1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Mit seltenen Ausnahmen. Zu diesen gehörte Father Joost, ein belgischer Priester, der eine kleine katholische Gemeinde auf der Insel Cebu betreute. Er war eine eindrucksvolle Persönlichkeit und ein hervorragender Kenner der philippinischen Pflanzenwelt, weshalb ich ihn des Öfteren besucht und so manchen anregenden Abend bei ihm verbracht hatte. Leider war er inzwischen von seinem obersten Herrn abberufen worden. Father Joost kannte nicht nur Pflanzen, sondern von der Beichte her auch mehrere Ehefrauen, die ihre Männer mittels Gift ins Jenseits befördert hatten. Dass keine dieser Taten je entdeckt wurde, war unter anderem auf die bestehende Rechtslage zurückzuführen. Auf den Philippinen kann eine Obduktion nur vorgenommen werden, wenn die Familie des Verstorbenen dies verlange oder dem zustimme. Dies gelte selbst dann, wenn die Umstände des Todes unklar seien, hatte Father Joost mir erklärt. Davon abgesehen war eine rechtsmedizinische Untersuchung, die zum Beispiel einen sauber ausgeführten Giftmord aufdecken konnte, mangels Experten und technischer Ausstattung auf den Philippinen kaum möglich. Insgesamt also sehr gute Voraussetzungen, jemanden ohne großes Risiko aus der Welt zu schaffen. – Wäre das eigentlich bei einem Ausländer auch so einfach, oder würde dessen Tod weitere Untersuchungen nach sich ziehen?
Mit einem Mal wurde ich wieder munter. Nur mal angenommen, Butzmann würde ohne äußere Verletzungen tot aufgefunden. Dann würde die örtliche Polizei oder sonstige Offizielle auftauchen und die ganze Sache zu Protokoll nehmen, aber ansonsten wahrscheinlich erst mal nicht viel unternehmen. Ein Arzt, sofern verfügbar, könnte wohl den Tod Butzmanns, aber kaum die Ursache dafür bescheinigen. Anschließend müsste seine Frau oder sonst jemand wohl die Deutsche Botschaft in Manila informieren.
Und dann? Was würde man mit seiner Leiche machen? Wahrscheinlich nach Deutschland überführen und eventuell obduzieren. Oder konnte man ihn auch einfach auf den Philippinen begraben? Keine Ahnung.
Aber das könnte ich ja mal im Internet recherchieren. Ich rief die Startseite von Google auf und kratzte mich am Kopf. Und nach was sucht man jetzt am besten? Mal mit „Todesfall im Ausland“ probieren. Da. Ein Link zum Auswärtigen Amt: Hilfe bei Todesfällen.
„Von einem Todesfall im Ausland werden die Angehörigen in Deutschland oft durch Mitreisende oder den Reiseveranstalter informiert“, hieß es dort. In diesem Fall sicher nicht. Ich überflog den Text und stieß auf einen aufschlussreichen Satz: „Wegen besonderer klimatischer Bedingungen, gesetzlicher Bestimmungen oder Bestattungsgebräuche vor Ort müssen die Angehörigen ihre Entscheidung über die gewünschte Überführung oder Ortsbestattung möglicherweise sehr schnell treffen.“ Aha. Besondere klimatische Bedingungen waren auf den tropischen Philippinen definitiv gegeben, und es würde seine Zeit dauern, bis man den Transport seiner Leiche von den Reisterrassen bis nach Deutschland organisieren konnte. Und eine vernünftige Kühlmöglichkeit gab es vor Ort sicher auch nirgends. Und dann war es noch ein ganzer Tag reine Fahrzeit nach Manila. Dort würde Butzmann dann schon ziemlich streng riechen, was die Entscheidung, ihn auf den Philippinen zu lassen, sehr erleichtern dürfte. Und so eine Rückführung war sicher auch nicht ganz billig.
Ich lehnte mich zurück und bohrte in der Nase. Das schien ja tatsächlich ziemlich einfach zu sein. Wenn man Butzmann irgendwo in der Wildnis, weit weg von der nächsten Straße finden würde, könnte man sogar noch mehr Zeit gewinnen. Dann würde man ihn vielleicht gar nicht erst nach Manila bringen. Sondern vor Ort begraben. Garantiert ohne Obduktion. Fertig. Ich rollte den geförderten Nasenpopel zwischen den Fingern zu einem Kügelchen und schnippte es weg.
Aber vielleicht gab es doch noch ein Problem, fiel mir dann ein. Da stand doch was von einer Sterbeurkunde, die man in der Deutschen Botschaft vorlegen musste. War das so etwas wie ein Totenschein, auf dem auch die Todesursache stehen musste? Gab es so was auf den Philippinen überhaupt? Wie lief das dort?
