Natürlich brach keine Begeisterung aus. Unsicherheit machte sich breit. Vielleicht glaubte man an einen Scherz. Doch da war das hochgehaltene Buch, auf dem in großer Schrift Nino de Pauly zu lesen war! Das Buch wurde herumgereicht, und Pauly sorgte blitzschnell für Nachschub.
»Das gibt es doch nicht!«, rief eine Stimme. Und eine andere: »Nino, das ist kaum zu fassen! Ein Buch von dir! Wie hast du das nur fertiggebracht?«
Kim warf ihrem Freund einen Blick zu, der verriet, wie viel Genuss ihr die Situation bereitete. Aber er verlangte von Pauly auch: Misch dich unter die Leute! Zeig dich! Lass dich gar anfassen, wenn sie es nicht anders wollen! Bade dich in ihrer Bewunderung! Ja, jetzt endlich begreifen sie, wer du wirklich bist! Vergiss aber nicht, einen unsichtbaren Zaun um dich zu errichten, damit dir niemand zu nahe kommt!
Kim beobachtete unauffällig Roberts Reaktion. Er hielt ein Buch in den Händen, aufgeschlagen, prüfend.
»Nino, das ist wirklich großartig.« Astrid, Kims Arbeitskollegin, und ihr Mann kamen auf Pauly zu.
Pauly lächelte und fuhr mit der Hand durch sein kurzes Haar. »Schöner Umschlag, nicht«, sagte er mit lockerer Stimme.
»Wie lange hast du an dem Buch geschrieben?«, fragte Astrid mit neugierigem Gesicht. Und als könnte sie es noch immer nicht glauben: »Ich wusste tatsächlich nicht, dass du schreiben kannst!«
»Vor etwa drei Jahren hat er damit angefangen«, mischte sich Kim ein. »So was dauert eben.«
»Kann man es kaufen?«, fragte Astrids Mann, womit er andeuten wollte, dass er das in seinen Händen befindliche Exemplar erwerben möchte.
»Ich schenk es euch«, sagte Pauly großzügig.
»Willst du nun Schriftsteller werden, Nino?«, fragte Astrids Mann.
»Das ist er doch schon«, antwortete Kim. »Du hältst schließlich ein gedrucktes Buch von ihm in den Händen!«
Pauly wollte sein Champagnerglas holen, doch Robert stellte sich ihm in den Weg. »Das hätte ich dir nie zugetraut, Nino!«, sagte er
Pauly grinste bloß.
»Ein Thriller, oder?«
Pauly nickte.
»Wieso ausgerechnet etwas in dieser Richtung?«, fragte Robert weiter.
»Moment mal«, sagte Pauly, »ich muss mir erst etwas zu trinken besorgen, sonst trockne ich aus.« Er drängte sich durch die Gäste und holte sein Glas. Unterwegs wurde er mehrere Male angesprochen. Kühl lächelnd ging er auf kein Gespräch ein.
»Ist ganz schön was los«, sagte Pauly, als er wieder bei Robert ankam.
»Dieser V-Mann – ich meine, wie kommst du darauf?«, wollte Robert wissen.
»Einfach so«, erwiderte Pauly und nahm dann einen kräftigen Schluck Champagner.
»Auf dem Klappentext steht aber, dass der Roman einen sehr realistischen Hintergrund hat!«
»Dann wird es wohl so sein«, sagte Pauly und trank das Glas in einem Zug aus.
Der Plattenspieler wurde wieder angestellt. Einige Leute tanzten weiter. Pauly und Robert mussten ausweichen, stellten sich neben die Polstergruppe.
»Hast du für das Buch recherchiert?« Robert ließ nicht locker.
»Nein«, antwortete Pauly.
Robert las den Titel vor: »Der V-Mann! Was hat das genau zu bedeuten?«
»Du musst es lesen.« Pauly brauchte dringend noch weiteren Champagner. Und wo blieb überhaupt Kim? Sie redete noch immer mit Astrid. Pauly rief ihren Namen, hielt das leere Glas hoch. Kim reagierte sofort, holte eine Flasche und kam damit zu den beiden.
»Willst du auch ein Glas?«, fragte sie Robert, währendem sie Pauly einschenkte.
»Nein danke. Ich muss sowieso bald gehen.«
»Schon!« Kim blickte ihn mit großen Augen an.
»Ich muss morgen arbeiten«, erklärte er.
»An einem Sonntag?«, fragte Pauly.
»Eine Trauung, bei der ich Fotos machen muss. Das ist sonst ja nicht mein Fall.«
»Bringt das denn etwas?«, wollte Pauly wissen
»Ich kenne die Leute persönlich, daher – «
»Keine Kohle, nichts?«, fiel ihm Pauly ins Wort.
