Er zeigte ihnen, wie man Feuer machte, ohne dass der Rauch weithin sichtbar war oder in der Nacht der Feuerschein. Althea führte stolz ihren Feuerring vor, der Bajan ehrlich faszinierte und den er sogleich ausprobierte. Tagsüber erklärte er ihnen Tiere und Pflanzen, doch es waren Althea und Noemi, die einen wahren Sammlerinstinkt bewiesen, angeleitet durch das Wissen, das sie bei den Heilerinnen erworben hatten. Was sie an essbaren Pflanzen und Heilkräutern aus der kargen Steppe anschleppten, erstaunte selbst Bajan.
Phelan bestand darauf, dass Noemi reiten lernte, das geduldige Ersatzpferd wurde ihres. Dafür brachte ihnen Bajan das Jagen bei, Phelan wie den Mädchen. Althea und Phelan konnten zwar mit Pfeil und Bogen umgehen, aber ein sich bewegendes Ziel zu treffen, auch mit der Schleuder, war etwas völlig anderes. Pflege und Ersatz der Pfeile und des Bogens gehörten ebenso dazu wie das Fallenstellen und Ausnehmen der Tiere. Hier hatten wiederum die Mädchen kaum Probleme, kannten sie doch den Anblick von Blut aus ihrer Zeit bei den Heilerinnen. Phelan dagegen tat sich damit erheblich schwerer.
Überhaupt stellte Bajan mit der Zeit immer mehr Unterschiede zwischen Phelan und seinem älteren Bruder fest. Er erkannte, dass der jüngere Sohn der Königin ebenso zuverlässig wie Currann war, aber in allen anderen Eigenschaften unterschieden sie sich doch erheblich.
Phelan war auf seine Art klüger als sein Bruder, beweglicher im Geist und schneller im Erfinden von neuen Ideen und Wegen. Dort, wo Curranns Instinkt häufig Entscheidungen beeinflusste, und zwar völlig richtig beeinflusste, ließ Phelan seine Klugheit entscheiden. Er war ein Logiker reinsten Wassers und richtete daran all seine Entscheidungen aus.
Der Instinkt jedoch schien ihm völlig zu fehlen, das Gefühl für die Stimmungen seines Gegenübers – es sei denn, er war so eng mit ihm verbunden wie mit Althea oder Noemi. Bajan konnte es noch nicht ganz greifen, aber er spürte, dass Phelan Schwierigkeiten beim Einschätzen von Menschen hatte. Dafür konnte er sich trotz seiner Jugend geradezu perfekt beherrschen – etwas, das er von seiner Mutter geerbt hatte.
Da er die Menschen nicht einschätzen konnte, ging er offener, aber auch oberflächlicher auf sie zu als Currann und kam leichter mit ihnen in Verbindung. Er konnte sich damit auch besser vor Enttäuschungen schützen. Currann dagegen war erheblich verletzlicher, wenn er erst einmal mit jemandem Freundschaft geschlossen hatte. Bajan mochte nicht entscheiden, welche Variante besser war – er selbst glich eher Currann und hielt sich dementsprechend zurück. Eines jedoch war völlig sicher: Beherrschung konnte man lernen, und er wusste mit absoluter Gewissheit, dass Currann auf dem besten Wege dahin war. Instinkt, seine Mitmenschen einzuschätzen, jedoch nicht. Deswegen würde Currann einen besseren Herrscher abgeben als Phelan.
Für Bajan selbst war es eine völlig neue Erfahrung, sich derart intensiv um Kinder zu kümmern. Nun, diese waren bereits sehr selbstständig, aber trotzdem war es etwas völlig anderes als der Unterricht in der Heerschule, wo die Schüler nach dem Unterricht wieder ihrer Wege gingen. Besonders Althea litt immer wieder unter Albträumen, sie rief nach ihrem Vater, nach Currann und wachte nachts verstört auf. Auch Phelan hatte zu kämpfen, obwohl er es meisterhaft verbarg. Aber Bajan kannte ihn inzwischen gut genug, um zu bemerken, dass ihn etwas belastete. Er machte sich Sorgen um den Jungen. Während Althea sich von ihm beruhigen und trösten ließ, verschloss sich Phelan jeglicher Anteilnahme. Bajan wünschte, er würde sich ihm anvertrauen, wusste aber nicht, wie er sich ihm zuwenden sollte. Nun rächte sich, dass er sich fast nur um Currann gekümmert hatte. Also wartete er ab und war einfach nur für den Jungen da.