Das konnte man sicher auch über das Auswärtige Amt in Erfahrung bringen. Ich klickte den Button „Kontakt“ auf der Serviceseite an. Ein Formular zum Ausfüllen erschien: Name, Vorname, Straße, Hausnummer ... Uups. Besser nicht.
Dann lieber nochmal ins Internet gehen und versuchen herauszufinden, was beim ungeklärten Tod eines Deutschen passiert, in einem Land wie den Philippinen.
Nach längerer unergiebiger Suche fand ich eine erste relevante Information: „Nach Paragraph 159 Strafgesetzbuch ist die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen verpflichtet, wenn der Verdacht eines unnatürlichen Todes besteht. Wenn nach dem Ergebnis ein Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden kann, wird der Vorgang in ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts übergeleitet. Die Lage des Tatorts ist dabei unerheblich, weil das deutsche Strafrecht auch für Taten gilt, die im Ausland an Deutschen begangen wurden. Allerdings muss die Tat in dem entsprechenden Land ebenfalls mit Strafe bedroht sein.“ Okay. Aber was bedeutete das konkret? Mal weitersuchen.
Ich war soeben auf einen Fall in Thailand gestoßen, als es an der Bürotür klopfte.
„Ja?“ rief ich und wandte mich um.
Ein bebrillter Jüngling betrat den Raum. Ein Student. Auch das noch. Ich schaute grimmig.
„Grüß Gott Herr Dr. Biener. Hätten Sie gerade einen Moment Zeit?“
„Um was geht’s?“ entgegnete ich unfreundlich.
„Um meine Hausarbeit. Ich hab damit jetzt angefangen und ...“
„Thema?“ unterbrach ich ihn.
Der Student schielte auf den Besucherstuhl. Nein, da darfst du es dir nicht gemütlich machen, beschloss ich im Stillen. Sonst dauert mir das zu lange.
„Das mit den Naturreservaten. Wo es um die Frage geht, wie man die einheimische Bevölkerung in den tropischen Ländern da mit einbeziehen kann, damit sie keine Tiere schießen oder den Wald abbrennen.“
„Weiß ich. Und?“ Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch, um ihn vor weiteren Ausschweifungen abzuhalten.
Der Blick des Studenten fiel auf meinen Computerbildschirm. Toter Kölner Geschäftsmann in Thailand: war es Mord?, stand da als große Schlagzeile.
„Ja also ... äh, ich hab dazu im Internet wenig gefunden. Ich dachte, sie ...“
„Im Internet! Das können sie sowieso nicht alles glauben, was sie da finden. Sie sollen wissenschaftliche Literatur verwenden, das wissen sie doch. Mit ordentlichen Quellenangaben. Und nicht copy-paste machen mit irgendwelchen Texten, wie diese ganzen Politiker in ihren Doktorarbeiten. Mann, Mann. Fangen Sie sowas gar nicht erst an!“
Der Student senkte schuldbewusst den Kopf.
Ich griff nach einem gelben Haftnotizblock und schrieb etwas auf.
„Hier“, streckte ich dem Studenten den Zettel entgegen, der an meinem Zeigefinger klebte. „Besorgen sie sich dieses Buch in der Unibibliothek. Und wenn sie das gelesen haben, reden wir weiter.“
„Gut, danke.“
„Bitte.“
„Ja dann, Wiedersehn!“
„Tschüss.“
Ich schnaubte und wandte mich wieder dem Bildschirm zu. – Um was ging es da? Genau. Eine Bekannte des Toten, der in Thailand aber leider schon eingeäschert worden war, hatte den Verdacht geäußert, dass dieser einem Giftmord zum Opfer gefallen war. Daraufhin nahm sich die deutsche Staatsanwaltschaft des Falles an.
Und der wichtige Punkt war der: deutsche Behörden durften in Thailand nicht aktiv werden, vielmehr mussten thailändische Behörden über die Deutsche Botschaft um entsprechende Ermittlungen gebeten werden. Und das lief mit den Philippinen sicher nicht anders.
Daran, dass die Ermittlungen in einem theoretischen Fall Butzmann zum Erfolg führen würden, hatte ich allerdings meine Zweifel. Die Vertreter lokaler Dienststellen, sofern es solche in Butzmanns Gegend überhaupt gab, waren damit wahrscheinlich überfordert und hatten sicherlich auch wenig Interesse daran, sich mit Nachforschungen in ihrem angestammten Umfeld unbeliebt zu machen. Eventuell aus Manila angereiste Beamte hätten ebenfalls kaum eine Chance, im Kulturkreis der einheimischen Bevölkerung die Hintergründe und Motive des Tötungsdelikts aufzuklären oder gar den Täter zu fassen. Sie würden rasch eine Reihe von Argumenten finden, sich nicht allzu lange mit dem Fall beschäftigen zu müssen. So viel war sicher.
Читать дальше