Tobias zog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein. „Und du glaubst, dass das ein `Wilder´ war, wie du es nennst?“
„Ja. Entweder ein desorientierter und frisch gewandelter unserer Art oder ein Abtrünniger“
„Und du willst diesen Vampir suchen. Und wenn du ihn gefunden hast?“ Tobias sah ihr aufmerksam in die Augen.
Sie lächelte verständnisvoll. „Wenn er gewaltsam gewandelt worden ist und aus einem Nichtwissen heraus getötet hat, soll er eine Chance bekommen. Niemand von uns hat das Recht, jemanden zu verurteilen, wenn man ihn nicht angehört hat.“
Tobias nickte. „Ich hoffe, dass der Vampir nur desorientiert ist. Was tust du, wenn er mit Absicht getötet hat?“
Rowenas violette Augen verfärbten sich schwarz. „Dann tue ich, was getan werden muss, Tobias. So wie immer.“
Er bekam eine Gänsehaut, die sich vom Nacken über seine Wirbelsäule bis in die Kniekehlen ausbreitete. „Ich vergesse manchmal, wie mächtig du bist, Rona“, gestand er leise.
„Glaube mir, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das sich dieser Zwischenfall in Wohlgefallen auflöst. Aber ich weiß nicht, wie lange ich dafür brauche. Zu Stavros´ Vernissage bin ich aber wieder hier.“
Tobias runzelte die Stirn. „Und die Hochzeit von Jan und Helena? Du bist doch auch eingeladen!“
Rowena verzog ihr Gesicht. „Ich habe schon abgesagt. Ich gehe nicht mehr auf Hochzeiten, schon lange nicht mehr. Aber ich wünsche den beiden von Herzen alles Gute.“
Tobias seufzte. „Ich sehe schon. Es gibt viele Facetten deines Lebens, die kaum jemand kennt, die aber vermutlich extrem spannend sind.“
Jetzt grinste sie ihn frech an. „Was ist mit deinen Facetten, Tobi? Wer war die junge Frau vorhin?“
Er lief schlagartig hochrot an und geriet ins Stottern. „Das war Hanna. Ähm … Helenas Trauzeugin. Ich äh... bringe ihr das Tanzen bei. Tango. Hochzeitstanz. Du weißt schon. Tradition und so. Ich bin Janniks Trauzeuge und …“
Rowena lachte offen und herzlich, ihre Augen leuchteten hellviolett. „Du bist ja total verliebt!“
„Nein, bin ich nicht!“, nuschelte Tobias.
„Du kannst mich nicht beschwindeln, Tobi!“, ermahnte sie ihn leise.
Er sackte etwas zusammen. „Sie ist eine allein erziehende Mutter. Und Helenas beste Freundin. Ich mag sie. Punkt.“
Rowena spürte, wie der alte Widerstreit in dem jungen Vampir wieder hochkam. Sie lächelte verständnisvoll.
„Ich bin alles andere als ein Beziehungsexperte, Tobi. Aber ich bitte dich, eine mögliche Liebe nicht von der Hand zu weisen. Geh´ mit dem Herz ran, nicht mit dem Verstand. Auch du hast Glück mehr als verdient.“
Er lächelte gequält. „Vielleicht treffe ich ja mal eine nette Vampirin, die es mit mir eine Weile aushält.“
„Warum keine Sterbliche?“
Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
„Gut. Belassen wir es dabei.“ Rowena streckte sich und stand auf. Tobias folgte ihr, brachte sie noch hinunter zur Haustür.
„Ich hätte dich gern nach Schottland begleitet, Rona“, sagte er, als er die schwere Tür aufschloss. „Aber die ganzen Hochzeitsvorbereitungen und so …“
„Ich weiß, Tobi. Ich wollte dich auch nicht fragen, ob du mitkommst. Ich wollte dich nur bitten, ein Auge auf Tris zu haben. Und ich wollte dich einweihen.“
Tobias nahm Rowena in seine Arme. „Ich danke dir, dass du mir vertraust. Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn du Hilfe brauchst.“
Rowena stellte sich auf ihre Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange. „Ich verspreche es dir, Tobias.“
Kapitel 3: Tapetenwechsel
Rowena betrat den Pub und nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie sah flüchtig über die einzelnen Gesichter, die sie neugierig und interessiert ansahen. Ein alter Mann hob lächelnd die Hand und Rowenas angespanntes Gesicht wurde sofort weicher.
„Brian.“ Sie umarmte den Mann freundschaftlich und gab ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange.