Nur Noemi schien die Dinge zu nehmen, wie sie kamen. Bajan wuchs die Kleine bald ebenso ans Herz wie Althea und Phelan. Er erfuhr ihre Geschichte – sie selbst erzählte sie ihm eines Abends, so gut beherrschte er inzwischen ihre Zeichen. Etwas rückte ins rechte Licht. Sie war kein Dienstmädchen, sondern Kind von bürgerlicher Abstammung, das ein schweres Schicksal erlitten hatte. Er verstand nun, dass sie trotz ihrer Aufnahme bei den Heilerinnen nur ein Zuhause hatte, und das war ihre Freundschaft zu Phelan und Althea. Die Bindung war tiefer, als er es geahnt hatte. Sie war der Mittelpunkt ihres Lebens. Nun wunderte er sich nicht mehr, dass die drei so vehement darauf bestanden hatten, zusammenzubleiben.
Abends jedoch, wenn die drei schliefen und er keine Beschäftigung mehr hatte, kehrten seine Gedanken unweigerlich zu der Frau zurück, die er zurückgelassen hatte. Das Herz wurde ihm schwer, wenn er daran dachte, was er gewonnen und nach so kurzer Zeit wieder verloren hatte. Er war außer sich vor Sorge um sie und um Phelans Schwester, die unter Noemis Namen bei ihr geblieben war. Gleichzeitig wusste er, dass dies vermutlich der beste Schutz war, den das Mädchen haben konnte. Trotzdem fragte er sich ständig, ob sie in Sicherheit oder entdeckt worden waren. Die Folgen für Meda mochte er sich nicht ausmalen.
Die Sorge um Currann und seine Kameraden kam noch hinzu, denn er war sicher, dass Althea die Wahrheit gesagt hatte. Wieder und wieder wälzte er diese Fragen im Kopf herum, fand darauf aber keine Antwort.
Doch selbst in den Stunden, in denen Phelan Wache hielt und ihm etwas Schlaf vergönnt war, fand er keine Ruhe. Anders als früher träumte er, schwere, traurige Träume, die ihn selbst beim Erwachen noch in ihrem Bann hielten. Die Kinder spürten, dass ihn etwas bedrückte. Sie versuchten, es ihm so leicht wie möglich zu machen, widersprachen seinen Anordnungen nie und halfen ihm, wo sie nur konnten.
So drangen sie immer weiter nach Westen vor, fernab jeder Siedlung. Die Kinder waren bald braun gebrannt, bei Althea konnte man die Sommersprossen fast nicht mehr erkennen, so dunkel war sie. Nur die blaugrünen Augen und der ungewöhnliche Schnitt ihres Gesichtes verrieten, dass sie nicht nur gildaischer Abstammung war.
Nachdem ihr Problem mit ihrer Versorgung gelöst war, würde das nächste erst weit im Westen auftauchen: ihr Abstieg von der Hochebene Moranns. Die Straße konnten sie nicht benutzen, Bajan war sicher, dass sie überwacht wurde, außerdem war sie so stark bereist, dass sie unweigerlich auffallen mussten. Also musste eine andere Lösung her. Er hoffte, etwas weiter südlich einen von Wildtieren oder Hirten begangenen Pfad zu finden. Die nördliche Route entlang des Lir-Deltas schloss er von vorneherein aus. Ihm behagte der Gedanke an das nicht, was dort lauern mochte. Dieser Gefahr wollte er die Kinder, besonders Althea, nicht aussetzen.
Ebenfalls wusste er noch nicht, wie er Nador und die Grenze nach Temora überqueren sollte. Es gab nur einen offiziellen Weg, und der führte direkt an der Stadt Nador vorbei. Er wusste noch um einen Pfad – es war eine Legende. Die Legende war nur unter den Kundschaftern bekannt, eines ihrer alten gehüteten Geheimnisse. Als junger Mann hatte er zu ihnen gehört, bevor der König ihn zum Heerführer machte. Er rechnete fest damit, dass sie ihn niemals verraten würden, war er doch einer der Ihrigen gewesen. Ohne ihre Hilfe würde er Nador kaum unentdeckt durchqueren können. Nador war nicht sein Territorium, er war in der Gegend um Gilda zuhause. In Nador kannte er sich allenfalls grob aus. Und so überlegte er schon lange, bevor sie das Ende der Hochebene erreichten, wen er um Hilfe bitten konnte.
Das Gute an den Kundschaftern war, dass es verschiedene gab. Jene, die offen ihrer Tätigkeit nachgingen, waren die Führer der Karawanen, Fährtenleser und Boten des Heeres. Jene aber, die im Verborgenen operierten, wurden als solche nicht erkannt. Ein abfälliges Wort für sie lautete: Spione.
Nur der Heerführer und seine engsten Vertrauten, in seinem Fall Waffenmeister Jorman, wussten um sie. Bei seiner Entlassung hatte er tunlichst alle Unterlagen über sie vernichtet. Nicht, dass sein Nachfolger bisher auf die Idee gekommen war, ihn zu fragen – was seinen Verdacht erhärtete, dass die Mönche über ein eigenes Kundschafternetz verfügten. Aber so konnten seine Feinde die Kundschafter nicht aufspüren, wie sie es mit Leviad getan hatten. Ihre Freundschaft war allgemein bekannt gewesen.
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