Das wärmende Blut quoll pochend heraus und wärmte. Ich war sehr hungrig und musste mich beherrschen. Ein schöner Abend begann.
Ich schlenderte mit dem schon einmal benutzten Katheder-Set zum Kleiderschrank. Es war das gleiche wie beim Mädchen. Da auch das neue Opfer dem Tod geweiht war, spielte Infektionsschutz natürlich keine Rolle. Der Schlauch war war von mir durch simples Durchspülen unter dem Wasserhahn gereinigt worden, damit er gut durchlässig war. Hinter meiner Garderobe im Kleiderschrank befand sich die verborgene Tür zum Panikraum. Zum Eintreten musste diese beiseite geschoben werden.
Mit Blut unterlaufene Augen blickten mir aus einem geschundenen Gesicht furchtsam entgegen. Es war immer ein ähnliches Bild. Ich mochte dieses grausame Spiel. Das Opfer ahnte natürlich, was es erwartete.
Der Mann schüttelte seinen Kopf und versuchte mir etwas mitzuteilen. Die langen Bartspitzen wackelten traurig lächerlich bei seinen nutzlosen Bemühungen. Es drang auch nur ein leises Wimmern durch das schwarze Klebepflaster, das seinen Mund verschloss. Ein rundes Loch in der Mitte sicherte ihm Atemluft, falls er Nasenprobleme hatte. So mancher war schon erstickt, weil ich dies anfangs vergaß.
Wie seine Vorgängerin hing der Anwalt nackt, mit auf den Rücken gefesselten Händen, an den zwei großen Haken über der frei begehbaren Duschwanne. Das war praktisch. So konnte man austretendes Blut einfach wegspülen. Auf dem Wannenboden lagen stinkende Ausscheidungen der letzten Stunden. Dieses Problem gab es nur am ersten und zweiten Tag. Dann war die letzte feste Nahrung verdaut. Ich war das gewohnt und reinigte ein Liedchen summend mit dem heißen Wasserstrahl routiniert die weiße Keramikwanne.
An der dazugehörigen Wand stand zudem eine große abwaschbare Matratze, sodass meine Beute auch mit den Füßen durch Klopfen keinerlei Lärm oder Schallwellen im Mauerwerk verursachen konnte. Das war eigentlich unnötig, doch ich ging aus Erfahrung keinerlei Risiko ein. Wer hier erst einmal hing, hatte keine Chance mehr.
Mein handwerkliches Baugeschick hatte sich im Laufe der Jahre gut entwickelt. Die Aufhänger hatte ich selbst mit starken Dübeln angebracht. Papa würde darüber staunen, dass ich inzwischen auch solche traditionellen Männerarbeiten gut beherrschte. Ein Blutstropfen der Wehmut drang durch die kalte Kruste des Hasses.
Die Position war für das Opfer natürlich extrem schmerzhaft. Es hing nun schon mehrere Stunden so. Damit die tragenden Haken nicht zu schnell ins Fleisch schnitten, waren sie zusätzlich gepolstert. Ein bisschen Luxus musste sein.
Als ich mich näherte, versuchte der Mann ein wenig zu zappeln. Wie lächerlich das doch aussah! Ich musste schmunzeln.
Kalter Angstschweiß stand auf seiner Stirn. Man konnte ihn sehen und riechen. Noch war der Gefangene bei klarem Verstand. Manchmal wurde die Beute jedoch wahnsinnig. Das war zwar ebenfalls lustig und gab dem Spiel einen anderen Reiz, aber so war es interessanter.
Der Mann wand sich wie Aal. Etwas unterhalb seiner Achselhöhle war die passende Stelle. Am besten schmeckte das Blut, wenn es frisch aus der Lunge kam und zum Herzen floss. Der Sauerstoff ließ es dann wie Champagner schäumen. Dieses Gebräu sollte es heute sein, denn ich war in guter Stimmung.
„Nicht zappeln, sonst stirbst du!“, ermahnte ich ihn.
Die Warnung ließ ihn angstvoll erstarren. Er ließ mein Handeln zu. Diese Operation war nicht ungefährlich.
„Gut so“, beruhigte ich. „Halt jetzt schön still!“
Meine erfahrene Hand schob die lange Kanüle langsam in die Arterie und den Katheder direkt bis in den Vorhof der Herzkammer. Angst und Entsetzen weiteten seine Augen und ließen seinen Schweiß regelrecht perlen. Die Arbeit gelang mir gut und sauber, kein Tropfen Blut drang heraus. Zur Sicherheit befestigte ich die herausragende Leitung mit Klebeband am Arm. Alles war dicht. Vorsichtig öffnete ich den Hahn und ließ den ersten, schäumenden Saft in das Glas rinnen.