»Ich verdiene sonst ganz sicher nicht schlecht«, rechtfertigte sich Robert.
»Hat dich das Buch von Nino überrascht?«, fragte Kim.
»Das kann man sagen«, war die Antwort.
»War auch ein schönes Stück Arbeit«, sagte Pauly. »Aber Kim hat mir dabei geholfen.«
»Tatsächlich?« Robert fixierte Kim.
»Nun ja, einige Korrekturen«, erklärte sie.
Pauly mischte sich unter die Gäste. »Ganz schön stark!«, sagte Joseph und hielt ein Buchexemplar in die Luft.
»He, Nino!« Es war Simon, ebenfalls ein alter Freund von Pauly. »Wenn wir die Bücher behalten dürfen, musst du eine Widmung hineinschreiben.«
»Kein Problem«, rief Pauly.
Ihm wurde ein Kugelschreiber gereicht, und er kritzelte los: Für meinen Freund Simon von Nino de Pauly
Als Pauly aufblickte, standen weitere Gäste um ihn herum.
»Schreibst du mir auch etwas hinein, Nino?«, fragte Astrid.
»Mir auch«, rief jemand.
»Wie viel kostet das Buch?«, fragte eine andere Stimme.
»Geschenkt«, sagte Pauly.
Pauly signierte ein Buch nach dem anderen. Zwischendurch bemerkte er, wie ihn Kim mit zufriedenem, stolzem Blick anschaute. Wenig später schaltete sie die Musik aus.
Nun hörte man nur noch das Stimmengewirr um Nino de Pauly.
Den Kopf seitlich gedreht, lag Kim da. Schneller Atem wurde gegen ihren Hals gekeucht. Warme Hände rasten an ihren Oberschenkeln auf und ab, zwischen denen Paulys Unterleib rhythmisch auf und ab wogte. In Lust hatte er sich über sie ausgebreitet, Haut rieb sich an Haut, Hitze ausströmend. Kim stöhnte und tauchte in Selbstvergessenheit ein. Sie liebte es, wenn Paulys männliche Kraft mit ihm durchging, wenn er sie pausenlos dort attackierte, wo sie am empfindlichsten war. Der säuerliche Geruch des Alkohols, den beide den ganzen Abend lang getrunken hatten, verströmte sich in die Luft des Schlafzimmers. Die Körper wälzten sich über die zerwühlten Laken, verfielen erneut dem Rhythmus der Begierde. Kim schleuderte ihren Kopf auf dem Kissen hin und her, das Zeichen ihrer restlosen Hingabe. Ihr sonst eher bleiches Gesicht glühte.
Dann schmolz der Raum um sie dahin, wurde zu einem Nichts. Gepresste Schreie kamen über Kims Lippen, begleiteten Paulys fortdauernde Bewegung. Jeder war nun auf sich gestellt.
Pauly sank auf Kim herab, ihr etwas zuflüsternd und mit beiden Händen durch ihr Haar wühlend.
»Es ist schon nach drei Uhr«, flüsterte Kim.
Pauly lag mit geschlossenen Augen da und schwieg.
»Aber die Party war gut, nicht wahr?«, fragte Kim.
»Ob die das mit mir und dem Buch glauben?«, fragte er.
»Natürlich glauben sie es«, versicherte Kim.
»Dass ich mal Autogramme geben würde, hätte ich nie gedacht!«
»Kann ich mich denn auch wirklich auf dich verlassen, Nino?« Kim legte ihren Kopf auf seine Brust. »Wir haben ja ein großes Geheimnis zusammen.«
Er nickte.
»Ich weiß nicht, was passieren könnte, wenn die Wahrheit ans Tageslicht käme«, sprach Kim im Flüsterton weiter.
Pauly gab ihr keine Antwort.
»Du hast dich bisher gut verhalten«, lobte sie ihn. »Aber mit Leuten außerhalb unseres Bekanntenkreises solltest du vorerst besser nicht in Kontakt kommen.«
»Warum nicht?«, murmelte Pauly müde.
»Weil wir vorsichtig sein müssen, gerade jetzt, wo das Buch erschienen ist.«
Pauly schob Kims Kopf von seiner Brust und setzte sich auf. »Jetzt rede mal Klartext«, sagte er, und seine Stimme klang gleich wacher. »Ich lasse mich jedenfalls nicht bevormunden.«
»Sei bitte nicht so empfindlich, Nino!«
»Rück raus damit!«, verlangte Pauly. »Was erwartest du von mir?«
Kim streichelte seine Wange. »Liebst du mich denn noch?«, flüsterte sie.
»Was hat das damit zu tun?«
»Sehr viel.«
»So«, sagte er. »Aber ich lasse mich trotzdem nicht von dir bevormunden.«
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