hindurch. Der Mann hob winkend die Hand. Ihre Blicke trafen sich und Schlosser verschwand nach einem fast unmerklichen Nicken des Kopfes. Nachdem er die Tür hinter dem Mann wieder verschlossen hatte, deutete Schlosser wortlos nach oben.
Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, aber es der Mann spürte die Nervosität seines Auftraggebers deutlich. Oben angelangt bot sich ihm ein überraschendes Bild. Auf beiden Fensterseiten waren die dichten Vorhänge zugezogen worden und die kleine, von der Decke hängende Leuchte erhellte den Raum nur spärlich. Die Ausnahme bildete eine in der Ecke stehende Lampe, die grell auf einen gekrümmt an der Wand lehnenden Mann schien. Mühsam schaute er mit geschwollenen Augen in ihre Richtung. Seine linke Hand war mit Handschellen auf halber Höhe an ein neben ihm verlaufendes Heizungsrohr gekettet. Mit hochgekrempelten Hemdsärmeln stand Piet daneben. Wie am Vormittag lief laute Musik. Wieder Märsche.
„Andy hier hat mir gerade versucht zu erklären, warum er das Geld nicht hat“, schnaubte Schlosser verächtlich. Er wies mit einem leichten Kopfnicken in Richtung des Gefesselten. Der Mann betrachtete ihn genauer. Schmächtiger Körper, gesenkter Kopf. Gerade mal zwanzig, schätzte er. Der Junge gab ein leises Schniefen von sich. Es roch nach Schweiß. Und Angst.
„Ich bin gerade dabei ihm zu zeigen, was ich davon halte, mich zu bestehlen.“ Schlosser machte einen Schritt auf den Jungen zu, der sich schutzsuchend in die Ecke duckte. „Erzählt mir doch, dass Malik sich mit dem Geld davongemacht und ihn einfach stehen gelassen hat. Und das soll ich glauben.“ Er wandte sich zu Andy, die Faust drohend zum Schlag erhoben.
„Einen Moment!“
Schlosser blickte sich um und sah, wie der Mann die beiden Geldbündel auf den Tisch legte.
„Woher hast du das?“ Er griff das Geld und musterte es.
„Von der Freundin. Sieht aus, als ob der hier die Wahrheit sagt.“
Abwechselnd schaute Schlosser auf Andy und das Geld, sah dann wieder fragend zu dem Mann hinüber. „Hast du noch mehr davon?“ So etwas wie Hoffnung glomm in Schlossers Augen auf.
Der Mann schüttelte den Kopf und deutete auf Andy. „Wie ist er hier reingekommen?“
„Na wie wohl? Durch die Tür.“
Der Lieferwagen , dachte der Mann und ging zum zur Straße hin gelegenen Fenster, wo er den Vorhang beiseiteschob. Der Van stand noch immer an derselben Stelle. Inzwischen war jedoch der direkt dahinterliegende Platz frei geworden.
Der Mann hatte eine Idee. „Der ist euch nicht aufgefallen?“ Mit einer Handbewegung winkte er die beiden heran. Piet und Schlosser blinzelten durch den schmalen Spalt und hoben verneinend die Schultern.
„Piet. Nimm einen Lieferwagen vom Hof und stell ihn direkt an den Van da drüben. Schließ ab und komm wieder über den Hof zurück. Beeil dich, solange der Platz frei ist.“
„Mach schon.“ Schlosser nickte ihm auffordernd zu, worauf Piet polternd die Treppe hinunter verschwand.
„Was soll das?“
„Sie observieren deinen Laden.“
Schlosser zuckte mit den Achseln. „Und das Geld da?“
„Malik hat es bei Rania gelassen. Hat wohl nicht so auf den Geldsegen reagiert, wie er gehofft hatte. Jetzt ist er abgetaucht.“
„Wir können ihn gerne anrufen.“ Mit einem triumphierenden Grinsen hielt Schlosser Andys Telefon in die Luft. Auch der Mann musste lächeln. Endlich mal eine gute Nachricht.
Der Wischer funktionierte nicht richtig und Malik blinzelte mühsam durch die schlierige Scheibe auf die Fahrbahn, als er langsam vom Rastplatz fuhr. Über ihm ballten sich dunkle Wolken und es hatte ein ungemütlicher Dauerregen eingesetzt. Dazu war eine Kälte aufgekommen, die ihn schließlich wieder auf die Autobahn getrieben hatte. Die letzten zwei Stunden hatte er halb liegend auf dem zurückgeklappten Sitz verbracht und zu schlafen versucht. Nach den Ereignissen der letzten Tage und in Anbetracht der drei leeren Red Bull-Dosen, die hinter ihm auf der Rückbank lagen, war daran nicht zu denken gewesen. Frierend griff Malik nach einem Snickers, dem letzten. Bald würde er wieder irgendwo anhalten müssen. Er hatte Hunger. Er fuhr gerade wieder auf die Autobahn, als das Handy auf dem Beifahrersitz klingelte. Er sah auf das Display. Andy.
„Hallo?“
„Malik?“
Er erschrak. Die Stimme kannte er nicht. Andy war es jedenfalls nicht. Kein gutes Zeichen! Um hochschalten zu können, wechselte er das Telefon in die linke Hand,. Auf der Überholspur rasten die Autos in einer endlosen Kolonne an ihm vorbei, während er zwischen zwei LKW eingekeilt war, die sich schleppend über eine vor ihnen liegende Anhöhe quälten.
„Malik? Wir vermissen dich hier… Andy übrigens auch.“
Angestrengt presste Malik den Hörer an sein Ohr. Bei der lauten Musik im Hintergrund war der Anrufer kaum zu verstehen.
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