Beruhigend klopfte meine Hand auf seinen nackten Körper.
„Das hast du fein gemacht!“, lobte ich ihn.
Das rosenrote Getränk prickelte und schmeckte erfrischend. Ja, das war das richtige Opfer. Ab morgen würde ich ihm dann zusätzlich Kochsalzlösung geben, sonst trocknete es zu schnell aus.
„Hab nur ein wenig Geduld!“, forderte ich zum Schluss unseres heutigen Tête-à-Tête. Ich meinte den Tod damit, wusste aus Erfahrung jedoch, dass diese Worte Hoffnungen beim Opfer weckten.
Zufrieden schloss ich die Tür hinter mir, ging in die Küche und wusch das geleerte Glas gründlich aus. In die Spülmaschine wollte ich es nicht stellen. Das Geschirr dort war sauber. Die Maschine hatte gerade ihre Arbeit beendet. Hier sah es wie immer sehr ordentlich aus. Ich liebte in diesem Bereich Ordnung und perfekte Sauberkeit.
Meine Hände und Füße erwärmten sich durch das frische Blut langsam. Der Blick in den Spiegel zeigte mir jedoch immer noch ein bleiches Gesicht. Es dauerte etwas, bis die Wirkung sich auch dort zeigte.
Ich spürte endlich wieder das Holz der Dielen unter meinen nackten, besser durchbluteten Sohlen. Waren diese kalt, so schwand die Empfindung. Ihre gehobelte Ursprünglichkeit erinnerte mich an die alten, angenehmen Zeiten. Bei der Anmietung der Wohnung hatte ich darauf bestanden, den Boden auszuwechseln. Der Vermieter versuchte mir zwar einzureden, dass das Holzimitat viel besser und robuster wäre, doch ich bestand darauf.
Das war wie mit einer lebendigen Frau. Welcher Mann will schon eine künstliche Puppe als Ersatz?
Natürlich musste ich die Änderung selbst bezahlen. In allen Räumen wurden durchgehende Eichendielen verlegt. Dem Vermieter gefiel es am Ende auch. Er versprach sogar, mir den Boden fair abzukaufen, falls ich einmal auszog.
Dieses lebendige Gefühl war mir diese Investition wert. Das gemaserte Holz unter den bloßen Füßen genießend, schlenderte ich in das Wohnzimmer. Genauso war es in Zarskoje Selo gewesen, als wir Kinder vor dem Schlafengehen noch barfuß hin und her huschten. Unsere Kindermädchen ärgerte das, aber wir mochten dieses Spiel. Wir hatten keine richtigen Gouvernanten, weil Mama und Papa Wert darauf legten, dass sie uns selbst erzogen und wir wie eine normale Familie lebten. Das war ungewöhnlich in Königshäusern der damaligen Zeit. Vielleicht war es falsch gewesen, denn daraus resultierte nun ein Teil des Schmerzes, den ich empfand. Da wir alle durch unsere Liebe verbunden waren, wog der Verlust meiner Familie jetzt umso schwerer.
Manchmal drohten wir Kinder den aufgeregten Bediensteten damit, sie zu entlassen, wenn sie uns nicht gehorchten. Sie taten dann zwar mutig, doch wir spürten ihre Furcht. Gut bezahlte Arbeit war schon immer schwer zu finden gewesen. Wer wollte sie verlieren?
Die Welt war zu dieser Zeit noch zauberhaft für uns Kinder. Nichts deutete darauf hin, dass nur wenige Jahre später alles anders sein würde.
Auf dem Tisch stand mein geöffneter Laptop. Eigentlich mochte ich diese neumodischen Geräte nicht, da sie Veränderung symbolisierten, doch die Zeit forderte ihren Tribut. Für die Jagd, das Finden und sogar für das Verstecken von Informationen war die heutige Technik sehr praktisch. Überall auf der Welt konnte man dadurch im Internet die vielen Lügen und Fantastereien über meine Familie und unseren Tod lesen.
Viele Jahrzehnte war mir das wirklich egal gewesen, da mich die Jagd ausfüllte. Aber jetzt reichte mir das nicht mehr. Wurde ich älter? War das eine eigenwillige Form von Nostalgie?
Ließ ich meine Gefühle zu, verspürte ich Lust, die wahre Geschichte aufzuschreiben. Regelte ich sie herunter, verließ mich diese und wich dem Drang, zum Panikraum zu gehen und die böse Arbeit fortzuführen. Das funktionierte wie bei einem Dimmer. Die vielen Jahre hatten mich gelehrt, mit diesem umzugehen.
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