Da er ausschließen konnte, dass seine Oma diese Notiz geschrieben hatte, sie war schon seit längerem tot, konnte es nur jemand geschrieben haben der sehr alt war. Weshalb sollte eine Person, die sehr alt war, einen Jugendlichen beauftragen bei Elisabeth einzusteigen, um etwas zu stehlen. Dieser Notizzettel bewies, der Einbruch erfolgte nicht zufällig, hier war jemand planvoll vorgegangen, um etwas Wichtiges zu entwenden. Dass es nicht um Wertgegenstände ging, hatte er inzwischen verstanden. Da der Dieb gezielt zwischen den Papieren gesucht hatte, ließ dies nur einen Schluss zu, es handelte sich, entweder um eine wichtige Urkunde oder ein belastendes Schreiben.
Wer konnte ihr Böses wollen, wer fühlte sich von ihr bedroht. Er verstand nicht, was hier geschah. Die Elisabeth, die er kennen gelernt hatte, war zu keiner bösen Tat fähig. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so schnell Vertrauen zu einer Person entwickelt wie zu Elisabeth. Entweder hatte sie ihn verhext oder sie hatte ihn verzaubert. Er glaubte beides nicht, weder fühlte er sich verwunschen noch betört, dann schon eher in den Bann gezogen von ihrer Persönlichkeit.
Er beschloss nur in groben Zügen die Unordnung zu beseitigen, er fühlte, dass er nicht ungefragt in die Privatsphäre von Elisabeth eindringen durfte. Nach dem Wechsel des Schließzylinders sowie des Zusatzschlosses war er sicher, in diese Wohnung konnte der Einbrecher nicht so einfach wieder eindringen. Am Mittwoch, wenn er Elisabeth vom Bahnhof abholte, musste er ihr alles erzählen und die neuen Schlüssel überreichen. Außerdem wollte er sie fragen, wer eventuell noch einen Schlüssel für die Wohnung haben konnte.
Nervös stand er am Bahnsteig, um auf Elisabeth zu warten, die in kaum zehn Minuten wieder in Berlin eintreffen sollte. Er hatte nichts von dem Einbruch erzählt, als sie angerufen hatte, um nachzufragen, ob alles in Ordnung sei und ob er sie abholen könne. Natürlich war alles in Ordnung und natürlich würde er sie am Mittwoch abholen, so das Resümee des Telefonats.
Jetzt stand er hier am Bahnsteig und war immer noch nicht überzeugt, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er das nun folgende Vorgehen beschloss. Er wollte sie zu einem Kaffee hier am Bahnhof einladen, dabei wollte er ihr alles erzählen und die neuen Schlüssel übergeben. Er hoffte nur, sie würde nicht zu böse auf sein bisheriges Verhalten reagieren, da er eigentlich nur das Beste für sie gewollt hatte. Das redete er sich zumindest seit Tagen ein.
»Schön das Du mich abholst«. Die Begrüßung fiel herzlicher aus, als er erwartet hatte, was die Angelegenheit nicht einfacher machte.
Er nahm ihr, trotz ihres leisen Protests, das Gepäck aus der Hand, um sie in eine bestimmte Richtung zu dirigieren. »Ich möchte Dich zu einem Kaffee einladen«. Als sie aufbegehren wollte, setzte er schnell hinzu, »ich muss Dir etwas erzählen«.
Nachdem der Kaffee vor ihnen stand, griff Jo in seine Tasche, dann legte er den neuen Schlüsselbund vor ihr auf den Tisch.
»Was soll ich damit«, ihr Erstaunen ließ ihn einen Moment zögern.
»Das sind die neuen Schlüssel zu Deiner Wohnung. Ehe Du Dich aufregst, höre mich bitte zuerst an«.
Er erzählte von dem Einbruch sowie seinen anschließenden Überlegungen, wobei er in seiner Erzählung alles weniger dramatisch darstellte, als es tatsächlich abgelaufen war. Er schloss mit den Worten, zuerst wollte ich Dich anrufen und informieren, dann habe ich überlegt, was damit gewonnen wäre. Du hättest auf die Geburtstagsfeier sowie die Treffen mit Deinen Freundinnen verzichtet, da Du bestimmt sofort nach Berlin zurückgefahren wärst. Zudem konnte ich das Schlimmste verhindern, da nichts gestohlen wurde.
Der Schreck in ihren Augen, als er von dem Einbruch gesprochen hatte, wechselte in Bestürzung, als er von seinem Eingreifen erzählte. Nun war die Angst zu sehen, obwohl noch nicht sicher war, wem diese Angst galt. Hatte sie Angst wegen des Einbruchs oder galt ihre Angst ihm.