Die braunen Augen des Schotten leuchteten und das wettergegerbte Gesicht mit den vielen hundert Falten schien sich schlagartig zu verjüngen.
„Herrin“, flüsterte er.
„Nein, Brian. Rowena. Zum einen mag ich es nicht, wenn du mich so nennst und zum anderen wirft es nur Fragen auf bei denen, die es zufällig hören, aber nicht hören sollen.“
Brian lächelte verlegen. „In Ordnung. Rowena.“ Er gab der Wirtin, einer kleinen, übergewichtigen und vollbusigen Frau einen Wink. Die Frau nickte und zapfte zwei helle Biere. Brian nahm die Getränke und führte Rowena an einen abgelegenen Tisch, von dem man aber gut den ganzen Pub einsehen konnte.
Rowena setzte sich hin, warf ihre Sonnenbrille auf den Tisch und schlug ihr Bein über das andere. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Eine weiße Leinenhose und ein hellblaues Polo-Shirt, das sich eng an ihren kurvenreichen Oberkörper anschmiegte, gaben ihr etwas sommerlich Frisches. Als ob sie gerade am Mittelmeer aus einem Boot gestiegen wäre.
„Also, was habt ihr inzwischen herausgefunden?“ Rowena nippte an dem Bier. Sie mochte das herbe kühle Getränk nicht besonders, aber sie war darum bemüht, so unauffällig wie möglich zu sein.
„Wie schon gesagt, der Mann kam aus Glasgow. Peter Doghnaty. Arzt. Kam öfter hierher. Kannte sich auch gut hier aus. Hatte immer ein Satellitentelefon bei gehabt und einen Rettungspeilsender.“
„Sehr umsichtig. Hat wohl wenig dem Zufall überlassen.“
Brian nickte. „Scott hat herausgefunden, dass Doghnaty den Schwarzen Gürtel in Karate hatte. Und er ging regelmäßig ins Fitnessstudio und Schwimmen.“
„Also ein gesunder, durchtrainierter Mann, der sich auch zu wehren wusste.“
„Ja.“ Brian nahm einen Umschlag aus seiner Tweed Jacke und schob ihn Rowena hinüber. Wortlos nahm sie ihn auf, öffnete ihn und nahm den Inhalt heraus. Es waren Fotos vom Tatort mit der Leiche. Nahaufnahmen zeigten deutlich die Biss- und Rissspuren am ganzen Körper. Der Gesichtsausdruck des Toten zeigte überdeutlich, dass er gelitten hatte, bevor der Tod ihn gnädig umfing.
„Großer Schöpfer!“ Rowena steckte die Fotos schnell wieder in den Umschlag.
„Ja.“
Rowena nahm einen Schluck von dem Bier und ließ ihren Blick durch die Gaststätte schweifen. Einige Männer sahen mit unverhohlenem Interesse zu ihr hinüber, einige Frauen blickten eher misstrauisch. Rowena durchflog schnell deren Gedanken, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Die eindeutigen Gedanken, die sie bestrafen, ignorierte sie einfach. „Gibt es auffällige Fremde?“
Brian lächelte spöttisch. „Du meinst außer den Horden an Touristen, die hier jedes Jahr herkommen, Wildwasserfahrten und Campingtouren unternehmen? Ja, die gibt es.“
Rowena lächelte etwas. Sie mochte die bärbeißige Art des Mannes. Im Inneren steckte ein herzensguter Mensch.
„Da gibt es einen Mann aus London. Kam vor etwa einer Woche. Ist ständig für sich, hockt im Pub oder auf dem Friedhof. Vor dem Grab der Millie Downforth.“
„Millie? Sie starb doch vor drei Jahren an Lungenkrebs, nicht wahr? Hatte sie vielleicht Verwandte in London?“
„Nicht das ich wüsste. Scott ist dabei, anhand des Autokennzeichens herauszufinden, wer der Mann ist. Er hat sich hier als John Smith eingetragen.“
„Wie einfallsreich.“ Rowena verdrehte die Augen.
Brian lachte humorlos auf. „Dann gibt es ein Pärchen, ebenfalls aus London. Neureich, in einem Porsche unterwegs. Sie ist aufgetakelt und unecht.“
„Unecht?“
Brian wurde etwas rot. „Na ja. Operiert, wenn du weißt, was ich meine. Ihre Hupen … sitzen immer an der gleichen Stelle.“
Rowena verkniff sich ein lautes Lachen. „Verstehe. Und der dazu gehörige Typ?“
„Prahlt mit seinem Geld und tut so, als ob er ein Kolonialherrscher wäre und wir die dummen Untertanen.“
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