»Ich habe Dir doch ausdrücklich gesagt, dass Du nicht den Helden spielen sollst, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht«. Sie griff nach seiner Hand, »ich hätte mir ewig Vorwürfe gemacht, wenn Dir etwas geschehen wäre. Ich habe Dir doch gesagt, dass keine Reichtümer bei mir zu holen sind«.
»Elisabeth Du verschweigst mir doch etwas, langsam gewinne ich den Eindruck, dass Dich der Einbruch weniger überrascht als Du zugegeben hast. Der Dieb hat nicht nach Reichtümern gesucht, er hat in Deinen Ordnern nach einem Schriftstück gesucht. Entweder eine Urkunde oder ein Vertrag oder was weiß ich. Er hat auf keinen Fall nach Schmuck oder Geld gesucht. Vielleicht hätte er das später noch gemacht, aber sein Hauptanliegen war das Schriftstück«.
Elisabeth zuckte nur mit den Schultern, der Einbruch hatte sie zwar erschreckt, die Erleichterung, dass er unverletzt dem Gerangel entgangen war, schien größer. »Es gab schon früher Einbrüche, ein Mal hab ich den Einbrecher vertrieben, ein weiteres Mal hat er die Wut von Hertha zu spüren bekommen. Sie hatte mich spontan besucht, sodass ich noch einkaufen gehen musste. Während ich im Geschäft war, ist der Einbrecher wohl in die Wohnung eingedrungen. Hertha, die zuerst erschrocken auf den fremden jungen Mann gestarrt hatte, hat ziemlich schnell erfasst, dass der ungebetene Besuch sich an fremdem Eigentum bedienen wollte. Wie eine Furie hatte sie sich einen Besen geschnappt und auf den jungen Einbrecher eingeschlagen, der daraufhin das Weite gesucht hat«.
»Schon damals habe ich vermutet, dass er mit einem Nachschlüssel in die Wohnung gekommen sein musste. Leider habe ich vergessen den Zylinder austauschen zu lassen, gab sie jetzt zerknirscht zu. Hertha und ich wir waren so von der Heldentat berauscht, dass wir das wohl verdrängt haben«.
»Hast Du einen Schlüssel vermisst, wer hat oder hatte Schlüssel zu Deiner Wohnung«.
»Niemand ich verteile doch nicht meine Schlüssel, allerdings, sie zögerte, man hat mal meine Handtasche gestohlen. Da sie ziemlich schnell wieder aufgefunden wurde und nur das Geld fehlte, habe ich dem keine Bedeutung zugemessen«.
Johann schüttelte verständnislos mit seinem Kopf, dann legte er den Notizzettel aus der Lederjacke des Einbrechers auf den Tisch. »Kennst Du diese Schrift, den Zettel habe ich in der Jacke gefunden. Damit ist ja wohl klar, dass es sich um einen gezielten Einbruch bei Dir gehandelt hat. Die haben etwas gesucht, etwas was nichts mit Geld zu tun hat«.
Nachdenklich griff Elisabeth den Notizzettel, betrachtete ungewöhnlich lange die Schrift dann legte sie ihn wieder auf den Tisch. »Ich kenne die Schrift nicht, ich möchte allerdings behaupten, dass die Hand, die das geschrieben hat, sehr alt ist und an einem männlichen Arm hängt«.
»Wieso woran erkennst Du das, meine Großmutter hat auch so ähnlich geschrieben«.
Sie zeigte ihm die Merkmale, die sie als maskulin zu erkennen glaubte, obwohl er keinen gravierenden Unterschied sehen konnte.
»Bist Du sicher«.
»Ziemlich«.
»Lass uns nach Hause fahren, ich möchte mir mal Deine neue Schließvorrichtung ansehen, ob ich damit überhaupt zurechtkomme«.
Es klang alles so ruhig und gelassen, er nahm ihr nicht ab, dass sie so blauäugig die vorherigen Einbrüche weggesteckt hatte. Er hatte andere Erfahrungen mit älteren Menschen gemacht, die sich bedroht fühlten. Nach seiner Erfahrung wurden die Sicherungsmaßnahmen eher verdoppelt, bei Elisabeth hatte er den Eindruck, sie habe diese absichtlich reduziert. So nach dem Motto „kommt und seht, bei mir gibt es nichts zu holen“. Aber vielleicht vertraute sie ihm noch nicht genug, um ihm die ganze Wahrheit zu sagen.
Die vorlesungsfreie Zeit fand auf ziemlich unspektakuläre Art und Weise ihr Ende, Elisabeth unterrichtete wieder, er reduzierte seine Tätigkeit beim Discounter auf das Mögliche. Das hieß, dass er nur noch am Freitagnachmittag sowie am Samstag seiner Hilfstätigkeit im Discounter nachging. Die Lederjacke, die auf unfreiwillige Weise in seinen Besitz gelangt war, befand sich immer noch bei ihm, da der Eigentümer sich bisher noch nicht gemeldet hatte.
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